Berenberg-Volkswirt Jörn Quitzau
Diese Folgen hat das Urteil zum Klimaschutzgesetz

Jörn Quitzau ist Volkswirt und Leiter des Bereichs Wirtschaftstrends bei der Berenberg Bank. Foto: Berenberg
Das Bundesverfassungsgericht sorgt mit einem Urteil zum Klimaschutzgesetz für Schlagzeilen. Die Richter regen an, Freiheitsrechte von heute gegen Freiheitsrechte von morgen abzuwägen. Welche Folgen das hat, erklärt Berenberg-Volkswirt Jörn Quitzau.
Das Thema Nachhaltigkeit bewegt Unternehmen, Kapitalmärkte, Gesetzgeber. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die Analysen und Thesen der bedeutendsten Nachhaltigkeitsexperten, Top-Ökonomen und Großinvestoren – gebündelt und übersichtlich. Sie sollen dir die wichtigen Entwicklungen auf dem Weg zur nachhaltigen Gesellschaft und Finanzwelt clever und zuweilen kontrovers aufzeigen.
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Abbildung 1 zeigt, dass die CO2-Emissionen in Europa in den letzten Dekaden bereits gesunken sind (auch dank der CO2-Bepreisung), während sie in anderen Regionen teils deutlich gestiegen sind. Dies ist zumindest ein Indiz dafür, dass in anderen Teilen der Welt eine Reduktion der Treibhausgase mit geringeren Kosten zu erreichen sein könnte.
Abbildung 1: Globale CO2-Emissionen

Verfassungsgerichtsurteil zu Ende gedacht
So gut die Absichten des Bundesverfassungsgerichts sind, mehr Druck in der Klimapolitik zu erzeugen, so groß ist die Gefahr gesellschaftlicher Spannungen, die aus dem Urteil resultieren könnten. Das Verfassungsgericht schreibt: „Um das (Klimaziel) zu erreichen, müssen die nach 2030 noch erforderlichen Minderungen dann immer dringender und kurzfristiger erbracht werden. Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind.“
Die Ausführungen des Verfassungsgerichtes basieren auf der Logik eines Nullsummenspiels: Es gibt ab jetzt eine bestimmte Menge noch „verfügbarer“ CO2-Emissionen, um deren Nutzung die Menschen in Deutschland konkurrieren. Recht offensichtlich ist, dass die Bürger einander künftig viel stärker in ihrer jeweiligen Lebensführung beäugen dürften, wenn sich dieser Nullsummenspiel-Gedanke erst einmal durchgesetzt hat. Neid und Missgunst gab es schon immer, aber nun kommt noch eine moralische Dimension dazu, weil eine treibhausgasintensivere Lebensweise unmittelbar zu Lasten der übrigen (künftigen) Gesellschaftsmitglieder geht.
Bisher ließen sich Rivalitäten im Konsum dadurch auflösen, dass durch mehr Anstrengung und mehr Wachstum die Konsummöglichkeiten insgesamt vergrößert werden konnten. Künftig ist diese Möglichkeit angesichts eines fixen „Treibhausgas-Restbudgets“ nicht mehr vorhanden – zumindest solange noch keine umfassenden Technologien vorhanden sind, die ein an heutigen Standards gemessen normales Leben ohne Treibhausgasemissionen zulassen.2
Denkt man die Logik des Nullsummenspiels zu Ende, muss es aber nicht bei missgünstigem Beäugen und moralischen Vorhaltungen bleiben, wenn jemand weiterhin einen mit überdurchschnittlich hohen CO2-Emissionen verbundenen Lebensstil pflegt. Viel schlimmer: Die Bevölkerungsgröße könnte zum Politikum werden. Das betrifft sowohl die Zuwanderung als auch den Nachwuchs. Hier kann sich die Perspektive fundamental verändern. Durch jeden neuen in Deutschland lebenden Bürger entstehen neue Ansprüche an das „CO2-Restbudget“. Sind Zuwanderer und Neugeborene künftig weniger willkommen, weil sie als direkte Konkurrenz um das CO2-Restbudget angesehen werden? Werden sie nun verstärkt als ökologischer Belastungsfaktor gesehen werden, die zudem die Konsummöglichkeiten der bereits heute hier lebenden Menschen reduzieren? 3
2 Denkbar wäre allerdings, dass das Rivalitätsproblem auch dadurch entschärft wird, dass Verfahren gefunden werden, die bereits erfolgte CO2-Emissionen wieder absorbieren, also rückgängig machen.
3 Wobei die Bevölkerungsprognosen der Vereinten Nationen zeigen, dass ein weiterer deutlicher Anstieg der Weltbevölkerung praktisch ausschließlich in den wirtschaftlich weniger entwickelten Regionen dieser Welt erwartet wird. Ein demographisch bedingter Anstieg der CO2-Emissionen ist also weder in Deutschland noch in Europa zu erwarten. Doch dieses Thema blendet das Bundesverfassungsgericht in seinem auf Deutschland fokussierten Urteil aus.
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