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Rätsel gelöst Führen niedrige Leitzinsen zu Inflation oder Deflation?

Der Titel „A Behavioral New Keynesian Model“ (ein neu-keynesianisches Verhaltensmodell) ist nicht gerade aufregend, und der Aufsatz ist noch nicht vollendet. Sein Modell dürfte aber helfen, die heutzutage wichtigste und schwierigste Debatte in der Volkswirtschaftslehre zu beenden - ob niedrige Leitzinsen eine Inflation, eine Deflation oder weder noch verursachen. Es könnte die makroökonomische Theorie grundlegend verändern.

Traditionell haben Makroökonomen die Ansicht vertreten, dass Inflation von niedrigen Zinsen begünstigt wird. Doch zuerst Japan und nun die USA und Europa haben ihre Zinsen mittlerweile seit Jahren niedrig gehalten, und der Preisauftrieb bleibt hartnäckig schwach. Vor diesem Hintergrund führte eine radikale Gruppe von Volkswirten, darunter Stephen Williamson von der Federal Reserve Bank of St. Louis und John Cochrane von der Denkfabrik Hoover Institution, eine neue Theorie ein, die Neo-Fisherismus genannt wird. Diese besagt, dass eine längere Niedrigzinsphase die Preise faktisch niedrig hält statt sie nach oben zu treiben.

Williamson und Cochrane haben wiederholt betont, dass neu-keynesianische Modelle - die vorherrschende makroökonomische Theorie - durchaus zu den Ergebnissen des Neo-Fisherismus führen können statt zu der traditionellen Sicht. Ein Problem ist, dass die Standardmodelle oft mehrdeutig sind: Sie bieten eine Reihe potenzieller und völlig unterschiedlicher Auswirkungen auf die Wirtschaft an - und damit keine Möglichkeit zu sagen, was geschehen wird.

Gabaix geht dieses Problem mit einem einfachen, intuitiven und mutigen Schritt an. Er geht nicht davon aus, dass die Menschen völlig rational handeln, sondern theorisiert, dass sie nur über eine begrenzte Aufmerksamkeit verfügen, was der Psychologe Herbert Simon als „eingeschränkte Rationalität“ bezeichnete. Wenn sich das Leitzinsniveau oder Bruttoinlandsprodukt verändert, realisieren die Menschen in Gabaix’ Modell nicht wirklich, dass sich die Lage verändert hat. Noch viel wichtiger, ihr Handeln ist kurzsichtig - sie denken nicht so sehr über die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in zehn Jahren nach wie über eine in den nächsten sechs Monaten.

So eine Denkweise erscheint den meisten Menschen offensichtlich. Je weiter etwas in der Zukunft liegt, desto weniger sorgt man sich darum, richtig? Bei mir ist das jedenfalls so. Aber für Makroökonomen ist das ein ziemlich radikaler Schritt. Die meisten makroökonomischen Wissenschaftler sind strenge Anhänger des Kults der perfekten Rationalität. Wenn die Wirtschaft durch ein Verhalten beeinflusst wird, das nicht ganz rational ist, geben sich Makroökonomen gewöhnlich die allergrößte Mühe, dies mit dem Versagen wirtschaftlicher Institutionen zu erklären und es nicht als Ergebnis menschlicher Psychologie zu betrachten. Christopher House, mein eigener Hochschullehrer an der University of Michigan, hielt Verhaltensökonomie für eine Modeerscheinung, die niemals einen großen Einfluss auf die Makrotheorie haben würde.

Gabaix dürfte House eben eines Besseren belehren. Wie auch ein anderes, kürzlich veröffentlichtes Arbeits papier von Mariana Garcia-Schmidt und Michael Woodford, stellt die neue Theorie von Gabaix menschliche Begrenztheit in den Vordergrund und Mittelpunkt. Die heilige Kuh des Homo oeconomicus wird geschlachtet.

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