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Goldlöckchen-Szenario vor dem Ende „Vier Gründe, einen Gang runterzuschalten“

Die Grundsatzdisziplin bei der Value-Geldanlage besteht darin, günstig zu kaufen und teuer zu verkaufen. Dieses Prinzip ist einfach und funktioniert langfristig. Bei der Anwendung dieser Grundlage hakt es jedoch meist daran, dass Stimmungsschwankungen und die Dynamik an den Märkten die kurzfristigen Bewertungen verzerren.

So ist es auch heute: Im Moment sind viele Investoren überaus optimistisch: Eine langanhaltende Hausse, aber auch die Sicherheit, dass die Notenbanken bei einer nachlassenden Konjunktur geldpolitisch eingreifen, brachte hohe Gewinne und ein Gefühl von Sicherheit und Widerstandsfähigkeit. Und nun glauben Anleger, dass dies auch weiter so bleiben wird und kaufen fleißig weiter Wertpapiere.

Dabei sind die Bewertungen historisch überhöht und viele Titel alles andere als günstig. Zugleich hat die Volatilität seit der Jahreswende wieder zugenommen: Zu unhaltbar ist die akkommodierende Politik in einer so späten Zyklusphase, besonders angesichts der immer offensichtlicheren Kapazitätsgrenzen der Wirtschaft. Diese Situation birgt Risiken, die euphorischen Investoren ein böses Erwachen bescheren könnten.

Zentralbanken haben den Anschluss verpasst

Viele Jahre haben die Notenbanken mit ihren Lockerungsprogrammen die Märkte verzerrt. Während die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) schrittweise den Leitzins anhebt – zuletzt im Juni 2018 auf die Spanne von 1,75 bis 2 Prozent – läuft das Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) vermutlich erst gegen Jahresende aus.

Doch selbst die Fed hinkt mit ihren Zinsschritten hinterher: Mit 3,9 Prozent befindet sich die Arbeitslosenquote in den USA nahe eines historischen Tiefs. Gleichzeitig hat die Inflation das Zielniveau von 2 Prozent längst erreicht und dürfte noch weiter steigen, da die geplanten Stimulationsmaßnahmen von Präsident Donald Trump für die spätzyklische US-Wirtschaft den Inflationsdruck erhöhen dürften. Damit liegt der gegenwärtige Leitzins der Fed mindestens 100 Basispunkte unter dem Neutralwert der Fed und ist somit real gesehen im negativen Bereich.

Durch die Maßnahmen der quantitativen Lockerung wurde zudem die Zinsstrukturkurve verzerrt: Vor 2010 handelten zehnjährige US-Staatsanleihen noch entsprechend dem nominalen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Durch die geldpolitischen Maßnahmen der Fed wurde diese Verbindung getrennt.

Nun prägen geldpolitische Straffung, steigende Inflation und wachsende kurzfristige Zinssätze sowie eine massive Schuldtitelemission die US-Wirtschaft. Angesichts dieser Lage könnten die Anleihemärkte unter Druck geraten.

Ähnlich ist die Situation in Europa: Hier sind die Maßnahmen der quantitativen Lockerung immer noch in Kraft. Zehnjährige Bundesstaatsanleihen etwa wurden zuletzt bei 0,30 Prozent gehandelt – und das in einer Volkswirtschaft mit Vollbeschäftigung und einem BIP-Wachstum von durchschnittlich 3,5 Prozent in der jüngeren Vergangenheit.

Über kurz oder lang werden sowohl die Fed als auch die EZB sich aus den Märkten zurückziehen und damit die Liquidität von den Finanzmärkten abziehen. Die geldpolitische Straffung und die Staatsverschuldung werden sich in den kommenden Jahren beschleunigen und schaffen damit für die verschuldete Weltwirtschaft einen Gegenwind, dessen Ausmaß noch abzusehen bleibt.

Ausfallrisiken bei Krediten steigen

Angesichts der zuletzt robusten Weltkonjunktur gab es immer weniger Gründe, einen geldpolitischen Kurs zu verfolgen, der eigentlich für Zeiten einer Depression gedacht ist. Das Zögern der Zentralbanken hatte jedoch Nebenwirkungen: Die niedrigen Zinssätze begünstigten den Aufbau eines Schuldenbergs, der alle Schichten des Systems durchdringt. So haben Konsumenten Kredite aufgenommen, um unzureichende Gehälter auszugleichen; Staaten vergrößerten ihre Haushaltsdefizite, um durch Steuersenkungen Unternehmen zu entlasten; und Unternehmen liehen sich zu günstigen Bedingungen Geld für Aktienrückkäufe, Ausschüttungen und Übernahmen, die die Kurse ihrer Aktien auf Höchststände – und den Verschuldungsstand von Nicht-Finanz-Unternehmen auf einen Anteil von 45 Prozent des BIP – katapultierten.

Dieser Schuldenaufbau ist nur unter der Bedingung tragbar, dass die Zinsen weiterhin auf ihren niedrigen Niveaus verharren und die Inflation verhalten bleibt. Sollten sich diese Bedingungen jedoch ändern, hieße dies für Unternehmensanleihen steigende Kapitalkosten und ein größeres Kreditausfallrisiko. Tatsächlich gab die Rating-Agentur Moody’s kürzlich bekannt, dass die Zahl globaler Nicht-Finanz-Unternehmen mit dem Rating „spekulativ“ (oder „Ramsch“) seit dem Jahr 2009 um 58 Prozent gestiegen ist – ein historischer Rekord.

Gleichzeitig gibt es sehr viele Anleger, die in Unternehmensanleihen investiert sind. Denn: Niedrigzinsen und Anleiheaufkäufe durch die Zentralbanken zwangen Investoren in risikoreichere Gefilde, um Renditen zu erwirtschaften, die sie zuvor mit risikoarmen Treasury-Bills (auch T-Bills: vom US-Staat ausgegebene Schatzwechsel, die meist eine Laufzeit von 90 Tagen haben) und Staatsanleihen bekommen hätten. Mit fallender Kreditqualität würden die Risikoprämien steigen und Bewertungen sinken.