Wisdomtree-Spezialist Nitesh Shah Silber: Warum die Sterne für den kleinen Bruder von Gold günstig stehen
Im Vergleich zu Gold hat sich Silber zuletzt unterdurchschnittlich entwickelt. Während Gold 2023 ein Allzeithoch erreichte, fiel der Silberpreis um 0,65 Prozent. Das ist überraschend, wenn man bedenkt, wie sehr die Nachfrage nach Silber in industriellen Anwendungen gestiegen und das Angebot des Metalls 2023 zurückgegangen ist. Die Nachfrage von Investoren eingerechnet hat das Metall drei Jahre lang in Folge Angebotsdefizite verzeichnet – mit einem Rekord-Defizit (253 Millionen Unzen) im Jahr 2022 und dem zweithöchsten Defizit 2023 (194 Millionen Unzen).
Klammert man physische Nettoinvestitionen aus, verzeichnete Silber nach Berechnungen von Wisdomtree 2023 einen Überschuss – wenn auch einen vergleichsweise geringen.
Abbildung 1: Saldo am Silbermarkt
Verhältnis von Gold zu Silber
Die Entwicklung des Verhältnisses von Gold zu Silber (Abbildung 2) deutet darauf hin, dass Gold mehr Unterstützung durch geopolitische Risiken, Sorgen über Verschuldung und eine beispiellose Nachfrage seitens der Zentralbanken erfährt. Silber – das oft als gehebelte Goldwette gilt – ist dagegen weniger ein defensiver, sicherer Hafen.
Die perspektivisch erwarteten Zinssenkungen der Zentralbanken sind voraussichtlich ein wichtiger Katalysator für Gold. Sie könnten die historisch starke Korrelation zwischen den Edelmetallen im laufenden Jahr wiederherstellen. Da Zinssenkungen aber vorerst in fernere Zukunft gerückt sind und die Geopolitik in den Mittelpunkt tritt, könnte Gold vorerst die Oberhand behalten.
Abbildung 2: Verhältnis von Gold zu Silber
Industrielle Nachfrage nach Silber
Die industrielle Nachfrage nach Silber hat einen neuen Höchststand erreicht (Abbildung 3), angetrieben durch die Nachfrage im Bereich Fotovoltaik und die zunehmende Verwendung von Silber in der 5G-Technologie und der Elektronik in Autos. Allein die Unterhaltungselektronik war 2023 ein Bereich mit einer relativ schwachen Silbernachfrage. Da aber Anwendungen der künstlichen Intelligenz im Jahr 2024 zunehmen werden, erwarten wir einen Anstieg der Silbernachfrage auch in diesem Segment.
Abbildung 3: Industrielle Nachfrage nach Silber
Anlagen
Die Investitionsnachfrage nach Silber lag 2023 in der Nähe des Durchschnittswerts seit 2013, aber unter dem Höchstwert von 2022 (Abbildung 4).
Abbildung 4: Investmentnachfrage nach Silber
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Der Großteil dieser Anlagen dürfte auf Privatanleger entfallen. Betrachtet man den Londoner Freiverkehrsmarkt, die Hauptstütze der institutionellen Nachfrage, brach der Silberbestand in Tresoren im Jahr 2022 ein und erholte sich 2023 kaum. Nach fünfmonatigem Wiederaufleben kam es im Oktober 2023 zu einem deutlichen Abfall (Abbildung 5). In dieser Hinsicht sind sich Silber und Gold ähnlich – institutionelle Anleger haben dem Metall offenbar den Rücken gekehrt, während es bei Privatanlegern nach wie vor hoch im Kurs steht.
Abbildung 5: Silber in LBMA-Tresoren
Silber in der nächsten Phase des Konjunkturzyklus
Wir gehen davon aus, dass die Korrelation zwischen Silber und Gold stark bleiben wird. Sollten wir also auf eine wirtschaftliche Rezession zusteuern, dürfte Silber vom Anstieg bei Gold profitieren. Die Korrelation zwischen Silber und Gold liegt seit der globalen Finanzkrise 2008 erstaunlich konstant bei etwa 0,8 (Abbildung 6). Die Korrelation von Silber mit Industriemetallen schwankte jedoch in einer
großen Bandbreite – mal war sie positiv, mal negativ (Abbildung 6). Obwohl der Konsens 2024 eine weiche Landung erwartet, gibt es relativ wenige Beobachtungen von weichen Landungen in der
Vergangenheit (zumindest dort, wo wir Daten zum Industriemetall-Korb haben). Ein Blick auf die
wenigen weichen Landungen und Rezessionen zeigt, dass die Korrelation von
Silber mit Industriemetallen tendenziell abnimmt. Im aktuellen Zeitraum (angenommen, die letzte Zinserhöhung der Federal Reserve ist im Juli 2023 erfolgt) ist die Korrelation zwischen Silber
und Industriemetallen rückläufig.
Abbildung 6: Korrelationen von Silber
Silber – eine gehebelte Goldwette
Unserer Einschätzung nach wird Silber im kommenden Jahr stärker zulegen als Gold, und zwar um
9,2 Prozent – gegenüber einem Plus von 7,3 Prozent für Gold. Bis zum vierten Quartal 2024 erwarten wir, dass der Silberpreis bei mehr als 26 US-Dollar pro Unze liegen wird (Abbildung 7). Das spiegelt
weitgehend die langfristige Rolle von Silber als gehebelte Goldwette wider. Unseren Modellen zufolge ist der Silberpreis in der Vergangenheit bei einem Anstieg des Goldpreises um 1 Prozent um 1,4 Prozent nach oben gegangen. Obwohl diese Hebelwirkung im vergangenen Jahr schwach war, werden Zinssenkungen der nächste große Katalysator für beide Metalle sein. Zudem gehen wir davon aus, dass die industrielle Nachfrage nach Silber und die Stimmung gegenüber dem zyklischeren Metall infolgedessen weiter steigen werden.
Abbildung 7: Silberpreisprognose von Wisdomtree
Rahmenbedingungen
Angesichts der starken Korrelation zwischen Gold und Silber dürfte der Goldpreis der wichtigste
Motor für den Silberpreis sein. Um jedoch den verbleibenden circa 20 Prozent des Preisverhaltens Rechnung zu tragen, die nicht durch Gold erklärt werden können, ziehen wir die folgenden Variablen heran:
- Wachstum im verarbeitenden Gewerbe – mehr als 50 Prozent des Einsatzes von Silber entfällt auf
industrielle Anwendungen (im Gegensatz zu Gold, wo weniger als 10 Prozent auf diesen Sektor
entfallen). Wir verwenden den weltweiten Einkaufsmanagerindex des verarbeitenden
Gewerbes (PMI) als Indikator für die industrielle Nachfrage. - Wachstum der Bergbauinvestitionen (CapEx) – je höher die Bergbauinvestitionen, desto
größer das in der Zukunft zu erwartende potenzielle Angebot. Deshalb setzen wir diese
Variable mit einer Verzögerung von 18 Monaten an. Da der überwiegende Teil von Silber als
Nebenprodukt bei der Gewinnung anderer Metalle anfällt, betrachten wir die
Investitionsausgaben der 100 größten Bergbauunternehmen – nicht nur die der reinen
Silberproduzenten. - Anstieg der Silberbestände – wachsende Bestände signalisieren eine größere Verfügbarkeit
des Metalls und wirken sich daher negativ auf den Preis aus. Wir verwenden Futures-Börsenbestände als Näherungswert.