Makroökonom Daniel Stelter
Wie die Politik uns ruiniert
Daniel Stelter, Makroökonom und Strategieberater Foto: Stefan König/München
Medien und Politik schwärmen vom reichen Land Deutschland. In Wahrheit leben wir von der Substanz und überschätzen unsere Leistungsfähigkeit. Keine guten Aussichten.
Deutschland altert rapide und der deutliche Rückgang der Erwerbsbevölkerung setzt gerade ein. Der geburtenstärkste Jahrgang, der 1964er, hat nur noch zehn bis 15 aktive Jahre vor sich. Spätestens jetzt müssten wir für das Alter vorsorgen. Vermögen bilden und künftige Einkommen sichern. Blickt man hinter die Fassade, erkennt man schnell, dass es Deutschland ergeht wie einem Mittfünfziger, der seine Hausaufgaben für die Altersvorsorge nicht macht. Wir überschätzen die Sicherheit unseres Arbeitsplatzes, wir überschätzen die reale Kaufkraft unseres Einkommens, wir überschätzen die Reserven fürs Alter und wir geben zu viel Geld für die falschen Dinge aus. Der Exportweltmeister ist in Wahrheit ein...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Deutschland altert rapide und der deutliche Rückgang der Erwerbsbevölkerung setzt gerade ein. Der geburtenstärkste Jahrgang, der 1964er, hat nur noch zehn bis 15 aktive Jahre vor sich. Spätestens jetzt müssten wir für das Alter vorsorgen. Vermögen bilden und künftige Einkommen sichern. Blickt man hinter die Fassade, erkennt man schnell, dass es Deutschland ergeht wie einem Mittfünfziger, der seine Hausaufgaben für die Altersvorsorge nicht macht. Wir überschätzen die Sicherheit unseres Arbeitsplatzes, wir überschätzen die reale Kaufkraft unseres Einkommens, wir überschätzen die Reserven fürs Alter und wir geben zu viel Geld für die falschen Dinge aus. Der Exportweltmeister ist in Wahrheit ein armes Land. Abgewirtschaftet von einer falschen Politik, die Konsum vor Investitionen stellt.
Ein ernüchternder Blick auf Deutschland
Blickt man mit etwas Abstand auf Deutschland, kommt man zu einer ausgesprochen ernüchternden Einschätzung: Wir leben in einer Wohlstandsillusion und sorgen nicht vor. Im Gegenteil bürdet uns die Politik immer weitere Lasten auf. Knapp zusammengefasst muss man Deutschland so sehen:
- Wir erleben einen Wirtschaftsaufschwung, der immer mehr Züge eines Booms trägt. Im konkreten Fall basiert er auf erheblichen Fehlentwicklungen in der Welt: einem schwachen Außenwert des Euro, viel zu tiefen Zinsen und einer zunehmenden Verschuldung der Länder, in die wir unsere Waren verkaufen.
- Unsere Wirtschaft ist in einem historisch einmaligen Umfang abhängig vom Export, was die Krisenanfälligkeit erhöht. Kommt es zu einer Abschwächung der Konjunktur in China, den USA oder Europa, trifft es uns überproportional.
- Die erheblichen Überschüsse im Export führen zunehmend zu protektionistischen Tendenzen in der Welt, die zusätzlich das Risiko deutlicher Einbrüche im Export und damit der deutschen Konjunktur erhöhen. Die Strafzölle der USA sind ein bedrohliches Zeichen.
- Die Exporterfolge und damit die wirtschaftliche Entwicklung basiert auf Industrien, die wir schon aus dem Kaiserreich kennen: Automobil, Maschinen- und Anlagenbau und Chemie dominieren. In neuen Branchen wie der Internetwirtschaft haben wir weitgehend den Anschluss verloren.
- Die Stütze der deutschen Wirtschaft ist die Automobilindustrie, die vor einer existenziellen Krise steht. Dieselskandal und technologischer Umbruch gefährden den technologischen Vorsprung und es ist nicht sicher, dass es unserer Industrie gelingt, den Wandel zu meistern.
- Das Ausland forciert den technologischen Wandel nicht nur aus Umweltschutzgründen, sondern auch, weil er eine willkommene und legale Möglichkeit ist, den Wettbewerber aus Deutschland zu schwächen.
- Unsere relativ hohen Einkommen – gemessen am BIP pro Kopf – sind somit nicht nachhaltig. Im Gegenteil stehen sie auf sehr tönernen Füßen.
- Mit Blick auf die Vermögen der Privathaushalte müssen wir festhalten, dass das Vermögen in Deutschland nach den offiziellen Daten der EZB deutlich unter dem Niveau der Nachbarländer liegt. Wir vollbringen also das „Wunder“, gut zu verdienen, und trotzdem relativ arm zu sein.
- Die Ursachen für die geringeren Vermögen der privaten Haushalte sind vielfältig: eine besonders hohe Abgabenbelastung für die Mittelschicht, eine Präferenz der Bürger für schlecht verzinste Anlagen wie Sparbuch und Lebensversicherung. Folge eines mangelnden Verständnisses für Wirtschaft und Geldanlage sowie einer Politik des Staates, der diese Sparformen gefördert hat, auch um sich eine günstige Finanzierung zu sichern.
- Umgekehrt besitzen deutsche Privathaushalte besonders wenig Aktien und Immobilien im Vergleich zu den Haushalten in anderen Ländern. Diese beiden Anlageklassen weisen nicht nur eine besonders hohe Verzinsung auf, sie profitieren zudem überproportional von unserer Geldordnung, die Verschuldung begünstigt, die wiederum zu steigenden Vermögenspreisen beiträgt.
- Die Rettungspolitik der EZB, die mit dem milliardenschweren Aufkaufprogramm für Wertpapiere und Negativzinsen den Euro am Leben erhält, verstärkt die negativen Folgen unseres Sparverhaltens: Sachwertbesitzer und Schuldner profitieren, während Geldvermögensbesitzer die großen Verlierer sind. Eine Umverteilung von arm zu reich.
- Großer Profiteur der tiefen Zinsen ist der deutsche Staat, der alleine aufgrund der gesunkenen Finanzierungskosten eine „schwarze Null“ erwirtschaftet und die Schulden senkt. Der Überschuss im Staatshaushalt verstärkt jedoch die einseitige Exportorientierung unserer Wirtschaft, die nicht nur zu einem großen Handelsüberschuss führt, sondern auch zu einem erheblichen Kapitalexport in das Ausland.
- Auch diese Mittel legen wir erfahrungsgemäß schlecht an. So verloren deutsche Banken und Versicherungen Milliarden im Zuge der Finanzkrise und es ist abzusehen, dass wir bei den unvermeidlichen Schuldenrestrukturierungen in der überschuldeten Welt weitere erhebliche Verluste erleiden werden.
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