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Einfluss der Chipbranche auf die Umwelt Sind Halbleiterunternehmen ein wachsendes Umweltproblem oder eine grüne Lösung?

Erschließung eines Baugeländes für einen Cluster von Chipfabriken, der 50 Kilometer südlich von Seoul, Südkorea, entsteht
Erschließung eines Baugeländes für einen Cluster von Chipfabriken, der 50 Kilometer südlich von Seoul, Südkorea, entsteht: Die Welt muss zunächst umfassend elektrifizieren, um dekarbonisieren zu können. | Foto: Imago Images / Yonhap News

Unter Klimaschützern nimmt die Sorge zu, dass die Halbleiterindustrie den Planeten schädigt. Nicht ohne Grund. Chips werden in riesigen, ressourcenintensiven Fabriken hergestellt, die mitunter eine Fläche von bis zu 9.000 Quadratmetern beanspruchen. Und jedes Jahr verbraucht die Branche weit über 100 Milliarden Liter Wasser und verursacht nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur (Global Energy Review 2021) fast 100 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen; sie verbraucht auch immens viele Metalle der Seltenen Erden und produziert eine Menge giftiger Abfälle.

Luciano Diana

Auch die Sorge über den ökologischen Fußabdruck von Halbleitern hat in den vergangenen Jahren zugenommen, da die Computer immer leistungsfähiger werden und der Energieverbrauch der Branche exponentiell gestiegen ist. Darüber hinaus wollen Regierungen in den USA und Europa zig Milliarden US-Dollar für den Aufbau der inländischen Chip-Produktionskapazität ausgeben. Ziel ist es, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, aber auch das Problem der Emissionen der Fabriken und der Abfälle, die früher nur am Rande eine Rolle spielten, in den Vordergrund zu rücken.

Auf den ersten Blick haben Halbleiter also keinen Platz in einem umweltorientierten Portfolio. Bei näherer Betrachtung ergibt sich jedoch ein ganz anderes Bild.

Halbleiter treiben grünen Wandel voran

Als langfristige, verantwortungsbewusste Investoren legen wir bei der Zusammenstellung unserer Portfolios größten Wert auf das Umweltprofil von Branchen und Unternehmen. Dabei muss jedoch die zentrale Rolle berücksichtigt werden, die Halbleiter beim grünen Wandel spielen. Mit anderen Worten: Klimaorientierte Investoren müssen über den CO2-Fußabdruck der Branche hinausblicken und auch den sogenannten „Handabdruck“ bewerten, das heißt die positive Wirkung der Branche auf die übrige Wirtschaft.

Bei Halbleitern ist diese positive Wirkung besonders groß, wenn es um die Elektrifizierung geht, ein Schlüsselelement der Dekarbonisierung. Wenn wir bis 2050 die Netto-Null erreichen wollen, muss nach Schätzungen der Internationalen Energieagentur der Anteil der Elektrizität am Gesamtenergieverbrauch von derzeit 20 auf 50 Prozent steigen und fossile Brennstoffe ersetzen.

 

Das bedeutet auch, dass der Anteil an erneuerbarem Strom von 30 auf 90 Prozent steigen muss. Wir müssen zuerst elektrifizieren, um dekarbonisieren zu können. Und wir müssen den Gesamtenergieverbrauch senken, was bedeutet, dass wir die Energieintensität der Wirtschaft um 3 Prozent verbessern müssen, also doppelt so viel wie aktuell, wie die International Renewable Energy Agency in ihrem World Energy Transitions Outlook 2023 kalkuliert.  Ohne Halbleiter ist das schlichtweg nicht möglich.

Es gibt spezielle Chips, die „Leistungshalbleiter“, die für die Elektrifizierung unerlässlich sind. Diese Chips werden hauptsächlich für die Steuerung der Stromversorgung, die Umwandlung (von Gleichstrom in Wechselstrom und umgekehrt), die Übertragung und die Speicherung von Strom verwendet. Obwohl sie nur etwa 5 Prozent des gesamten Halbleitermarktes – das entspricht einer Größenordnung von 40 Milliarden US-Dollar – ausmachen, sind sie ein kritischer Faktor.

In Solarkraftwerken zum Beispiel werden effiziente und zuverlässige Leistungshalbleiter benötigt, um Strom von Gleichstrom in Wechselstrom umzuwandeln und mit minimalen Verlusten zu übertragen.

Halbleiter sind auch für die Modernisierung der Stromnetze von entscheidender Bedeutung, da sie diese in die Lage versetzen, besser auf Schwankungen von Stromangebot und -nachfrage zu reagieren.

Chips sind auch für die Autoindustrie wichtig. Durch die Umstellung auf Elektrofahrzeuge und die Entwicklung intelligenter Autos ist der Bedarf an Halbleitern im Automobilsektor heute um ein Vielfaches höher als noch vor zehn, zwanzig Jahren.

Halbleiter sind daher in der gesamten Elektrifizierungs-Wertschöpfungskette von entscheidender Bedeutung, von der Entwicklung erneuerbarer Energien über die Netzspeicherung bis hin zu Elektroautos und Ladestationen. Investoren stehen somit vor einem Dilemma: Wie lassen sich die Auswirkungen der Halbleiterunternehmen auf die Natur mit der positiven systemischen Wirkung ihrer Produkte in Einklang bringen?

Planetare Belastungsgrenzen und Ökobilanzierung

Als Manager der Pictet Global Environmental Opportunities Strategie nähern wir uns diesem Problem mit Hilfe von zwei Analysekonzepten, die uns helfen, den Beitrag eines Unternehmens zum grünen Wandel zu bewerten.

Das erste ist das Modell der planetaren Belastungsgrenzen (PB), ein wissenschaftlich fundiertes Konzept, das von Wissenschaftlern der Universität Stockholm entwickelt wurde. Es analysiert die neun Umweltdimensionen, die für die Gesundheit des Planeten entscheidend sind (unter anderem Klimawandel, biologische Vielfalt, Wasser und chemische Verschmutzung), und steckt den Handlungsspielraum ab, innerhalb dessen sich die Aktivitäten des Menschen abspielen sollten.

Wir wenden das PB-Konzept mit Hilfe eines zweiten Konzepts, der Ökobilanzierung (Life Cycle Assessment, kurz LCA) auf Investments an. Dieses Tool quantifiziert im Wesentlichen die Mengen an Rohstoffen, Energie, Wasser und damit verbundenen Emissionen, die während eines Produktlebenszyklus verbraucht bzw. erzeugt werden. Mit Hilfe der Ökobilanzierung können wir die Umweltauswirkungen eines Unternehmens in den neun PB-Dimensionen abbilden.

Fußabdruck von Halbleitern

In der unten stehenden Grafik sehen wir, wie diese Konzepte in der Praxis angewendet werden. Hier wird das PB-LCA Tool verwendet, um die Auswirkungen eines Halbleiterausrüsters auf jede der neun planetarischen Belastungsgrenzen zu quantifizieren. Die Analyse zeigt, dass dieses Unternehmen große negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt hat und auch für ein hohes Maß an chemischer Verschmutzung verantwortlich ist (aufgrund von gefährlichen Abfällen und kontaminiertem Wasser, Verwertung beziehungsweise Aufbereitung vor Ort). Die Umweltauswirkungen außerhalb dieser beiden Grenzen sind ansonsten vernachlässigbar.

Grafik: Zahlenmäßige Einordnung

Quelle: Pictet Asset Management, August 2023. Nur zur Veranschaulichung

Eine weitere Schlussfolgerung aus dieser Analyse ist, dass Halbleiter zwar eindeutig erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben, diese aber geringer sind als bei vielen anderen Produkten. Und obwohl die Emissionen des Sektors in absoluten Zahlen hoch erscheinen, machen sie dem Global Energy Review der Internationalen Energieagentur zufolge nur 0,2 Prozent der gesamten globalen Emissionen aus.

Erfreulich ist auch, dass viele Unternehmen alles daransetzen, ihre Umweltbilanz zu verbessern. Die meisten Unternehmen haben sich für die kommenden Jahre Ziele gesetzt, zum Beispiel 100 Prozent erneuerbare Energien oder CO2-Neutralität, und das Semiconductor Climate Consortium (SCC) strebt bis 2050 für die gesamte Branche die Netto-Null an.