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Wirtschaftswissenschaftlerin Birte Rothkopf
So funktioniert der Herdentrieb an den Kapitalmärkten
Birte Rothkopf
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Wirtschaftswissenschaftlerin Birte Rothkopf
So funktioniert der Herdentrieb an den Kapitalmärkten
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Birte Rothkopf ist Gründerin der Vermögensverwaltung Whitebox. Foto: Whitebox
In Krisen orientieren sich Anleger nicht nur an Fakten, sondern auch am Verhalten anderer Marktteilnehmer. Damit sind sie jedoch nicht gut bedient – und setzen Kapital aufs Spiel.
Erst der Kollaps der Silicon Valley Bank, dann der Hilferuf der Credit Suisse und deren Übernahme durch die UBS: Die Zinswende der Notenbanken fordert ihren Tribut. Ist etwa eine neue Bankenkrise im Anmarsch?
Zumindest werden Vergleiche zur Finanzkrise 2008 laut. Immerhin handelt es sich bei der kollabierten Silicon Valley Bank um eine mittelgroße Spezialbank – genau wie bei Lehman Brothers. Wieder müssen Notenbanken und Finanzminister Notprogramme einleiten. Daneben belasten der Ukraine-Krieg, hohe Energiepreise und die Deglobalisierung die Weltwirtschaft. Kurzum: Die internationalen Finanzmärkte sind in Alarmstimmung – und das gefühlt seit Jahren.
Angst und Gier sind die wichtigsten...
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Erst der Kollaps der Silicon Valley Bank, dann der Hilferuf der Credit Suisse und deren Übernahme durch die UBS: Die Zinswende der Notenbanken fordert ihren Tribut. Ist etwa eine neue Bankenkrise im Anmarsch?
Zumindest werden Vergleiche zur Finanzkrise 2008 laut. Immerhin handelt es sich bei der kollabierten Silicon Valley Bank um eine mittelgroße Spezialbank – genau wie bei Lehman Brothers. Wieder müssen Notenbanken und Finanzminister Notprogramme einleiten. Daneben belasten der Ukraine-Krieg, hohe Energiepreise und die Deglobalisierung die Weltwirtschaft. Kurzum: Die internationalen Finanzmärkte sind in Alarmstimmung – und das gefühlt seit Jahren.
Angst und Gier sind die wichtigsten Emotionen am Kapitalmarkt
Alarmstimmung zeigt auch der Fear & Greed Index von CNN, der die zwei wichtigsten Emotionen von Anlegern an der Börse misst: Angst und Gier. Um festzustellen, welche Emotion am Markt überwiegt, untersucht er, wie stark sieben Faktoren von ihren Durchschnittswerten abweichen: das Momentum der Märkte, der Anteil der Aktien mit Höchstkursen, das Verhältnis von steigenden und fallenden Aktien, das Verhältnis von Put- zu Call-Optionen, die Nachfrage nach Safe Haven Assets sowie Junk Bonds und die Marktvolatilität.
Allesamt gleich gewichtet ergeben sie eine Punktzahl von 0 bis 100. 100 steht für maximale Gier, 0 für größtmögliche Angst. Seit dem 8. März zeigt die Messnadel kontinuierlich auf Angst. Den Tiefstwert und damit extreme Angst erreichte der Index am 15. März mit nur 18 Punkten – all das vor und während des Sturms, der sich mit dem Fall der Silicon Valley Bank zusammenbraute und schließlich über die Finanzwelt hinwegfegte.
Panik löst Fluchtreflex aus
Angst löst bei vielen Marktteilnehmern einen Fluchtreflex aus. Sie wollen bloß raus aus dem Gefahrenbereich und nichts halten, was das investierte Geld irgendwie mit in den Abgrund reißen könnte. Was dann folgt, ist das bekannte Phänomen des Herdentriebs. Andere verunsicherte Anleger schließen sich an und verkaufen Titel. Im aktuellen Beispiel konnte man das gut an den Kursverlusten von Bankaktien sehen. Und damit nicht genug: Der gesamte Aktienmarkt wurde von Volatilität ergriffen.
In der Steinzeit brachte uns der sogenannte Herdentrieb einen klaren Überlebensvorteil: Bei einer möglichen Gefahrensituation war es schlicht nicht ratsam für unsere Ahnen, alle Vor- und Nachteile einer Handlung abzuwägen, um dann allmählich zu einem Entschluss zu kommen. Nein, man nahm die Beine in die Hand, wenn Gefahr im Verzug war. Man folgte der eigenen Gruppe. Wenn alle rannten, rannte man ohne Nachfragen hinterher. Dieses Verhaltensmuster war überlebenswichtig und hat sich sehr tief im menschlichen Gehirn verankert.
An der Börse zahlt es sich jedoch nicht unbedingt aus, der Masse zu folgen. Im Gegenteil, konträres Handeln soll sich lohnen, ganz nach dem Leitspruch von Carl Meyer von Rothschild: „Kaufen, wenn die Kanonen donnern, verkaufen, wenn die Violinen spielen.” Aber hat Rothschild wirklich Recht?
Wissenschaftler der Universität Rey Juan Carlos in Madrid haben das kürzlich getestet – und zwar anhand des erwähnten Greed and Fear Index von CNN. In einem Paper soll die Vorhersagefähigkeit des Index für die Märkte validiert werden. Dabei gilt folgende Annahme: Extreme Angst bringt viele Sorgen bei Investoren mit sich. Hier könnten sich Kaufgelegenheiten ergeben. Wenn Investoren laut Index zu gierig werden, bedeutet das, dass der Markt kurz vor einer Korrektur steht.
Ein zu diesem Testzweck entwickelter Algorithmus auf der Plattform Trading Motion eröffnete von Juli 2021 bis Juli 2022 jeden Montag der Woche eine Position auf der Grundlage des zuletzt veröffentlichten Werts des CNN Fear & Greed Index. Befand sich der Wert kleiner oder gleich 25 und damit in der Zone der extremen Angst, eröffnete das System eine Long-Position im Futures-Markt.
Index misst Emotionen von Anlegern
Wenn das Signal auf extreme Gier (mehr als 75 Punkte) stand, wurde eine Short-Position eröffnet. Wurde keines der beiden Extreme erreicht, blieb die Beteiligung am Markt aus. Die Backtests wurden unter Verwendung der meist verfolgten Aktienindex-Futures durchgeführt – sowohl amerikanischer (Dow Jones, S&P 500 und Nasdaq) als auch europäischer (CAC, Dax, MIB und Ibex).
Das Ergebnis: An allen untersuchten Aktienmärkten waren die Backtests profitabel – und zwar trotz der Tatsache, dass der Index mit sieben Indikatoren aus dem amerikanischen Markt berechnet wurde. Tatsächlich erzielten sogar die europäischen Aktienmärkte rentablere Ergebnisse als die amerikanischen. Rothschild hatte augenscheinlich Recht.
Was heißt das nun für Anleger? Behalten sie evolutionär erworbenen Reflexe im Auge, können sie auf rationaler Ebene Kaufgelegenheiten nutzen, wenn Aktienkurse sinken. Noch wichtiger ist, dass ein bisschen mehr Rationalität am Kapitalmarkt ausschlaggebend für den Fortgang der Ereignisse sein kann. So warnte auch DIW-Präsident Marcel Fratzscher vor einer Panikreaktion an den Kapitalmärkten, da eine solche zu sogenannten selbsterfüllenden Prophezeiungen führen könnte.
Herdentrieb reißt Banken in den Abgrund
Heißt: Die Sorge um die Liquidität von Banken gefährdet die Existenz von Banken, die ansonsten solvent wären. Durch Anleger und Sparer, die aus Angst dem Herdentrieb folgen und ihre Einlagen und Investments abziehen – teils ohne gute Begründung. Instrumente wie der Fear & Greed Index von CNN können Hilfestellung bei der Einschätzung von Empfindungen geben. Doch egal ob er Angst oder Gier, kaufen oder verkaufen anzeigt – am wichtigsten ist es, zu wissen, was man tut, statt sich emotional steuern zu lassen.
Es gilt, bewusst gegen den Herdentrieb zu agieren – auch wenn die erste Reaktion auf das Schrillen von Alarmglocken meistens die Flucht ist. Sich gegen die Masse zu stellen, erfordert Mut und Willensstärke. Erst recht, wenn die Entwicklung zunächst noch gegen einen läuft.
Dass der sogenannte Contrarian-Blickwinkel sich auszahlen kann, haben vor den Wissenschaftlern der Universität Rey Juan Carlos auch schon andere herausgefunden: Warren Buffett etwa ist mit diesem Prinzip Milliardär geworden. Es lohnt sich also, Emotionen zu hinterfragen – und nicht im Affekt hinter der Masse hinterherzujagen. Für die eigenen Anlagen. Und für das Wohl der gesamten Finanzwirtschaft.
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