Thorsten Polleit
„Die Fed ist weiter im Blindflug unterwegs“
Thorsten Polleit ist Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel. Foto: Degussa Goldhandel
Die weltweiten Zentralbanken sorgen für ein fortgesetztes Anwachsen der Schuldenlasten, erklärt Thorsten Polleit, Chefvolkswirt bei Degussa Goldhandel. Damit das Schuldenkartenhaus nicht in sich zusammenfällt, müssten sie den Marktzins künstlich unter sein natürliches Niveau senken.
Die amerikanischen Zinsen steigen kontinuierlich, vor allem weil erwartet wird, dass die US Federal Reserve (Fed) ihren Leitzins in den nächsten Quartalen weiter erhöhen wird. Die Federal Funds Rate befindet sich derzeit in einer Bandbreite von 2,00 bis 2,25 Prozent, und die Rendite der 10-jährigen US Staatsanleihen ist auf deutlich über 3 Prozent angestiegen. Weiter steigende Zinsen dürften weitreichende Konsequenzen für die Wirtschaft haben, vor allem auch für die Kapitalmärkte.
Das wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, was ein Absenken der Marktzinsen durch die Zentralbanken – wie es in der letzten Dekade passiert ist – anrichtet: Die Geldbehörden unter der Führung der Fed...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
Da diese Artikel nur für Profis gedacht sind, bitten wir Sie, sich einmalig anzumelden und einige berufliche Angaben zu machen. Geht ganz schnell und ist selbstverständlich kostenlos.
Die amerikanischen Zinsen steigen kontinuierlich, vor allem weil erwartet wird, dass die US Federal Reserve (Fed) ihren Leitzins in den nächsten Quartalen weiter erhöhen wird. Die Federal Funds Rate befindet sich derzeit in einer Bandbreite von 2,00 bis 2,25 Prozent, und die Rendite der 10-jährigen US Staatsanleihen ist auf deutlich über 3 Prozent angestiegen. Weiter steigende Zinsen dürften weitreichende Konsequenzen für die Wirtschaft haben, vor allem auch für die Kapitalmärkte.
Das wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, was ein Absenken der Marktzinsen durch die Zentralbanken – wie es in der letzten Dekade passiert ist – anrichtet: Die Geldbehörden unter der Führung der Fed haben die Marktzinsen auf extrem niedrige Niveaus gezwungen und sie dort eine sehr lange Zeit festgehalten. Was geschieht genau in einem Umfeld derart künstlich niedrig gedrückter Zinsen?
Effekte der Zinsmanipulation
- Der künstlich gedrückte Zins löst einen nicht nachhaltigen „Boom“ aus. Firmen erweitern ihre Produktionsmöglichkeiten, stellen neues Personal an, zahlen höhere Löhne und die Wirtschaft expandiert. Doch der Boom entmutigt das Sparen und befeuert den Konsum und die Investitionen. Dadurch beginnt die Volkswirtschaft sprichwörtlich über ihre Verhältnisse zu leben.
- Die künstliche Verringerung des Zinses verleitet die Firmen dazu, vor allem langfristige Investitionen zu tätigen. Die volkswirtschaftliche Produktions- und Beschäftigungsstruktur gerät dadurch durcheinander. Knappe Ressourcen werden vermehrt in die Kapitalgüterindustrie gelockt, während die Investitionen in der Konsumgüterindustrie dahinter zurückbleiben.
- Der künstliche Niedrigzins bläht die Aktien- und Häuserpreise auf: Die zukünftig erwarteten Zahlungen werden fortan mit einem geringeren Zins abdiskontiert, was ihren Barwert erhöht und damit zu einem höheren Marktpreis führt. Außergewöhnlich niedrige Zinsen führen zudem zu erhöhten Bewertungen. Zum Beispiel erhöht sich das Kurs-Gewinn-Verhältnis von Aktien und Häusern.
- Der verringerte Zins führt zu einem Anstieg der Preise für Produktionsmittel (Energie, Zwischenprodukte, Arbeit etc.). Firmen kaufen diese Produktionsfaktoren nämlich zu einem Preis ein, der dem Mehrwert (Grenznutzen) dieser Produktionsfaktoren entspricht, wenn diese mit dem derzeitigen Marktzins abdiskontiert werden.
- Der Risikoappetit der Investoren steigt, wenn der Zins fällt. Kredithungrige Konsumenten, Firmen und öffentliche Körperschaften können fällige Schulden zu günstigeren Konditionen refinanzieren, und niedrige Kreditkosten ermutigen auch dazu, sich noch höher zu verschulden. Der Verschuldungsspielraum steigt, wenn der niedrige Zins die Marktwerte der Kreditsicherheiten in die Höhe treibt.
Der natürliche Zins
Vor diesem Hintergrund, könnte man zum Schluss gelangen, ein Zinsanstieg werde unausweichlich für Probleme sorgen: Verlangsamung der Konjunktur, Einbruch der Produktions- und Beschäftigungsstruktur, Deflation der Vermögenswertpreise, wachsender Druck auf die Kreditnehmer. Doch die Sache ist nicht ganz so einfach. Es kommt in entscheidendem Maße auf den sogenannten „natürlichen Zins“ an.
Der natürliche Zins ist ein Bestandteil des Marktzinses, und er ist definiert als der Zins, der die Ersparnisse und Investitionen in Übereinstimmung bringt. Wenn die Zentralbank den Marktzins unter den natürlichen Zins absenkt, treibt sie die Wirtschaft in einen Boom, und wenn sie den Marktzins über den natürlichen Zins hinaus anhebt, verursacht sie einen Bust.
- Seite 1 − Die Effekte der Zinsmanipulation
- Seite 2 − Prozess von Versuch und Irrtum
Über den Autor