Volkswirt Thorsten Polleit
So funktioniert die Kriegswirtschaft
Thorsten Polleit ist Chefvolkswirt von Degussa Goldhandel. Foto: Degussa Goldhandel
Wladimir Putin richtet die volkswirtschaftliche Produktion in Russland zusehends per Staatseingriff auf Waren aus, die für den Ukraine-Krieg nötig sind. Experten sprechen in diesem Zusammenhang gerne von Kriegsökonomie. Hier erklärt Thorsten Polleit von Degussa Goldhandel, wie die Wirtschaftsordnung funktioniert.
Der Staat kann seine Kriegsausgaben finanzieren, indem er Steuern eintreibt. Man denke nur an die Sektsteuer, die der Deutsche Reichstag im Jahr 1902 beschloss und die zum Bau der Kaiserlichen Kriegsflotte verwendet wurde. Steuererhöhungen zur Finanzierung von Krieg sind unbeliebt. Und wenn Staaten die Netto-Steuerzahler bereits hoch besteuern, sind die verbliebenen Spielräume, die Steuern in Kriegszeiten weiter zu erhöhen, rasch ausgeschöpft.
Der Staat wird dann auf die Verschuldung ausweichen, um die Kriegsausgaben zu finanzieren. Wenn die Menschen Vertrauen haben in die Bereitschaft und Fähigkeit des Staates, seine Zins- und Tilgungspflichten nachzukommen, werden sie bereit...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Der Staat kann seine Kriegsausgaben finanzieren, indem er Steuern eintreibt. Man denke nur an die Sektsteuer, die der Deutsche Reichstag im Jahr 1902 beschloss und die zum Bau der Kaiserlichen Kriegsflotte verwendet wurde. Steuererhöhungen zur Finanzierung von Krieg sind unbeliebt. Und wenn Staaten die Netto-Steuerzahler bereits hoch besteuern, sind die verbliebenen Spielräume, die Steuern in Kriegszeiten weiter zu erhöhen, rasch ausgeschöpft.
Der Staat wird dann auf die Verschuldung ausweichen, um die Kriegsausgaben zu finanzieren. Wenn die Menschen Vertrauen haben in die Bereitschaft und Fähigkeit des Staates, seine Zins- und Tilgungspflichten nachzukommen, werden sie bereit sein, ihm ihr Geld gegen einen Zins zu leihen. Für beide Seiten scheint das ein vorteilhaftes Geschäft zu sein: Private Sparer verleihen ihr Geld freiwillig an den Staat, und der Staat bekommt Geld, ohne dafür unmittelbaren Zwang ausüben zu müssen. Wenn allerdings die Verschuldung des Staates bereits hoch ist und sich auf den Kapitalmärkten bereits Zweifel an seiner Kreditwürdigkeit zeigen, schwindet die Möglichkeit für den Staat, sich zu bezahlbaren Zinsen neues Geld zu beschaffen.
Wie die Zentralbank neues Geld schafft
Der Staat wird sich dann an seine Zentralbank wenden: Sie erhält den Auftrag, neu ausgegebene Staatsanleihen zu kaufen und sie mit neu geschaffenem Geld zu bezahlen. Es handelt sich dabei de facto um nichts anderes als „Geldschaffen aus dem Nichts“. Die Vermehrung der Geldmenge treibt die Güterpreise in die Höhe. Die Folge: Güterpreisinflation. Die Geldmengenvermehrung, die die Kaufkraft des Geldes herabsetzt, ist nichts anderes als eine Inflationssteuer, mit der die Bevölkerung zur Kriegsfinanzierung zur Ader gelassen wird.
Die Inflation der Güterpreise sorgt jedoch nicht nur für verschärfte finanzielle Bedrängnis bei der Mehrzahl der Menschen. Sie führt vor allem auch zu Rufen nach „mehr Staat“: Der Staat soll die durch die Inflation verursachten Missstände lindern – durch Mindestlöhne, Mietpreisbremsen, Höchstpreise für Transport und Energie sowie zunehmende Umverteilung von Einkommen und Vermögen. Es ist unschwer erkennbar, dass dadurch die wenigen verbliebenen Elemente des freien Marktes auch noch ausgeschaltet werden. Der Volkswirtschaft gehen daher – zusätzlich zu den Kosten der Kriegsführung – die Potenziale zur Vermehrung ihres Wohlstandes verloren.
Die Inflationspolitik, auf die der Staat in Kriegszeiten versucht ist zurückzugreifen, ist aus einem weiteren Grund problematisch: Sie erleichtert es dem Staat, Bürgern und Unternehmern die Kosten der Kriegsführung aufzuerlegen und sie schmälert deren Widerstand gegen den Krieg. Die Vermehrung der Geldmenge aus dem Nichts scheint schließlich niemandem etwas wegzunehmen – im Vergleich zu einer Erhöhung der Mehrwert- und/oder Einkommenssteuer – und folglich bleibt auch der Widerstand gegen die Kriegswirtschaft gering. Die Ursache der Inflation lässt sich meist gut verschleiern: Der Staat verweist auf „andere Faktoren“, die die Inflation verursachen, die aber leider nicht im eigenen Einflussbereich liegen.
So täuschen Politiker die Bevölkerung
Das wiederum erlaubt es der Regierung, den Krieg länger und härter zu führen als wenn die Bevölkerung nicht über die wahren Kosten hinweggetäuscht würde. In diesem Zusammenhang führt die inflationäre Geldmengenvermehrung zu einer besonders bedrückenden Folge: der alles beflügelnden Kriegskonjunktur, in der so mancher den Kriegsfortgang zu akzeptieren beginnt. Gäbe es keine Geldmengenvermehrung, wäre sofort offensichtlich, dass die erhöhte Nachfrage nach Kriegsgütern die Nachfrage nach Konsum- und Produktionsgütern zurückdrängt. Es stellt sich eine unübersehbare Verschlechterung der materiellen Versorgung der Bevölkerung ein.
Wenn aber die Kriegsproduktion mit der Ausgabe von neuem Geld finanziert wird, ändert sich das Bild. Die Nachfrage nach Kriegsgütern verdrängt zunächst nicht die Produktion anderer Waren, sondern sorgt für eine Sonderkonjunktur und führt die Volkswirtschaft in eine Überauslastung. Die Geschäfte der Firmen laufen gut, die Lage auf dem Arbeitsmarkt sorgt für eine hohe Beschäftigungslage (zumal viele Männer, die zur Front eingezogen werden, am Arbeitsplatz fehlen, und Forderungen nach höheren Löhnen durchsetzbar werden). In einer durch Ausgabe von neuem inflationären Geld angestoßenen Sonderkonjunktur schwindet der öffentliche Widerstand gegen die Kriegswirtschaft.
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