Ifo-Volkswirte Maximilian Blömer, Clemens Fuest und Andreas Peichl
Gegenvorschlag in der Hartz-IV-Reformdebatte
Von links: Maximilian Blömer, Ifo-Zentrum für Makroökonomik und Befragungen; Andreas Peichl, Ifo-Zentrum für Makroökonomik und Befragungen; Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts in München. Foto: Ifo-Institut
Die aktuellen Sozialgesetze sehen unterschiedliche Transferzahlungen vor, die nicht aufeinander abgestimmt sind. Das führe zu unerwünschten Folgen, kritisieren Maximilian Blömer, Clemens Fuest und Andreas Peichl. Die Ifo-Volkswirte präsentieren einen eigenen Reformentwurf.
Der Ifo-Vorschlag im Vergleich
Die Tabelle unten vergleicht den Ifo-Vorschlag mit anderen aktuellen Vorschlägen. Bei der Leistungshöhe bei Arbeitslosigkeit sehen die Vorschläge des IAB, des Ifo-Instituts und der SPD keine prinzipielle Änderung des Status quo vor. Hingegen ist bei den Reformoptionen der Grünen eine Erhöhung vorgesehen. Die FDP fordert eine Angleichung der Regelsätze für Erwachsene, d.h. eine Anhebung für Partner in Bedarfsgemeinschaften, sowie eine Pauschalierung der Kosten der Unterkunft.
An der prinzipiellen Unabhängigkeit der Leistungshöhe von der Erwerbsbiographie, also einem Kernelement von Hartz IV, soll sich in den derzeit diskutierten Reformvorschlägen nichts...
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Der Ifo-Vorschlag im Vergleich
Die Tabelle unten vergleicht den Ifo-Vorschlag mit anderen aktuellen Vorschlägen. Bei der Leistungshöhe bei Arbeitslosigkeit sehen die Vorschläge des IAB, des Ifo-Instituts und der SPD keine prinzipielle Änderung des Status quo vor. Hingegen ist bei den Reformoptionen der Grünen eine Erhöhung vorgesehen. Die FDP fordert eine Angleichung der Regelsätze für Erwachsene, d.h. eine Anhebung für Partner in Bedarfsgemeinschaften, sowie eine Pauschalierung der Kosten der Unterkunft.
An der prinzipiellen Unabhängigkeit der Leistungshöhe von der Erwerbsbiographie, also einem Kernelement von Hartz IV, soll sich in den derzeit diskutierten Reformvorschlägen nichts ändern. Die SPD-Forderung nach einer längeren Bezugsmöglichkeit von Arbeitslosengeld I (bis zu drei statt derzeit maximal zwei Jahre) setzt hier jedoch indirekt an.
Die Reformvorschläge unterscheiden sich im Wesentlichen durch die Gestaltung der Transferentzugsraten. Die Hinzuverdienstregeln zeichnen sich im Status quo durch einen Freibetrag von 100 Euro pro Monat sowie darüber hinaus hohe Grenzbelastungen von 80, 90 bis 100 Prozent aus. Eine Besonderheit des Ifo-Vorschlages ist es, dass bezüglich der Grenzbelastung zwischen Haushalten mit und ohne Kindern differenziert wird. Im ifo-Vorschlag fällt der Freibetrag in Höhe von 100 Euro für kinderlose Haushalte weg, und Einkommen bis 630 Euro pro Monat werden vollständig angerechnet. Haushalte mit Kindern wird hingegen der Freibetrag weiterhin gewährt und ein Zuverdienst von 20 Prozent bis 630 Euro pro Monat ermöglicht. Ab 630 Euro pro Monat wird im Ifo-Vorschlag die Grenzbelastung generell auf 60 Prozent verringert.
Grenzbelastung verringern
Ähnliche Schritte sieht der Vorschlag des IAB vor, bei dem der Freibetrag generell auf 50 Euro pro Monat begrenzt wird sowie Grenzbelastungen von anfangs 90 Prozent bis 450 Euro pro Monat und darüber hinaus auf 60 Prozent festgelegt werden. Die Reformvorschläge von Bündnis 90/Die Grünen gehen ebenfalls in die Richtung, die Grenzbelastung zu verringern. So soll diese auf maximal 70 Prozent begrenzt werden. Die FDP fordert bei der Grenzbelastung einen Stufentarif mit abnehmender Grenzbelastung von 80, über 70 auf 60 Prozent unter Beibehaltung des 100-Euro-Freibetrages. Bei der SPD ist eine Verbesserung der Hinzuverdienstmöglichkeiten erst nach einer Anhebung des Mindestlohnes auf 12 Euro vorgesehen.
Der Ifo-Vorschlag umfasst eine Erhöhung des Schonvermögens um 150 Euro je Erwerbsjahr. Einen anderen Ansatz verfolgen die Vorschläge von FDP und Grünen, bei denen die Schonvermögen unabhängig von Alter oder Erwerbsbiographie auf die pauschalen Beträge 30 000 Euro (FDP) beziehungsweise 60 000 Euro (Grüne) erhöht werden sollen. Die SPD hält prinzipiell an den derzeitigen Regeln zum Schonvermögen fest, schlägt aber eine zweijährige Schutzzeit vor, bevor die Vermögen herangezogen werden müssen.
Die Vorschläge von ifo und IAB modellieren keine Änderungen an den Sanktionen. Die Vorschläge der Parteien fordern dabei eine Abmilderung der Sanktionen (SPD und FDP) oder eine Abschaffung (Grüne).
Stigmatisierung vermeiden
Um die Stigmatisierung durch den Gang zum Amt und damit die Nichtinanspruchnahme von Transferleistungen zu bekämpfen, verfolgen die Vorschläge unterschiedliche Ansätze. Die Grünen sehen eine automatische Auszahlung vor, die durch das Finanzamt umgesetzt werden soll. Die FDP schlägt hingegen eher eine Pauschalierung von Leistungen, zum Beispiel der Kosten der Unterkunft, vor, die die Berechnung der Ansprüche und damit die Inanspruchnahme vereinfachen soll. Die Vorschläge von Ifo und IAB modellieren weiterhin die Möglichkeit der Nichtinanspruchnahme von Transferleistungen. Möglich ist, dass sich durch die Zusammenlegung verschiedener Transfers die Situation der Inanspruchnahme berechtigter Haushalte verbessern könnte.
Insgesamt haben alle Vorschläge, mit Ausnahme des Konzeptes der SPD, eine Integration der Transferleistungen Arbeitslosengeld II, Wohngeld und Kinderzuschlag gemeinsam, mit dem Ziel, die Komplexität des Gesamtsystems zu verringern. So werden in den Konzepten von Ifo, IAB, Grünen und FDP die Leistungen Kinderzuschlag und Wohngeld rechnerisch abgeschafft und durch eine einheitliche Transferleistung, mit je nach Vorschlag unterschiedlichen Anrechnungsregeln für Einkommen und Vermögen, ersetzt.
Fazit
Die bestehenden Regelungen im Bereich der sozialen Grundsicherung haben den erheblichen Nachteil, dass sie in Folge nicht aufeinander abgestimmter Transfers und Transferentzugsregeln teilweise zu impliziten Grenzsteuersätzen von bis zu 100 Prozent und mehr führen.
Der Ifo-Vorschlag zur Reform der sozialen Grundsicherung führt dazu, dass sich (mehr) Arbeit auch bei niedrigen Stundenlöhnen wieder lohnt. Durch die verbesserten Anreizstrukturen können Betroffene der Abhängigkeit von Transfers aus eigener Kraft leichter entkommen als im Status quo. Die Beschäftigung nimmt zu, ohne dass zusätzliche Kosten für den Staatshaushalt entstehen.
Die Vorgabe der Aufkommensneutralität bedeutet, dass vor Verhaltensanpassungen einige Haushalte gewinnen, während andere verlieren. Diese Verluste werden jedoch bei den meisten, wenn auch nicht bei allen Haushalten, durch ausgedehnte Beschäftigung überkompensiert.5 Wenn man Einkommensverluste ganz ausschließen will, müsste man etwas schlechtere fiskalische Wirkungen in Kauf nehmen.
Reformbedarf besteht aber nicht nur bei den Hinzuverdienstregelungen. Langfristig ist ein besser integriertes und aufeinander abgestimmtes Gesamtsystem der Steuern, Abgaben und Transfers wünschenswert.6 Die Umsetzung einer solchen umfassenden Reform ist jedoch kurzfristig nur schwer vorstellbar.
5 Durch die Ausweitung des Arbeitsangebots im Niedrigeinkommensbereich
besteht die Gefahr von Lohneinbußen der bisher Beschäftigten in diesem Bereich (vgl. dazu auch Grüner 2019).
6 Siehe z.B. Löffler et al. (2012), Blömer et al. (2017) oder Breuer (2019) für Möglichkeiten eines integrierten Systems bzw. für Entlastungen für Geringverdiener außerhalb des Systems der Grundsicherung.
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