DZ-Bank-Spezialist Sebastian Grupp
Was hinter der EZB-Politik steckt
Sebastian Grupp ist Analyst bei der DZ Bank. Foto: DZ Bank
Die Whatever-it-takes-Rede des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi markiert eine geldpolitische Wende in Europa. Seitdem übernimmt die EZB das Risikomanagement für Staaten, sagen Sebastian Grupp und Sven Streibel von der DZ Bank. Welche Folgen das hat, erklären die Experten hier.
(Fiskal-)politisch gesprochen sollte ausgerechnet die Staatsschuldenkrise der Beginn einer für die Finanzminister nahezu goldenen Ära mit rekordniedrigen Refinanzierungssätzen werden. Trotz hoher Schuldenstände sind die Aufwendungen für den Schuldendienst massiv gesunken. So musste Italien 2021 nur noch 3,5 Prozent seines BIP für die Zinslast aufwenden im Vergleich zu 4,6 Prozent im Jahr 2011 – obwohl die Schuldenlast im selben Zeitraum deutlich von 120 Prozent des BIP auf rund 151 Prozent gestiegen war. Der finanzielle Freiraum wuchs, der idealerweise zur Schuldentilgung genutzt worden wäre. Politisch ließ sich die zunehmende Bedrohung von (rechts-) populistischer Seite aber eher...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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(Fiskal-)politisch gesprochen sollte ausgerechnet die Staatsschuldenkrise der Beginn einer für die Finanzminister nahezu goldenen Ära mit rekordniedrigen Refinanzierungssätzen werden. Trotz hoher Schuldenstände sind die Aufwendungen für den Schuldendienst massiv gesunken. So musste Italien 2021 nur noch 3,5 Prozent seines BIP für die Zinslast aufwenden im Vergleich zu 4,6 Prozent im Jahr 2011 – obwohl die Schuldenlast im selben Zeitraum deutlich von 120 Prozent des BIP auf rund 151 Prozent gestiegen war. Der finanzielle Freiraum wuchs, der idealerweise zur Schuldentilgung genutzt worden wäre. Politisch ließ sich die zunehmende Bedrohung von (rechts-) populistischer Seite aber eher durch eine großzügige Ausschüttung der „Draghi-Dividende“ abwenden – eine Entscheidung, die in den kommenden Jahren noch nachwirken wird, da sich nunmehr das Ende ultraniedriger Zinsen abzeichnet.
Auch die wirtschaftlichen Wachstumsraten waren durch den gewonnen fiskalpolitischen Freiraum nunmehr höher. Die Staaten konnten mehr investieren und / oder die Steuern senken – eine Option, von der nicht nur die Peripheriestaaten, sondern auch Deutschland Gebrauch machte.
Crowding-Out privater Investoren an den Anleihemärkten
Die weitreichendsten Folgen eines Jahrzehnts der unkonventionellen EZB-Maßnahmen sind aber auf der Marktseite spürbar. Die Renditen von Bundesanleihen sanken stetig, zwischenzeitlich lag die gesamte Renditestrukturkurve im negativen Bereich. Gleichzeitig engten sich die Peripherie-Spreads trotz hoher Schuldenstände massiv ein. Die EZB als regelmäßiger Käufer von Anleihen verdrängte private Investoren (Crowding-Out), die entweder kaum noch Zinsen für ihr Erspartes erhielten oder in riskantere Assetklassen auswichen und trotzdem eine zunehmend geringere Rendite erhielten. Der Begriff „Financial Repression“ machte die Runde und hob die negativen Folgen des Markteingriffs hervor. Der Vorteil der Staaten, sich günstig refinanzieren zu können, wurde durch eine Umverteilung vor allem zulasten der Anleger erzwungen.
Während die Sparer unter Dürrejahren litten, brachen für Kreditnehmer, Aktionäre und Immobilienbesitzer rosige Zeiten an. Insbesondere im Immobiliensektor hat sich die Preisspirale inzwischen so weit gedreht, dass die Bundesbank zu dem Schluss kommt, dass sich in Teilen des deutschen Marktes bereits Preisblasen gebildet haben.
Zehn Jahre Eurorettung, zehn Jahre Aktienmarkt-Unterstützung
Die Auswirkungen der Großen Finanzkrise und der nachfolgenden Eurokrise beschränkten sich nicht nur auf den Staatsanleihenmarkt der europäischen Peripherieländer. Vielmehr breitete sich das Risiko auf die globalen und Vermögensklassenübergreifenden Kapitalmärkte aus. Eine wirtschaftliche Beeinträchtigung bis hin zu einem Zerfall des Europäischen Währungsraums hätte aufgrund seiner Größe und Bedeutung enorm negative Auswirkungen auf internationaler Ebene nach sich ziehen können. Die resoluten Rettungsmaßnahmen der EZB hatten somit einen überregionalen Beruhigungseffekt auf die Kapitalmärkte.
Insbesondere der Aktienmarkt reagierte nach einer vorangegangenen Durststrecke umgehend positiv auf Mario Draghis Äußerung, allen voran die zyklischen europäischen Indizes.
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