Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater
Darum steigen die Preise

Ulrich Kater ist Chefvolkswirt der Dekabank. Foto: Dekabank
Im Euroraum ist die Inflation im September auf 3,4 Prozent gestiegen. Warum das so ist und welche Entwicklung sich für die kommenden Monate abzeichnet, erklärt Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater.
Die Inflationsrate lag im Euroraum Ende letzten Jahres noch unter null, ist im September aber bis auf 3,4 Prozent geklettert und dürfte in den kommenden Monaten noch etwas weiter ansteigen. In Deutschland war aufgrund der Mehrwertsteuerschwankung die Entwicklung mit 1,6 zu Jahresanfang auf 4,1 Prozent im September ebenso dramatisch. Diese Beschleunigung des Preisauftriebs beruht auf verschieden...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Die Inflationsrate lag im Euroraum Ende letzten Jahres noch unter null, ist im September aber bis auf 3,4 Prozent geklettert und dürfte in den kommenden Monaten noch etwas weiter ansteigen. In Deutschland war aufgrund der Mehrwertsteuerschwankung die Entwicklung mit 1,6 zu Jahresanfang auf 4,1 Prozent im September ebenso dramatisch. Diese Beschleunigung des Preisauftriebs beruht auf verschiedenen Ursachen, von denen einige eher statistischer und kurzlebiger Natur sind, andere dagegen ökonomisch und potenziell länger anhaltend.
Zum Jahreswechsel wird das Auslaufen einiger Sonderfaktoren zu einem deutlichen Rückgang der Inflationsrate führen. Wie sie sich danach weiterentwickelt, hängt vor allem davon ab, inwieweit das außergewöhnliche wirtschaftliche Umfeld zu Verhaltensänderungen der Unternehmen und der Tarifvertragspartner im Inflationsprozess führt. In der Summe sollte im Jahr 2022 die Teuerung in Euroland bei durchschnittlich 2,0 Prozent, in Deutschland bei 2,8 Prozent liegen, in den folgenden Jahren aber wieder leicht darunter. Dies reicht wohl nicht aus, um die EZB zu einem abrupten Kurswechsel zu veranlassen, was die Auswirkungen des derzeitigen Inflationsschubs auf die Finanzmärkte in Grenzen hält.
Die längerfristige Entwicklung hängt davon ab, inwieweit die Unternehmen gewillt und in der Lage sind, die signifikante Verteuerung von Rohstoffen und Vorleistungen an die nächste Produktionsstufe oder gar an die Verbraucher weiterzureichen. Für Unternehmen sind Preiserhöhungen stets mit dem Risiko verbunden, unerwartet viele Marktanteile zu verlieren. In der Vergangenheit waren diese Ängste so übermächtig, dass möglichst auf die Weitergabe von Kostendruck verzichtet wurde. Das ist jetzt anders, da weltweit alle Unternehmen etwa gleichmäßig betroffen sind. Genau an dieser Stelle könnten Verhaltensänderungen einsetzen.
Der derzeitige Kostenschub ist im historischen Vergleich außergewöhnlich groß und könnte aufgrund gestörter Lieferketten gerade im Bereich der Vorleistungsgüter auch länger anhalten als üblich. Gleichzeitig ist die aufgestaute Nachfrage insbesondere nach langlebigen Konsumgütern sehr hoch, und viele Anbieter sind kurzfristig gar nicht in der Lage, diese vollständig zu bedienen. Für die Unternehmen ändert sich dadurch das Optimierungskalkül: Der Schutz von Gewinnmargen gewinnt an Bedeutung, während die Verteidigung von Marktanteilen in den Hintergrund tritt. Im veränderten Umfeld macht es für die Unternehmen daher Sinn, ihre Preise in einem schnelleren Rhythmus anzupassen. Die Erzeuger- und letztlich auch Verbraucherpreise von Konsumgütern werden dadurch flexibler und reagieren möglicherweise schneller und stärker auf die steigenden Inputkosten.
Bei den Löhnen wurden in der Vergangenheit steigende Verbraucherpreise langfristig stets vollständig durch entsprechende Lohnanpassungen ausgeglichen. Aufgrund der in den vergangenen Jahren weitverbreiteten mehrjährigen Tarifverträgen konnten dabei jedoch erhebliche Verzögerungen entstehen. Diese hatten zur Folge, dass gravierende Rückkopplungseffekte zwischen Preisen und Löhnen – die sogenannte Lohn-Preis-Spirale – gar nicht erst zustande kommen konnten. Die kommenden Lohnverhandlungen werden allerdings unter dem Eindruck erhöhter Inflationsraten stattfinden, was die Verhandlungsmacht tendenziell Richtung Arbeitnehmerseite verschiebt.
Auch an dieser Stelle sind Verhaltensänderungen nicht gänzlich auszuschließen. Falls die Tarifpartner daraufhin zu Verträgen mit kürzeren Laufzeiten übergehen, würde das Potenzial für ein gegenseitiges Aufschaukeln von Löhnen und Preisen zunehmen. Es bleibt als Fazit: Obwohl sich die Inflationszahlen im kommenden Jahr beruhigen werden, sind die Inflationsrisiken auf längere Sicht deutlich gestiegen.
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