Thorsten Polleit
Warum die Soziale Marktwirtschaft eine Utopie ist
Aktualisiert am 25.10.2018 - 11:50 Uhr
Thorsten Polleit ist Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth und Chefökonom von Degussa Goldhandel. Foto: Degussa Goldhandel
Niemand hat das Recht, einem anderen sein Eigentum wegzunehmen, findet Thorsten Polleit. Er fordert: Jeder Mensch muss das Recht haben, in Ruhe gelassen zu werden, wenn er es wünscht – insbesondere vom Staat.
Irrtümer des Ordoliberalismus
Aus dem bisher Gesagten erkennt man: Das Wort gebilde „Soziale Marktwirtschaft“ ist letztlich eine semantische Unaufrichtigkeit, ein sprachliches Täuschungsmanöver.
Ludwig Erhards hat es, wie bereits gesagt, nicht verwendet. Für ihn stand außer Frage, dass die freie Marktwirtschaft der breiten Bevölkerung zugutekommt, dass die freie Marktwirtschaft gerade nicht – wie ihre Gegner es behaupten – nur einigen wenigen zu Lasten vieler dient. In Erhards Worten: „Je freier die Wirtschaft, umso sozialer ist sie auch.“
Nun haben allerdings Erhards wirtschaftspolitische Ideen, die mit Slogan „Wohlstand für Alle“ überschrieben sind,...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Irrtümer des Ordoliberalismus
Aus dem bisher Gesagten erkennt man: Das Wort gebilde „Soziale Marktwirtschaft“ ist letztlich eine semantische Unaufrichtigkeit, ein sprachliches Täuschungsmanöver.
Ludwig Erhards hat es, wie bereits gesagt, nicht verwendet. Für ihn stand außer Frage, dass die freie Marktwirtschaft der breiten Bevölkerung zugutekommt, dass die freie Marktwirtschaft gerade nicht – wie ihre Gegner es behaupten – nur einigen wenigen zu Lasten vieler dient. In Erhards Worten: „Je freier die Wirtschaft, umso sozialer ist sie auch.“
Nun haben allerdings Erhards wirtschaftspolitische Ideen, die mit Slogan „Wohlstand für Alle“ überschrieben sind, eine enge Verbindung zum sogenannten Ordoliberalismus, der inhaltlich das verkörpert, was man heute mit „Sozialer Marktwirtschaft“ übertitelt.5
Der Ordoliberalismus (der auch als „Freiburger Schule“ bekannt und mit den Namen Walter Eucken (1891 – 1950),Franz Böhm (1895–1977), Leonhard Miksch (1901 – 1950) und Hans Großmann-Doerth (1894 – 1944) verbunden ist) soll eine Blaupause für eine marktwirtschaftliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sein.
Walter Eucken geht es darum, eine menschenwürdige und funktionsfähige Ordnung, die politische und wirtschaftliche Freiheit vereint, zu schaffen. Aus Sicht der Ordoliberalen fördert die freie Marktwirtschaft zwar in bestmöglicher Weise den materiellen Wohlstand.
Aber, und das ist die große Sorge der Ordoliberalen, die freie Marktwirtschaft, wenn sie sich selbst überlassen bleibt, droht sich selbst abzuschaffen – indem sie wirtschaftliche Macht, Preisabsprachen, Kartell- und Monopolbildung befördert, die den freien Wettbewerbzerstören.6
Daher braucht es jemanden, so die Ordoliberalen, der die Rahmenbedingungen setzt, unter denen der Wettbewerb gesichert ablaufen kann. Und dieser jemand ist – der Staat. Der Staat soll das Entstehen wirtschaftlicher Macht verhindern. Beispielsweise indem er ein Kartellamt einrichtet, dass marktbeherrschende Stellungen von Unternehmen unmöglich macht.
Für die Ordoliberalen ist der Staat der Garant und Retter des freien Marktsystems. Er soll Wettbewerbshüter sein und eine funktionierende Marktwirtschaft garantieren. Auf diese Weise schützt er die Schwachen vor den vermeintlich zerstörerischen Kräften des freien Marktes.
Nun erkennen die Ordoliberalen durchaus, dass der Staat mit seinen Eingriffen in das Wirtschaftsgeschehen auch zum Problem werden kann:7 Dass er den Wettbewerb untergräbt, von Partikularinteressen gekapert wird, seine Machtstellung missbraucht.
Doch bei allem Für und Wider übertrumpft das Vertrauen in die Beschützerrolle des Staates dann doch die Sorge der Ordoliberalen, der Staat könnte zur eigentlichen Bedrohung für Wettbewerb, Freiheit, Frieden und Wohlstand werden.8 Woher aber nehmen die Ordoliberalen dieses Vertrauen?
Antwort: Sie meinen, den Staat domestizieren zu können – indem sie ihm Verfassungsregeln auferlegen, ihm klar umschriebene Aufgaben zuteilen und ihn auf diese Weise für gute Zwecke dienstbar machen.
Doch was ist von eben dieser Idee zu halten, die eine ganz zentrale Stellung einnimmt in Ludwig Erhards Vision „Wohlstand für alle“und der “ Sozialen Marktwirtschaft”?
5 Diese Position vertritt Erhard ausdrücklich: „Nie mehr zwar wird der Staat in die Rolle des Nachtwächters zurückverwiesen werden, denn auch die freieste Marktwirtschaft, und gerade diese, bedarf eines Organs der Rechtssetzung und Rechtsüberwachung.“ Erhard, L. (1944), Kriegsfinanzierung und Schuldenkonsolidierung, Institut für Industrieforschung, Berlin Nürnberg, S. 264.
6 Siehe dazu zum Beispiel Erhard, L. (2009 [1957]), Wohlstand für Alle, Anaconda, Köln, S. 203 f. Allerdings ist diese Auffassung äußert fragwürdig: Warum sollte es in einem freien Markt zu Kartellen und Monopolen kommen? Die Ordoliberalen haben diese steile These bislang nicht überzeugend begründet. Zur Gegenposition, dass der freie Markt also keine „gefährliche“ Vermachtung hervorbringt, siehe Mises, L. v. (1927), Liberalismus, S. 80 – 85.
7 Siehe Eucken, W. (1990 [1952]), Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Hrsg.: Eucken, E., Hensel, K. P., 6. Aufl., J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen, S. 325 ff.
8 Nicht selten wird das als „Ungereimtheit“ ausgelegt. So etwa Lösch, D. (2000), Das Dilemma mit der Rolle des Staates in der Wettbewerbsordnung. Zum 50. Todestages von Walter Eucken, in: Wirtschaftsdienst, III, S. 186 f. Allerdings scheint mir die in diesem Artikel vorgebrachte Beurteilung überzeugender zu sein: dass nämlich die Ordoliberalen eine überzogene, illusionäre Vorstellung haben mit Blick auf die Möglichkeit, den Staat zu zähmen.
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