Volkswirt Jörg Angelé
Darum sinken die Preise
Jörg Angelé ist Volkswirt bei Bantleon. Foto: Thomas Wieland
In der Eurozone verdichten sich die Anzeichen für einen scharfen Rückgang der Inflation. Ende 2023 dürfte die Teuerungsrate auf rund 2 Prozent sinken, ist Jörg Angelé von der Anlagegesellschaft Bantleon überzeugt. Hier nennt der Volkswirt Gründe.
Die Verbraucherpreise sind im abgelaufenen Jahr in der Eurozone um 8,4 Prozent gestiegen und damit so stark wie nie seit Bestehen der Währungsunion. Man muss schon bis ins Jahr 1982 zurückgehen, um – für eine fiktive Eurozone – eine größere Preissteigerung festzustellen. Laut Eurostat erreichte die Inflationsrate im Jahresdurchschnitt damals 10,2 Prozent (siehe Abbildung 1).
Maßgeblich verantwortlich für den letztjährigen Teuerungsschub waren die Energiepreise, die gegenüber 2021 um 37,0 Prozent zugelegt haben. Kräftig nach oben ging es auch mit den Nahrungsmittelpreisen. Gegenüber dem Vorjahr beläuft sich der Anstieg auf 10,5 Prozent. Verglichen mit derart großen Zuwachsraten sieht das...
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Die Verbraucherpreise sind im abgelaufenen Jahr in der Eurozone um 8,4 Prozent gestiegen und damit so stark wie nie seit Bestehen der Währungsunion. Man muss schon bis ins Jahr 1982 zurückgehen, um – für eine fiktive Eurozone – eine größere Preissteigerung festzustellen. Laut Eurostat erreichte die Inflationsrate im Jahresdurchschnitt damals 10,2 Prozent (siehe Abbildung 1).
Maßgeblich verantwortlich für den letztjährigen Teuerungsschub waren die Energiepreise, die gegenüber 2021 um 37,0 Prozent zugelegt haben. Kräftig nach oben ging es auch mit den Nahrungsmittelpreisen. Gegenüber dem Vorjahr beläuft sich der Anstieg auf 10,5 Prozent. Verglichen mit derart großen Zuwachsraten sieht das Plus bei der Kerninflation – ohne Energie, Nahrungs- und Genussmittel – mit 3,9 Prozent geradezu bescheiden aus, obwohl es sich ebenfalls um einen Rekordwert handelt. Die bis dato stärkste Steigerung seit Bestehen der Eurozone wurde bei diesem Inflationsmaß im Jahr 2002 mit 2,4 Prozent verzeichnet. Lediglich bei den Preisen für Genussmittel – das sind in erster Linie Alkohol und Tabak – bleibt der Zuwachs mit 3,3 Prozent erheblich hinter bisherigen Höchstwertwerten von bis zu 7,5 Prozent zurück.
Abbildung 1: 2022 war ein Ausnahmejahr
Nachdem das zyklische Inflationshoch im Oktober mit 10,6 Prozent erreicht wurde, zeichnet sich für das laufende Jahr ein scharfer Rückgang der Teuerungsrate ab. Ausschlaggebend sind erneut die Energiepreise. Zum einen werden die in zahlreichen Euroländern eingeführten Gas- und Strompreisbremsen ihre Wirkung entfalten, zum anderen hat der rückläufige Ölpreis einen inflationsdämpfenden Effekt. Der inflationstreibende Beitrag von Gas, Strom, Kraftstoffen und Heizöl wird unseren Berechnungen zufolge von 4,1 Prozent-Punkten im abgelaufenen Jahr auf 0,0 Prozent-Punkte zurückgehen (siehe Abbildung 2). Infolge des jüngsten Rückgangs der Preise für Kraftstoffe, Heizöl und Gas haben wir unsere Prognose von Mitte November mithin um 0,5 Prozentpunkte nach unten korrigiert. Verharrte der Großhandelspreis für Gas das ganze Jahr auf dem zuletzt erreichten Niveau von etwa 75 Euro pro Megawattstunde, ergäbe sich 2023 sogar ein negativer Wachstumsbeitrag der Energiepreise zur Inflationsrate.
Abbildung 2: Energiepreise werden vom Inflationstreiber zur Inflationsbremse
Dabei werden die Energiepreise selbst mit dem von uns unterstellten Gaspreis in Höhe von durchschnittlich 130 Euro pro Megawattstunde insbesondere im zweiten Halbjahr deutlich inflationsdämpfende Effekte entfalten. Im vierten Quartal dürfte deren Beitrag zur Teuerungsrate bei minus 1,5 Prozentpunkten liegen. In einigen Mitgliedsländern, wie beispielsweise den Niederlanden, werden die Energiepreiseffekte so markant ausfallen, dass die Teuerungsrate 2023 zeitweilig gar in den negativen Bereich abtauchen dürfte.
Im Gegensatz zu den Energiepreisen zeichnet sich bei den Nahrungsmittelpreisen (Gewicht am Warenkorb: 16,6 Prozent) kein scharfer Richtungswechsel ab. Es verdichten sich jedoch zumindest die Hinweise, dass das Inflationshoch auch hier nicht mehr weit entfernt ist. Wir sind darüber hinaus zuversichtlich, dass der Preisauftrieb im Verlauf des Jahres spürbar nachlässt.
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