Lutz Röhmeyer
Die Probleme in Argentinien sind hausgemacht
Aktualisiert am 17.03.2020 - 15:35 Uhr
Lutz Röhmeyer ist geschäftsführender Gesellschafter der Capitulum Asset Management. Foto: Capitulum Asset Management
Argentinien steht einmal mehr vor schweren Zeiten. Anleger befürchten eine Rückkehr in die dunkle Vergangenheit, eine Zeit mit mehr als einem Jahrzehnt im Staatsbankrott. Lutz Röhmeyer erläutert, worauf Investoren jetzt besonders achten sollten.
Seit der Testwahl für die in zwei Monaten anstehenden argentinischen Präsidentschaftswahlen sahen wir innerhalb kürzester Zeit massive Verwerfungen am lokalen Kapitalmarkt, Verhandlungen über Laufzeitstreckungen der IWF-Hilfsgelder, Umstrukturierungen der Anleihen und die Wiedereinführung von Kapitalverkehrskontrollen zur Währungsstabilisierung – eigentlich alles Dinge, die wohl ohnehin mit einer neuen Regierung gekommen wären. All dies kam selbst für die argentinischen Wähler überraschend, obwohl Sie es buchstäblich selbst in Form des Wahlzettels in der Hand hatten und bis zur endgültigen Abstimmung immer noch haben. Aber der Reihe nach.
Das Ergebnis der landesweiten, verpflichtenden...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Seit der Testwahl für die in zwei Monaten anstehenden argentinischen Präsidentschaftswahlen sahen wir innerhalb kürzester Zeit massive Verwerfungen am lokalen Kapitalmarkt, Verhandlungen über Laufzeitstreckungen der IWF-Hilfsgelder, Umstrukturierungen der Anleihen und die Wiedereinführung von Kapitalverkehrskontrollen zur Währungsstabilisierung – eigentlich alles Dinge, die wohl ohnehin mit einer neuen Regierung gekommen wären. All dies kam selbst für die argentinischen Wähler überraschend, obwohl Sie es buchstäblich selbst in Form des Wahlzettels in der Hand hatten und bis zur endgültigen Abstimmung immer noch haben. Aber der Reihe nach.
Das Ergebnis der landesweiten, verpflichtenden Vorwahlen für das Präsidentenamt und das nationale Parlament bestätigte den bereits erwarteten Sieg für das peronistische Wahlbündnis „Frente para Todos“ mit Präsidentschaftskandidat Alberto Fernández und der ehemaligen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner als seinem Stellvertreter. Überraschend war allerdings der deutliche Vorsprung vor dem eher markt- und wirtschaftsfreundlichen amtierenden Präsidenten Mauricio Macri. Der Kapitalmarkt schätzt dieses Ergebnis als praktisch uneinholbar ein und reagierte umgehend mit harschen Kursverlusten bei Aktien, Anleihen und Währung.
Anleger befürchten nun eine Rückkehr in die dunkle Vergangenheit Argentiniens, eine Zeit mit mehr als einem Jahrzehnt im Staatsbankrott unter der Ägide einer linksgerichteten Regierung. Präsident Macri hatte nach seiner Machtübernahme im Jahr 2015 ein Hilfsprogramm mit dem IWF ausgehandelt, Argentinien wieder kapitalmarktfähig gemacht und durch lehrbuchmäßige Reformen die wirtschaftlichen Ungleichgewichte adressiert. Bedauerlicherweise kommen die Wahlen nunmehr zu früh. Denn für viele Wähler waren vor allem der notwendige Abbau von Sozialausgaben und die gestiegenen Preise nach Aufhebung der regulatorischen Preisdeckelungen spürbar – aber noch keine Besserung in den allgemeinen Lebensverhältnissen.
Der rapide und gleichzeitige Verfall von Währung, Aktien und Anleihen auf ein faktisches Bankrottniveau hat aber auch sie verschreckt, wie die schlagartig einsetzende Kapitalflucht der scheinbar unvorbereiteten Bürger zeigt. Die Mehrzahl der globalen Anleger ist trotz der rationalen Erwartung eines Machtwechsels mit Übergewichtungen in Argentinien in die Wahlperiode hineingegangen. Das zeigen Statistiken.
Auch wenn nun die Kapitalmarktreaktion viele Wähler zu einem Umdenken bewegen sollte, ist eine Wiederwahl Macris derzeit weiter unwahrscheinlich, auch wenn dieser nun versucht, Kapital aus der Angst vor den Linkspopulisten zu ziehen. Wirtschaftlich ist der Vertrauensschaden bereits eingetreten, verkehrt die Wirkung der bisherigen Reformen ins Gegenteil und wirft das Land in der Entwicklung abermals um Jahrzehnte zurück.
Was Anleger nun beachten müssen
Ausländische Investoren sorgten auch in diesem Jahr für konstante Zuflüsse in den Peso. Das Hauptproblem aber bleibt die – trotz rekordhoher Zinsen – beständige und durch Misstrauen getriebene Kapitalflucht der Inländer. Die Schulden des Landes sind überwiegend in harter Währung wie dem US-Dollar ausgestellt, während die Steuereinnahmen auf heimische Währung lauten.
Der argentinische Peso präsentiert sich zurzeit als schwächste Währung weltweit und wertete im August schlagartig um 20 Prozent. Seit Jahresbeginn summiert sich die Abwertung zum Euro auf mehr 30 Prozent. Dadurch hat sich der Schuldenstand bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt von noch niedrigen 40 Prozent zu Beginn der Legislaturperiode auf nunmehr etwa 100 Prozent mehr als verdoppelt. Damit ist das Austauschverhältnis des Pesos zur Schlüsselvariable bei der Betrachtung der Schuldentragfähigkeit geworden.
Die Grafik zeigt die Währungsentwicklung seit der Amtseinführung Macris.
Bei der Bonitätsanalyse stellt sich schnell die Frage nach einem anstehenden Schuldenschnitt. Dieser liegt aktuell nicht im Interesse der beteiligten Parteien, im Sinne der Gläubiger sowieso nicht. Der IWF steht derzeit dem Land mit dem historisch größten Hilfsprogramm über fast 60 Milliarden US-Dollar und Sachverstand zur Seite. Nach der wechselhaften Beziehung mit Argentinien wären ein Staatsbankrott und das Scheitern aber ein Gesichtsverlust. Mangelhafte Prüfungen der gewährten Finanzhilfen wird man sich nur ungern vorwerfen lassen wollen und damit einer Verlängerung des Programms offen gegenüberstehen.
Die Regierung um Macri, die den Deal mit dem IWF ausgehandelt und alle Anleihen nach Heilung des Staatsbankrotts emittiert hat, steht in der Verantwortung für die Staatsschuld und zeigt sich weiterhin als zahlungswillig. Selbst die nun wahrscheinlich bald regierende Opposition wünscht sich mit Blick auf den letzten chaotisch verlaufenen Staatsbankrott mit schnell wechselnden Regierungen einen besseren Start in die Amtszeit. Zu oft müssen in Krisenzeiten eingesetzte Regierungen pragmatisch unter den übernommenen Sachzwängen agieren und können den Großteil der versprochenen Wohltaten mangels Einnahmen nicht umsetzen.
Abgesehen von der noch vorhandenen Zahlungswilligkeit könnte das Land aber durch ein weiteres Absinken der Währung und gleichzeitig explodierender Staatsschuld in Relation zum BIP gezwungen werden, unabhängig von den Parteigrenzen den Zahlungsausfall erklären zu müssen. Nach vorliegenden Analysen hat sich der Wechselkurs bereits diesem Szenario durch die Unterbewertung angepasst.
Während die linkspopulistische Opposition bereits früher eine Abwertung forderte, wurde sie nun vom Kapitalmarkt überholt und sieht den Wechselkurs als angemessen an. Damit geht es in der vor uns liegenden Zeit bis zur Wahl vor allem um eine Stabilisierung der Situation und ein Verhindern des Abgleitens in unkontrollierbare Sphären.
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