Volkswirt Ulrich Kater
Notenbanker tun gut daran, die Zügel zu straffen
Ulrich Kater ist Chefvolkswirt der Dekabank. Foto: Dekabank
Viele Marktteilnehmer hoffen derzeit auf ein schnelles Ende der Inflation. Der harte Kern des Teuerungsdrucks wird so schnell jedoch nicht verschwinden, ist Ulrich Kater überzeugt. In seinem Gastbeitrag nennt der Deka-Chefvolkswirt Gründe und sagt, welche Vorteile der Preisauftrieb für Anleger mit sich bringt.
In vielerlei Hinsicht erweist sich das Jahr 2022 als weiteres annus horribilis, wie die britische Königin Elizabeth II. einmal das für das englische Königshaus dramatische Jahr 1992 kennzeichnete. Nicht nur, dass die Queen in diesem Jahr von dieser Welt gegangen ist, auch die ökonomischen und weltpolitischen Umstände lassen dieses Jahr als ein Unglücksjahr in der Weltgeschichte eingehen. Inflation und Krieg in Europa, wachsende politische Spannungen in der Weltpolitik sowie steigende Befürchtungen von den Auswirkungen einer Reihe von Trends, vom Klimawandel bis zu wahrgenommenen sozialen Spannungen.
Wenn man den dramatischen Kursbewegungen an den Finanzmärkten überhaupt etwas Gutes abgewinnen...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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In vielerlei Hinsicht erweist sich das Jahr 2022 als weiteres annus horribilis, wie die britische Königin Elizabeth II. einmal das für das englische Königshaus dramatische Jahr 1992 kennzeichnete. Nicht nur, dass die Queen in diesem Jahr von dieser Welt gegangen ist, auch die ökonomischen und weltpolitischen Umstände lassen dieses Jahr als ein Unglücksjahr in der Weltgeschichte eingehen. Inflation und Krieg in Europa, wachsende politische Spannungen in der Weltpolitik sowie steigende Befürchtungen von den Auswirkungen einer Reihe von Trends, vom Klimawandel bis zu wahrgenommenen sozialen Spannungen.
Wenn man den dramatischen Kursbewegungen an den Finanzmärkten überhaupt etwas Gutes abgewinnen möchte, dann, dass längst überfällige Korrekturen in diesem Jahr mit einer Deutlichkeit stattgefunden haben, die ohne die dramatischen Begleitumstände wahrscheinlich nicht möglich gewesen wären. So ist schwer vorstellbar, dass die Geldpolitik, insbesondere in Europa, ohne diese Dramatik ihren geldpolitischen Kurs so deutlich korrigiert hätte, wie sie es nun getan hat. Ohne die Energiekomponente läge die Inflationsrate heute wahrscheinlich im Bereich von 3 bis 4 Prozent. Diese Werte hätten insbesondere in der Öffentlichkeit bei weitem nicht das Aufsehen und die Beängstigung erregt, die bei den gegenwärtigen Inflationsraten um die 10 Prozent aufgekommen ist.
Zwar wäre eine Kerninflation von 3 oder 4 Prozent ebenfalls nicht hinnehmbar gewesen. Sie hätte jedoch weit weniger Druck auf die Notenbanken ausgeübt, hier schnell und energisch gegenzuhalten. Dieser harte Kern der Inflation ist nicht dem Putinschen Krieg in der Ukraine zuzuordnen, sondern er entstand durch eine Überstimulierung der Volkswirtschaften in den Corona-Jahren 2020 und 2021. In der richtigen Absicht, die Volkswirtschaften in Zeiten der pandemiebedingten Einbrüche zu stabilisieren, ist insbesondere die US-Regierung über das Ziel hinausgeschossen. Die durch die überdimensionierten Konjunkturprogramme hervorgerufene hohe Güternachfrage insbesondere der US-amerikanischen Konsumenten, aber auch anderswo, überforderte die Produktionskapazitäten der Weltwirtschaft, die zusätzlich durch die Produktionsbedingungen unter den Lockdowns beeinträchtigt gewesen waren.
Die Folge war bereits vor dem Kriegsausbruch in Osteuropa Preissteigerungen im Bereich von Vorprodukten, die dann auch bald die Verbraucherpreise erreichten. Die träge Reaktion, die die Notenbanken selbst bei den dann folgenden sprunghaften Anstiegen der Rohstoff- und Energiepreise an den Tag legten, lässt vermuten, dass sich die Geldpolitik wahrscheinlich auch später nicht deutlich bewegt hätte, wäre es bei Inflationsraten um die 4 Prozent geblieben. So jedoch ist der Druck sowohl aus der Fachwelt als auch aus Öffentlichkeit und Politik auf die Glaubwürdigkeit und die politische Verantwortung Geldpolitik so groß gewesen, dass sich die Zentralbanken diesseits und jenseits des Atlantiks dazu gedrängt fühlten, mit außergewöhnlich kräftigen Zinssteigerungen verlorenes Vertrauens-Terrain wieder gut zu machen.
Die Folge ist ein deutlich höheres Zinsniveau als dies noch vor zwölf Monaten überhaupt in der ganzen Dekade für möglich gehalten wurde. Es ist wahrscheinlich, dass die Notenbanken gut daran getan haben, die Zügel deutlich zu straffen, und dass dies eben nicht den von einigen Beobachtern gefürchteten Politikfehler darstellt, der die Volkswirtschaften in ihrer konjunkturellen Entwicklung zu sehr einschnüren würde. Denn dieser Inflationssockel, der sich aufgebaut hat und der mittlerweile nicht nur Güterpreise, sondern auch Dienstleistungspreise umfasst, wird nicht einfach wieder abzureißen sein. Zwar werden wohl die skandalhohen monatlich gemeldeten Inflationsraten im Laufe des kommenden Jahres abebben, dies wird aber ebenfalls den sehr schwankungsintensiven Energiepreisen zu verdanken sein und eben nicht dem harten Kern des entstandenen Inflationsprozesses. Insofern werden sich die noch vorhandenen Hoffnungen bei einigen Marktteilnehmern auf schnell wieder sinkende Leitzinsen wahrscheinlich Schritt für Schritt lösen.
Die Zinsen sind zurück, und sie werden auch bleiben. Vor diesem Hintergrund ist die gute Nachricht, dass sich das Anlageuniversum in den vergangenen Monaten wieder deutlich ausgeweitet hat. Neben Aktien bieten auch Anleihen wieder interessante Anlagemöglichkeiten. Dies eröffnet in der Vermögensanlage wieder neue Perspektiven: Nicht nur, dass Übertreibungen bei den Bewertungen in einzelnen Aktiensegmenten oder bei Immobilien nun korrigiert wurden, sondern auch, dass sich neue Anlagemöglichkeiten ergeben. Neben Aktien sind nun auch Anleihen wieder günstig bewertet, so dass sie wieder auskömmliche Renditen bieten. So erscheinen etwa Risikozuschläge auf Unternehmensanleihen gegenüber den zu erwartenden konjunkturellen Beeinträchtigungen der kommenden Monate massiv zu hoch.
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