Volkswirt Thorsten Polleit
So funktioniert die Kriegswirtschaft
Thorsten Polleit ist Chefvolkswirt von Degussa Goldhandel. Foto: Degussa Goldhandel
Wladimir Putin richtet die volkswirtschaftliche Produktion in Russland zusehends per Staatseingriff auf Waren aus, die für den Ukraine-Krieg nötig sind. Experten sprechen in diesem Zusammenhang gerne von Kriegsökonomie. Hier erklärt Thorsten Polleit von Degussa Goldhandel, wie die Wirtschaftsordnung funktioniert.
Die Vermehrung der Geldmenge macht die Volkswirtschaft jedoch nicht reicher, mit ihr ist keine Erhöhung des Angebots von Waren und Diensten verbunden. Sie sorgt lediglich für eine Umverteilung von Einkommen und Vermögen. Gewinner finden sich beispielsweise in den Unternehmenssektoren, in denen die für den Krieg benötigten Güter erzeugt werden. Sie sind diejenigen, die zuerst von der neu geschaffenen Geldmenge abbekommen und sie als erste für Nachfragezwecke einsetzen können. Sie können den unweigerlich steigenden Güterpreisen besser entkommen als die Menschen in den Sektoren, die erst zu einem späteren Zeitpunkt an das neue Geld gelangen oder gar nichts von der neuen Geldmenge...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Die Vermehrung der Geldmenge macht die Volkswirtschaft jedoch nicht reicher, mit ihr ist keine Erhöhung des Angebots von Waren und Diensten verbunden. Sie sorgt lediglich für eine Umverteilung von Einkommen und Vermögen. Gewinner finden sich beispielsweise in den Unternehmenssektoren, in denen die für den Krieg benötigten Güter erzeugt werden. Sie sind diejenigen, die zuerst von der neu geschaffenen Geldmenge abbekommen und sie als erste für Nachfragezwecke einsetzen können. Sie können den unweigerlich steigenden Güterpreisen besser entkommen als die Menschen in den Sektoren, die erst zu einem späteren Zeitpunkt an das neue Geld gelangen oder gar nichts von der neuen Geldmenge abbekommen.
Insgesamt sorgt die Inflation jedoch für eine Verarmung – beispielsweise, indem sie Kapitalverzehr verursacht. Unternehmen bilanzieren und rechnen üblicherweise in Nominalwerten. In Inflationszeiten nehmen die nominalen Umsätze zu. Gleichzeitig gehen die auf Lager liegenden Vorleistungsgüter zu historischen Anschaffungskosten in die Buchführung ein – nicht aber zu den bereits gestiegenen Wiederbeschaffungskosten. Das führt zum Ausweis von Scheingewinnen. Sie unterliegen der Besteuerung. Dem Unternehmen wird dadurch effektiv eine reale Steuererhöhung auferlegt, und die Steuerabführung verursacht einen Substanzverlust. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Unternehmen nimmt dadurch ab.
Wie Sozialismus entsteht
Die bisherigen Überlegungen über die Kriegswirtschaft treffen auf den Fall zu, in dem der Staat als zusätzlicher und mächtiger Nachfrager in einem ansonsten noch ungehemmten Marktsystem auftritt. Dadurch kann er die Effizienz und Erfindungskraft des freien Unternehmertums für seine Ziele bestmöglich einspannen – etwa indem private Firmen neue Waffen, Ausrüstungen und militärische Versorgungstechniken entwickeln und bereitstellen. Das aber wird nur so lange der Fall sein, wie die militärischen Erfordernisse relativ gering sind im Verhältnis zur gesamtwirtschaftlichen Produktion. Wächst der Güterbedarf für die Kriegsführung und gelangt der Staat unter den herrschenden Bedingungen nicht an die von ihm gewünschten Kriegsgüter, ist absehbar, dass er Wirtschaft und Gesellschaft seinen Zwecken immer stärker unterstellen wird.
In der ersten Stufe wird der Staat eine Befehls- und Lenkungswirtschaft herbeiführen. Das heißt im Kern: Der Staat belässt den Unternehmern das Eigentum an ihren Produktionsmitteln (unter anderem Vorprodukte, Werkzeuge und Produktionsstätte). Gleichzeitig diktiert er ihnen jedoch, was wann wie und in welcher Menge zu produzieren ist, wie hoch die Löhne sein müssen und in welcher Höhe Dividenden gezahlt werden dürfen. Unternehmer sind nur noch rechtlich-formal Eigentümer ihrer Produktionsmittel. Wirtschaftlich gesehen sind sie zu Befehlsempfängern degradiert. Die Möglichkeit, unter den gegebenen Bedingungen noch Gewinn zu erzielen und das Eigentum erhalten zu können, hält jedoch die Anreize für die Firmeninhaber aufrecht, so effizient wie möglich weiterzuproduzieren.
So kommt der Staat an Privateigentum
Der Schritt von der Befehls- und Lenkungswirtschaft in den Kriegssozialismus ist klein. Er wird dann vollzogen, wenn der Staat die Firmeneigentümer enteignet. In der Befehls- und Lenkungswirtschaft haben die Marktpreise ihre volkswirtschaftliche Funktion, knappe Ressourcen in die dringendsten Verwendungen zu lenken, bereits weitestgehend eingebüßt. Das Bestehen des Privateigentums hält jedoch die Firmen an, mit knappen Mitteln bestmöglich zu wirtschaften. Weil aber die Marktpreise bereits in ihrer Signalfunktion stark beeinträchtig sind, ist das Chaos in der Wirtschaftsrechnung vorprogrammiert: Fehlinvestitionen und nicht realisierbare Produktionsvorhaben sind an der Tagesordnung.
Wenn Politiker dann auch noch die Firmen nach und nach verstaatlichen, entsteht nach und nach ein sozialistisches System, wie es in ökonomischen Lehrbüchern definiert wird: Sozialismus ist ein Wirtschaftssystem, in dem Produktionsmittel verstaatlicht sind. Spätestens dann machen sich auch alle wirtschaftlichen Defekte des Sozialismus unvermindert bemerkbar. Spätestens dann gehört der Mangel für die Bevölkerung zur tagtäglichen Erfahrung.
Man sollte auch das Argument sorgfältig abwägen, dass ein Kriegssozialismus nur von vorübergehender Natur sei. Denn man muss in Rechnung stellen, dass sich mitunter Beharrungskräfte zeigen werden, die sich gegen einen Rückbau des Kriegssozialismus aussprechen: Viele Unternehmen würden Aufträge und Gewinne verlieren, viele Arbeitnehmer ihre Arbeitsplätze und Einkommen, viele ihren Einfluss in Regierung und Bürokratie. Je weiter der Kriegssozialismus fortschreitet, desto höher fallen die volkswirtschaftlichen Kosten aus, um ihn zu beenden.
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