Joachim Ragnitz vom Ifo Institut
Joachim Ragnitz vom Ifo Institut
Die Folgen der Bevölkerungsentwicklung sind noch viel dramatischer, als es diese eher quantitative Betrachtung vermuten lässt, denn auch qualitativ haben die ostdeutschen Länder ein demographisches Problem: Abgewandert sind in der Vergangenheit vor allem besser qualifizierte Bevölkerungsgruppen; geblieben sind eher Personen mit unterdurchschnittlichen Qualifikationen. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt darin, dass sich in Ostdeutschland in den vergangenen 30 Jahren eine Wirtschaftsstruktur herausgebildet hat, die nur einen geringen Bedarf an gut qualifizierten Fachkräften hatte (Stichwort „verlängerte Werkbänke“), so dass Arbeitsplätze für gut qualifizierte Berufsanfänger, insbesondere Hochschulabsolventen, in Ostdeutschland häufig überhaupt nicht vorhanden waren.
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Die Folgen der Bevölkerungsentwicklung sind noch viel dramatischer, als es diese eher quantitative Betrachtung vermuten lässt, denn auch qualitativ haben die ostdeutschen Länder ein demographisches Problem: Abgewandert sind in der Vergangenheit vor allem besser qualifizierte Bevölkerungsgruppen; geblieben sind eher Personen mit unterdurchschnittlichen Qualifikationen. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt darin, dass sich in Ostdeutschland in den vergangenen 30 Jahren eine Wirtschaftsstruktur herausgebildet hat, die nur einen geringen Bedarf an gut qualifizierten Fachkräften hatte (Stichwort „verlängerte Werkbänke“), so dass Arbeitsplätze für gut qualifizierte Berufsanfänger, insbesondere Hochschulabsolventen, in Ostdeutschland häufig überhaupt nicht vorhanden waren.
Und auch aktuell, dies zeigt eine kürzlich erschienene Studie , ist die Abwanderung von Abiturienten und Hochschulabsolventen aus den ostdeutschen Ländern noch immer überproportional hoch: Ostdeutschland ist für „Bildungswanderer“ zwar durchaus attraktiv, aber nach wie vor verlässt ein Großteil der Absolventen nach Ausbildungsabschluss den Osten wieder, um anderswo eine Arbeitsstelle anzunehmen. Das verschärft die Probleme der Nachbesetzung frei werdender Stellen für Fachkräfte zusätzlich.
Gleichzeitig zeigen viele Studien, dass die Geburtenrate auch vom Bildungsniveau der Eltern abhängig ist: Bei höherer Kinderzahl in bildungsfernen Elternhäusern besteht daher die Gefahr, dass künftig eine weitere Verschlechterung der qualitiativen Zusammensetzung der Bevölkerung eintreten kann – was nur durch forcierte Bildungsinvestitionen im Schulbereich ausgeglichen werden kann. Die flächendeckend überdurchschnittlich hohen Misserfolgsquoten im Allgemeinen Schulbildungssystem Ostdeutschlands zeigen allerdings, dass dies bislang nicht in ausreichendem Maße gelingt.
Projektionen zur weiteren wirtschaftlichen Entwicklung Ostdeutschlands zeigen vor diesem Hintergrund, dass kein ostdeutsches Bundesland unter auch nur halbwegs plausiblen Annahmen bis zum Jahr 2035 an das Westniveau aufschließen kann. Während Sachsen immerhin einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf auf dann knapp 80 Prozent des gesamtdeutschen Durchschnittswerts erreichen dürfte (aktuell: 75 Prozent), werden die übrigen Länder bestenfalls ihr heutiges relatives Niveau halten können. Treibende Kraft dabei ist die negative demographische Entwicklung, deren dämpfende Wirkung nach Lage der Dinge auch durch Produktivitätssteigerungen nicht ausgeglichen werden kann.
Es macht daher wenig Sinn, den Erfolg oder Misserfolg des Aufbau Ost weiterhin primär daran zu messen, ob ein Aufholen an den Westen erreicht wird. Besser wäre es, auf Ost-West-Vergleiche gänzlich zu verzichten und vielmehr allein den wirtschaftlichen Fortschritt im Vergleich zu früheren Jahren als Messlatte heranzuziehen. Alles andere würde vermutlich das Gefühl des „Abgehängtseins“, dass viele Menschen in Ostdeutschland empfinden, auf Dauer perpetuieren.
Um den negativen Einfluss der demographischen Entwicklung zu kompensieren und bis zum Jahr 2035 wenigstens das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner der strukturschwachen West-Länder (Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein) zu erreichen, müssten die ostdeutschen Flächenländer Jahr für Jahr ein Produktivitätswachstum (gemessen an der Totalen Faktorproduktivität) erreichen, welches um das Zweieinhalbfache höher ist als im Durchschnitt der vergangenen 20 Jahre. Es ist offenkundig, dass dies einigermaßen unrealistisch ist. Sinnvoller erscheint es deshalb, verstärkt an der eigentlichen Ursache für die negativen Wachstumsperspektiven anzusetzen, nämlich der ungünstigen Entwicklung der erwerbsfähigen Bevölkerung. Da die Potenziale zur Erhöhung der Erwerbstätigenquote (Arbeitslose, Frauen und ältere Personen) beschränkt sind, kann es also nur darum gehen, mehr Zuwanderer für Ostdeutschland zu gewinnen.
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