Das Produktivitätsparadox
Mehr Innovationen, weniger Wachstum – wie das zusammenpasst
Roger Bayston und Patrick Klein von Franklin Templeton glauben, dass vor allem Routinearbeitsplätze der kommenden Automatisierungswelle zum Opfer fielen. Foto: Franklin Templeton
Wir leben in einem Zeitalter enormer technologischer Veränderungen. Doch laut Statistiken zur Arbeitsproduktivität tragen diese Veränderungen erstaunlich wenig dazu bei, die Arbeit produktiver zu machen.
Eine zeitliche Prognose ist wie Kaffeesatzlesen
Die Vergangenheit zeigt, dass es Jahrzehnte dauern kann, bis sich eine neu erfundene Technologie in den Produktivitätskennzahlen widerspiegelt. Man denke nur an die Elektrizität, den Verbrennungsmotor und den Computer. Jede dieser Technologien war eine entscheidende Antriebsfeder für die Arbeitsproduktivität – aber nicht sofort nach ihrer Erfindung. Wie es der Ökonom Erik Brynjolfsson erklärt, waren jeweils verschiedene ergänzende Erfindungen notwendig, damit umfassende Produktivitätsgewinne eintreten konnten.5 Nach genügend Zeit und Experimenten durchdringen wichtige Technologien dann eines Tages die Wirtschaft und erhöhen...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Eine zeitliche Prognose ist wie Kaffeesatzlesen
Die Vergangenheit zeigt, dass es Jahrzehnte dauern kann, bis sich eine neu erfundene Technologie in den Produktivitätskennzahlen widerspiegelt. Man denke nur an die Elektrizität, den Verbrennungsmotor und den Computer. Jede dieser Technologien war eine entscheidende Antriebsfeder für die Arbeitsproduktivität – aber nicht sofort nach ihrer Erfindung. Wie es der Ökonom Erik Brynjolfsson erklärt, waren jeweils verschiedene ergänzende Erfindungen notwendig, damit umfassende Produktivitätsgewinne eintreten konnten.5 Nach genügend Zeit und Experimenten durchdringen wichtige Technologien dann eines Tages die Wirtschaft und erhöhen die Produktivität.
Ein Beispiel dafür sind die Auswirkungen der transportablen Energieerzeugung: Sie kombiniert die revolutionären Effekte der Elektrifizierung und des Verbrennungsmotors. Der Historiker Paul David merkt an, dass fast die Hälfte aller US-Fabriken bis nach 1919 ohne Strom arbeitete – also Jahrzehnte, nachdem Thomas Edison im Jahr 1882 das erste kommerzielle Kraftwerk errichtet hatte.6 Als die Fabriken auf Strom umgestellt wurden, musste nicht mehr eine einzige Energiequelle genutzt werden, sondern jede einzelne Maschine erhielt einen eigenen Elektromotor. Dank der derart gewonnenen Flexibilität konnten die Anlagen in Fertigungsstraßen angeordnet werden. Während viele Fabrikanten an alten Gewohnheiten festhielten, nutzten andere neue Herstellungsprozesse. Ein berühmtes Beispiel dafür ist Henry Ford, der 1913 mit der Herstellung des Modell T auf die neue Produktionsweise umstellte.
Der Ökonom Chad Syverson liefert in Abbildung 2 eine aktualisierte Darstellung dafür, wie Produktivitätsgewinne hinter Innovationen zurückbleiben können.7 Er vergleicht die Zuwächse der Arbeitsproduktivität in den USA nach Einführung transportabler Energiequellen (1890–1940) mit der aktuellen IT-Revolution, die 1970 begann. Beide Zeiträume (1915–1924 im Fall transportabler Energiequellen und 1995–2004 im Fall der IT) begannen mit einem relativ langsamen Produktivitätszuwachs, der sich über eine lange Zeit hinzog, bevor eine zehnjährige Beschleunigung einsetzte, die bei den transportablen Energiequellen von 1915 bis 1924 und bei den Informationstechnologien von 1995 bis 2004 andauerte.
Zwei Phasen der US-Arbeitsproduktivität
Abbildung 2: Transportable Energiequellen (1890–1940) und Informationstechnologien (1970–2017)
Im Fall transportabler Energiequellen wurden zur Umgestaltung der Fabriken Ingenieure und Organisationstheoretiker wie Frederick Taylor, der für Henry Ford die Fließbänder entwarf, benötigt, damit die Elektrizität als neue Technologie in Kombination mit dem Verbrennungsmotor effizienter genutzt werden konnte. Somit mussten zunächst die Einteilung und Organisation der Fertigungsschritte in der Fabrik konzeptionell geändert werden, bevor die Produktivität steigen konnte. Anders ausgedrückt: Die Produktivität wuchs dadurch, dass die Arbeitsweise der Beschäftigten umfassend geändert wurde. Nach vielen Versuchen und Fehlschlägen begann im Jahr 1915 schließlich eine Zeit soliden Produktivitätswachstums.
5 Brynjolfsson E., Rock D., Syverson C., Dezember 2017. „Artificial Intelligence and the Model Productivity Paradox: A Calsh of Expectations and Statistics.“ National Bureau of Economic Research, Working Paper Nr. 24001.
6 David, P., 1991. „Computer and Dynamo: The Modern Productivity Paradox in a Not-Too-Distant Mirror.“ In: Technology and Productivity: The Challenge for Economic Policy, Paris: OECD Publishing: 315–347.
7 Syverson, C., 2013. „Will History Repeat Itself? Comments on ‘Is the Information Technology Revolution Over?’“ International Productivity Monitor, 25: 37–40.
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