DZ-Bank-Spezialist Sebastian Grupp
Was hinter der EZB-Politik steckt
Sebastian Grupp ist Analyst bei der DZ Bank. Foto: DZ Bank
Die Whatever-it-takes-Rede des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi markiert eine geldpolitische Wende in Europa. Seitdem übernimmt die EZB das Risikomanagement für Staaten, sagen Sebastian Grupp und Sven Streibel von der DZ Bank. Welche Folgen das hat, erklären die Experten hier.
Das bedingungslose Versprechen, den Euroraum und damit auch die Gewinne der europäischen Exportweltmeister zu sichern, glich einem Blankoscheck für Investoren, am Aktienmarkt zuzugreifen: „Komme was wolle, die EZB wird’s schon richten“. Draghis Versicherungspolice für Euroanleger wird seitdem auch als „Draghi-Put“ bezeichnet. Die Anspielung bezieht sich auf das englische Wort „Put-Option“, ein Terminkontrakt zur Kursabsicherung, der Kapitalmarktinvestoren, hier speziell für Aktien und Anleihen, von der EZB ausgestellt wurde.
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Ein Nebeneffekt mit Folgen
Die folgenden Leitzinssenkungen und vor...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Das bedingungslose Versprechen, den Euroraum und damit auch die Gewinne der europäischen Exportweltmeister zu sichern, glich einem Blankoscheck für Investoren, am Aktienmarkt zuzugreifen: „Komme was wolle, die EZB wird’s schon richten“. Draghis Versicherungspolice für Euroanleger wird seitdem auch als „Draghi-Put“ bezeichnet. Die Anspielung bezieht sich auf das englische Wort „Put-Option“, ein Terminkontrakt zur Kursabsicherung, der Kapitalmarktinvestoren, hier speziell für Aktien und Anleihen, von der EZB ausgestellt wurde.
Ein Nebeneffekt mit Folgen
Die folgenden Leitzinssenkungen und vor allem die Anleihekaufprogramme hatten allerdings ihre ganz eigene Wirkung auf die (europäischen) Aktienmärkte. Sinkende Zinsen und Anleiherenditen verbesserten zum einen die Finanzierungsbedingungen der Unternehmen und förderten, je nachdem welcher Wirtschaftstheorie man folgen mag, auch direkt die Konjunktur. Beides wiederum stärkte die Gewinnerwartungen der Unternehmen zusätzlich und führte zu einer weiteren Unterstützung der Aktienkurse.
Immer weiter sinkende Anleiherenditen, sogar bis in negatives Terrain, veranlassten jedoch so manchen Investor auf defensive, und wenn möglich, ertragsstarke Aktiensegmente als „Anleihe-Ersatz“ auszuweichen. Aktien im Allgemeinen und Dividendentitel sowie (große US-) Technologiewerte im Besonderen waren daraufhin gesucht. Im Zuge dessen weiteten sich ihre Bewertungen immer weiter aus.
(Diese) Aktien wurden des Öfteren als überteuert kritisiert, dabei hatte sich ihre Bewertung schlicht und einfach an den vorherrschenden Anlagenotstand aufgrund niedriger beziehungsweise nicht vorhandener Zinsen angepasst. Die (US-) Zinswende kehrt diesen Effekt schließlich um. Zinsen und Anleiherenditen sind seit Jahresbeginn stark angestiegen. Die vorherigen Profiteure der Niedrigzinspolitik mussten daher im Jahresverlauf auch die größten Kursverluste verzeichnen.
Die Zinswende geht auch nicht an der EZB vorbei, sie muss sorgsam zwischen Inflationsbekämpfung und geldpolitischem Stimulus abwägen. Der Zinsdruck wird deshalb auch weiterhin insbesondere auf den (immer noch) hoch bewerteten Aktiensegmenten lasten. Allerdings sind es genau die defensiven und ertragsstarken Sektoren, die bei einer drohenden Konjunktureintrübung die vergleichsweise „sicheren Häfen“ darstellen.
Staatsanleihekäufe wirken wie ein süßes Gift
Zehn Jahre nach der Rede Draghis sieht die Welt zumindest in Teilen anders aus. Deflationssorgen haben sich zu Inflationssorgen gewandelt. Allerdings war nicht die ultra-expansive Geldpolitik der EZB Auslöser für die derzeit hohen Inflationsraten, sondern der Ukraine-Krieg und die Corona-Pandemie sowie die damit einhergehenden Probleme bei den globalen Lieferketten. Nichtsdestotrotz ist die EZB nun zum Handeln gezwungen, um ein Verstetigen der Inflation durch eine Preis-Lohn-Spirale zu verhindern. Vor diesem Hintergrund beendete die EZB Anfang Juli die Neukäufe von Wertpapieren und hob in ihrer jüngsten Ratssitzung die Leitzinsen um 50 Basispunkte an – ein negativer Einlagesatz ist somit vorerst Geschichte. Noch früher handelte bereits die Fed, welche ihre Leitzinsen schon deutlich eher anhob und somit eine Zeit höherer Zinsen eingeläutet hatte.
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