Commerzbank-Analyst Michael Schubert
EZB-Geldpolitik ohne Grenzen?
Michael Schubert, Analyst bei der Commerzbank Foto: Commerzbank
Wie allgemein erwartet hat der EuGH-Generalanwalt das Staatsanleihenkaufprogramm der EZB für rechtens erklärt. Die Beurteilung ist dennoch brisant. Denn in seiner ausführlichen Analyse räumt der Generalanwalt der EZB einen weiten Ermessensspielraum für die von ihr selbst festgelegten Grenzen ihrer Politik ein. De facto droht dadurch eine grenzenlose Politik.
Zum Beispiel könnte aus Sicht der EZB die Hürde für eine Anhebung der Ankaufsobergrenze erkennbar niedriger liegen – sollten der EuGH und später das BVerfG in ihren Urteilen der Auffassung des Generalanwalts nicht widersprechen.
Schon vor etwa drei Jahren hatten mehrere Gruppen von Privatpersonen Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gegen die Beteiligung der Bundesbank am Staatsanleihenkaufprogramm (PSPP) eingelegt. Das BVerfG hatte dann im August 2017 mitgeteilt, dass die EZB aus ihrer Sicht mit dem PSPP ihr Mandat überschreiten könnte und deswegen den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um eine Beurteilung gebeten.
Ein erster Schritt dazu ist nun erfolgt,...
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Zum Beispiel könnte aus Sicht der EZB die Hürde für eine Anhebung der Ankaufsobergrenze erkennbar niedriger liegen – sollten der EuGH und später das BVerfG in ihren Urteilen der Auffassung des Generalanwalts nicht widersprechen.
Schon vor etwa drei Jahren hatten mehrere Gruppen von Privatpersonen Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gegen die Beteiligung der Bundesbank am Staatsanleihenkaufprogramm (PSPP) eingelegt. Das BVerfG hatte dann im August 2017 mitgeteilt, dass die EZB aus ihrer Sicht mit dem PSPP ihr Mandat überschreiten könnte und deswegen den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um eine Beurteilung gebeten.
Ein erster Schritt dazu ist nun erfolgt, indem der EuGH-Generalanwalt Melchior Wathelet Anfang Oktober seine sogenannten Schlussanträge vorgelegt hat. Diese sind eine Art gerichtsinternes Gutachten zur Vorbereitung des Urteils. Gewöhnlich folgt der EuGH bei seinen Urteilen den Schlussanträgen. Wenig überraschend hat Wathelet erklärt, dass das PSPP weder gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung verstößt noch über das Mandat der EZB hinausgeht. Denn das Programm biete hierfür „hinreichende Garantien“. Konkret nennt Wathelet zum Beispiel die Ankaufsobergrenze von 33% pro Emittent, die Orientierung bei der Aufteilung der Käufe nach Ländern am Kapitalschlüssel oder die einzuhaltende Mindestfrist zwischen der Ausgabe der Schuldtitel und dem Ankauf am Sekundärmarkt.
Weiter Ermessensspielraum noch weiter als gedacht
Marktreaktionen auf die Pressemitteilung blieben aus. Interessant ist der Schlussantrag des Generalanwalts aber dennoch – man muss sich allerdings die Mühe machen, die ausführliche, dreißig Seiten lange Begründung des Generalanwalts durchzuarbeiten.
Denn möglicherweise ist selbst die EZB überrascht, wie groß der Ermessensspielraum ist, den der Generalanwalt der Notenbank aus rechtlicher Sicht zugesteht. Wathelet ist überzeugt, dass das Gericht aufgrund der „hoch komplexen wirtschaftlichen … Umstände“ lediglich zu überprüfen habe, ob der „Normgeber“ (in diesem Fall die EZB) sein Ermessen „nicht offensichtlich fehlerhaft ausgeübt oder missbraucht“ hat. Das Gericht solle so verfahren, weil „eine eingehendere Prüfung nicht mehr eine juristische, sondern im vorliegenden Fall eine wirtschaftliche Analyse wäre, die nicht in die Fachkompetenz des Richters fällt“.1
Der Generalanwalt betont außerdem, es könne „vom ESZB mit Rücksicht darauf, dass geldpolitische Fragen gewöhnlich umstritten sind und es über ein weites Ermessen verfügt, nicht mehr als der Einsatz seines wirtschaftlichen Sachverstands und der ihm zur Verfügung stehenden notwendigen technischen Mittel verlangt werden …, um diese Analyse mit aller Sorgfalt und Genauigkeit durchzuführen“.2
33% Ankaufsobergrenze nicht unverrückbar?
Die EZB könnte aus den Ausführungen des Generalanwalts den Schluss ziehen, dass sie bei den von ihr selbst gesetzten Grenzen für Anleihenkäufe über mehr Spielraum verfügt als bisher gedacht. So hatte EZB-Präsident Draghi vermutlich auch aus rechtlichen Überlegungen mit Blick auf die Ankaufsobergrenzen unmissverständlich vor dem Europäischen Parlament erklärt: „Der EZB-Rat hatte nie vor, die Obergrenzen zu verletzen. Diese Grenzen sind und bleiben bestehen.“3
Nach den Ausführungen des Generalanwalts könnte die Hürde für eine Anhebung der Ankaufsobergrenze aus Sicht der EZB aber nun erkennbar niedriger liegen. Die EZB hatte die Ankaufsobergrenze bei 33% – und nicht bei einem anderen Wert – gezogen, damit sie nicht in die Verlegenheit kommt, im Fall der Fälle eine als notwendig angesehene Restrukturierung staatlicher Schulden verhindern zu müssen. Denn würde die Notenbank zu viele Anleihen erwerben, hätte sie bei der Abstimmung über einen Schuldenschnitt eine Sperrminorität. Und von dieser müsste sie auch Gebrauch machen, um nicht gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung zu verstoßen.4 Da die Grenze von 33% in vielen Anleihebedingungen festgelegt ist, galt offenbar in der EZB auch die 33%-Ankaufsobergrenze als unverrückbar.
Aber der Generalanwalt geht in seinen Ausführungen mit keinem Wort auf diese Argumentation ein. Er betont vielmehr, eine Obergrenze sei wichtig, damit ein „Inhaber einer Staatsanleihe keine Gewissheit haben kann, ob das ESZB seine Anleihe ankaufen wird“ oder nicht. Eine solche Gewissheit des Ankaufs dürfe es nicht geben, denn ein solcher Ankauf über Investoren sei gleichzusetzen mit dem unmittelbaren Kauf von Staatsanleihen durch die Notenbank am Primärmarkt, und dieser ist der EZB verboten. Der entscheidende Punkt bei dieser Argumentation ist, dass es hier nur darauf ankommt, dass eine Obergrenze existiert, und nicht ob diese Grenze bei 33% oder zum Beispiel bei 40% liegt.5 Im Übrigen sieht der Generalanwalt die von der EZB beschlossene Erhöhung der Obergrenze für den Ankauf von Wertpapieren pro Emission als positiv an.6
Die Ausführungen des Generalanwalts dürfte die EZB mit Interesse zur Kenntnis genommen haben, da sie mit ihren bisherigen Anleihenkäufen auch in den großen Euro-Ländern der Ankaufsobergrenze von 33% recht deutlich nahe gekommen ist. Ist die Grenze unverrückbar, wäre ihr Spielraum für etwaige weitere Eingriffe also sehr begrenzt.
1 Schlussanträge des Generalanwalts, Randnummern 116 und 117.
2 Schlussanträge des Generalanwalts, Randnummer 152.
3 Geld- und Währungspolitischer Dialog mit Mario Draghi, 29.5.2017.
4 Die Geldpolitik nach der Krise, 14.9.2017.
5 Schlussanträge des Generalanwalts, Randnummer 58.
6 Schlussanträge des Generalanwalts, Randnummer 83.
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