Ifo-Studie
So könnte ein deutscher Bürgerfonds aussehen
Clemens Fuest. Der Präsiden des Ifo-Instituts hat zusammen mit Christa Hainz und Volker Meier vom Ifo-Institut sowie Martin Werding von der Ruhr-Universität Bochum ein Konzept für einen Bürgerfonds erarbeitet. Foto: Ifo
Um das Problem mangelhafter Altersvorsorge vieler Deutscher in den Griff zu bekommen, könnte ein Bürgerfonds eingerichtet werden. Wissenschaftler des Ifo-Instituts und der Ruhr-Universität Bochum um Ifo-Präsident Clemens Fuest legen konkrete Ideen vor.
3.1 Hintergrundszenario: Demographische und wirtschaftliche Entwicklung bis 2080
Das Hintergrundszenario zur Entwicklung von Demographie, Erwerbstätigkeit und gesamtwirtschaftlichem Wachstum in Deutschland im Zeitraum bis 2080 beruht sowohl für die Basisvariante als auch für alle Alternativvarianten der hier vorgestellten Berechnungen auf Langfrist-Simulationen, die mit Hilfe des Modells SIM.16 erstellt werden.1 Zur zukünftigen demographischen Entwicklung werden Annahmen übernommen, die das Statistische Bundesamt bei seinen jüngsten, offiziellen Bevölkerungsvorausberechnungen getroffen hat: Die zusammengefasste Geburtenziffer liegt demnach im gesamten Projektionszeitraum...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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3.1 Hintergrundszenario: Demographische und wirtschaftliche Entwicklung bis 2080
Das Hintergrundszenario zur Entwicklung von Demographie, Erwerbstätigkeit und gesamtwirtschaftlichem Wachstum in Deutschland im Zeitraum bis 2080 beruht sowohl für die Basisvariante als auch für alle Alternativvarianten der hier vorgestellten Berechnungen auf Langfrist-Simulationen, die mit Hilfe des Modells SIM.16 erstellt werden.1 Zur zukünftigen demographischen Entwicklung werden Annahmen übernommen, die das Statistische Bundesamt bei seinen jüngsten, offiziellen Bevölkerungsvorausberechnungen getroffen hat: Die zusammengefasste Geburtenziffer liegt demnach im gesamten Projektionszeitraum bei 1,5 Geburten je Frau, der Wanderungssaldo beläuft sich Jahr um Jahr auf +200.000 Personen, und die Lebenserwartung bei Geburt steigt für Frauen jedes Jahrzehnt um 1,4 Jahre, für Männer um 1,6 Jahre.2 Insgesamt führt dies zu einem ausgeprägten demographischen Alterungsprozess, der sich vor allem in den Jahren 2020 bis 2035 entfaltet, danach aber nicht wieder zurückbildet, sondern mit verringertem Tempo fortsetzt.
Um von den Bevölkerungsprojektionen zu zukünftigen Erwerbspersonenzahlen zu gelangen, werden aktuelle Erwerbsquoten, differenziert nach Geschlecht und Alter, mit einem von Burniaux et al. (2003) entwickelten, kohortenspezifischen Ansatz fortgeschrieben. Anknüpfend an langjährige Trends aus der Vergangenheit ergibt sich daraus eine weiter steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen sowie von Personen im fortgeschrittenen Erwerbsalter. Letztere resultiert unter anderem aus Änderungen der gesetzlichen Regelungen für abschlagsfreie Renteneintritte und berücksichtigt auch deren weitere Veränderung durch die laufende Heraufsetzung der Regelaltersgrenze. Die Erwerbslosenquote wird im verwendeten Simulationsmodell endogen ermittelt, unter Berücksichtigung negativer Rückwirkungen steigender Sozialbeiträge und Steuern auf die Beschäftigung und gestützt auf einschlägige makroökonometrische Studien (insbes. Cogan et al. 2013; vgl. Werding 2016, Anhang 8.2). Die Erwerbspersonenzahl führt nach Abzug der Erwerbslosen unmittelbar zur Zahl der Erwerbstätigen.
Das zukünftige gesamtwirtschaftliche Wachstum wird mit Hilfe eines einfachen neoklassischen Wachstumsmodells nach Solow (1956) und Swan (1956), erweitert um den Faktor Humankapital und kalibriert mit Daten aus der Annual Macro-Economic Database (AMECO) der Europäischen Kommission, geschätzt. Zentrale Treiber des resultierenden Wachstums der Produktivität der Erwerbstätigen sind dabei die exogen vorgegebene Wachstumsrate der totalen Faktorproduktivität (TFP), die den laufenden technischen Fortschritt misst, steigende Qualifikationen, sowie Änderungen der Kapitalintensität. Für das TFP-Wachstum wird, angelehnt an die Projektionen zur mittelfristigen Wirtschaftsentwicklung im Rahmen der letzten Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsforschungsinstitute (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose 2018, S. 62), eine Rate von konstant 0,8 Prozent p.a. angesetzt.3 Wegen des absehbaren, ausgeprägten Rückgangs der Erwerbstätigenzahl, vor allem im Zeitraum bis 2040, wächst die Arbeitsproduktivität außerdem aufgrund einer ständigen Kapitalverdichtung. Insgesamt ergibt sich daraus langfristig ein moderates, aber anhaltendes Wirtschaftswachstum, durch das sich das reale BIP von 2020 bis 2080 insgesamt annähernd verdoppelt. Wegen des gleichfalls erwarteten, aber weniger ausgeprägten Rückgangs der Wohnbevölkerung fällt das Wachstum des realen BIP pro Kopf langfristig sogar noch höher aus.
Vor diesem Hintergrund und unter den derzeit geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen erzeugt der demographische Alterungsprozess in Deutschland ab 2020 aller Voraussicht nach eine rasch zunehmende Anspannung der Sozialfinanzen. So ergibt sich etwa im Rentensystem selbst bei langfristig sinkendem Leistungsniveau ein nennenswerter Anstieg der Beitragssätze, der sich noch deutlich verschärfen müsste, sollte das Rentenniveau in Zukunft konstant gehalten werden (Werding 2019a). Daraus resultieren gegebenenfalls massive Effekte für die intergenerationelle Verteilung zu Lasten jüngerer und zukünftiger Erwerbspersonen, die ihre Erwerbschancen und ihr Nettoeinkommen vermindern. Um diese Probleme zu mildern, bedarf es aus heutiger Sicht diverser Reformen und Verhaltensänderungen.4 Einen Baustein einer darauf gerichteten Strategie könnte ergänzende Kapitalbildung im Rahmen des deutschen Bürgerfonds darstellen, die sich vor allem auf heute noch jüngere Personen auswirkt.
3.2 Der deutsche Bürgerfonds: Anteilseigner, Vermögensbildung und Ausschüttungen
In der Basisvariante der Berechnungen nimmt der deutsche Bürgerfonds ab 2020 Jahr um Jahr 0,5 Prozent des BIP am Kapitalmarkt auf und legt sie für seine Anteilseigner mit höheren Erträgen wieder an. Damit liegt man in der Größenordnung der aktuellen Schuldenbremse des Grundgesetzes, welche ein strukturelles Defizit von 0,35 Prozent des BIP erlaubt, sowie des Europäischen Fiskalpakts von 2013, nach dem die strukturelle Neuverschuldung auf 0,5 Prozent des BIP zu begrenzen ist. Gemessen an aktuellen Gegebenheiten und einschlägigen Erfahrungen aus der Vergangenheit (vgl. Abschnitt 2) werden hier eher zurückhaltende Annahmen über Renditen und Schuldzinsen getroffen. Es wird angenommen, dass der fällige Schuldzins ab 2020 real 1 Prozent p.a. beträgt, während der Fonds durch seine Anlagestrategie jeweils eine Rendite von real 3 Prozent p.a. erwirtschaftet. Vereinfachend werden diese Werte im gesamten Simulationszeitraum konstant gehalten. Für die korrekte Bestimmung von jährlichen Zinszahlungen und Erträgen sind zusätzlich Annahmen zur Höhe der Inflationsrate erforderlich. Diese wird auf konstant 2 Prozent p.a. gesetzt. Der Nominalzins für die vom Fonds aufgenommenen Mittel beläuft sich somit auf rund 3 Prozent p.a., und bei der Anlage des Fondsvermögens ergeben sich nominale jährliche Renditen von rund 5,1 Prozent. Diese liegen damit in der Größenordnung der durchschnittlichen Renditen des norwegischen Ölfonds. Alle in dieser Studie angegebenen Euro-Beträge werden inflationsbereinigt ausgewiesen, in Preisen des Basisjahres 2020.
1 Für eine genauere Beschreibung von Datengrundlagen und Modellierungen vgl. Werding (2013). Einen Überblick über die hier zugrunde gelegten Annahmen und ausgewählte Zwischenergebnisse gibt Tabelle A.1 im Anhang dieser Studie.
2 Die Annahmen zu Geburten und Wanderungen werden einer Zwischenaktualisierung der letzten, amtlichen Vorausberechnungen entnommen (Statistisches Bundesamt 2017). Für die Entwicklung der Lebenserwartung werden Annahmen gemittelt, von denen das Statistische Bundesamt (2015) keine als Basisannahme einstuft.
3 In eigenen Langfrist-Simulationen unterstellt die EU-Kommission stattdessen in der Regel eine TFP-Wachstumsrate in Höhe von 1 Prozent p.a. (European Commission, DG EcFin 2017, S. 76), die aus Gründen der Vergleichbarkeit auch in den Arbeiten von Werding (2016; 2019b) zugrunde gelegt wird. Während sich solche Annahmen bei der Bestimmung gängiger Tragfähigkeits-Indikatoren kaum auswirken, beeinflussen sie die hier betrachteten Prozesse der Bildung und Ausschüttung des Vermögens des deutschen Bürgerfonds auf Dauer nicht unerheblich. Unter anderem deshalb werden hier eher zurückhaltende Annahmen zum zukünftigen Wachstum getroffen.
4 Trotz abweichender – teils günstigerer, teils ungünstigerer – Annahmen wird dies etwa in Werding (2016; 2019b) durch Simulationen zur zukünftigen Entwicklung demographiereagibler öffentlicher Ausgaben und Einnahmen klar illustriert, die Ausmaß und Sensitivität der hier skizzierten Trends in diversen Varianten beleuchten.
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