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in Die Spezialisten für globale GeldanlageLesedauer: 10 Minuten
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Wie sich der Rentenmarkt entwickelt 3 Einschätzungen, warum sich das Umfeld für Anleihen verbessert

Studentenprotest gegen die Studienkredite-Politik in Washington
Studentenprotest gegen die Studienkredite-Politik in Washington: „Das Risiko noch höherer Anleiherenditen scheint derzeit deutlich gesunken zu sein“, sagt Francis A. Scotland von Brandywine Global. | Foto: Imago Images / NurPhoto

Die Veränderungen der Finanzierungsbedingungen seit der Pandemie könnten sich zukünftig als ebenso weitreichend erweisen wie jene, die das Umfeld nach der globalen Finanzkrise geprägt haben.

Damals: Nach der globalen Finanzkrise brach die Kreditnachfrage der privaten Haushalte ein. Die Sparquoten schnellten in die Höhe und überschüssiges Kapital war im Überfluss vorhanden.

Das Ergebnis: Zehn Jahre mit extrem niedrigen Realzinsen, stabiler und niedriger Inflation und einer Hausse an den Rentenmärkten, die durch sinkende Realrenditen angetrieben wurde.

Heute: Die Pandemie hat eine neue, massive fiskalische Expansion ausgelöst, die durch staatliche Ausgaben für strategische Neuausrichtungen der Industrie, den nachhaltigen Umbau der Wirtschaft und die Festigung der Lieferketten in einer zunehmend instabilen, multipolaren Welt getragen wird. Und bislang ist die Sparquote der privaten Haushalte nur halb so hoch wie vor der Pandemie. Das Ergebnis: Steigende Realzinsen. Dennoch liegt die zehnjährige Breakeven-Inflationsrate nur rund 60 Basispunkte höher als 2019, nachdem die ausgewiesene Inflation weiter zurückgeht. Gleichzeitig bewegen sich die nominalen Renditen jedoch mehr als 200 Basispunkte über dem Niveau vor der Pandemie.

Ein neues Zinsgleichgewicht?

Francis A. Scotland

Eine Vorstellung davon, wo das Zinsgleichgewicht liegen könnte, ist wichtig, um sowohl die Strenge der Geldpolitik als auch das Wertpotenzial von Anleihen beurteilen zu können. Treibt die US-Notenbank die Marktzinsen über den neutralen kurzfristigen Zinssatz (R*), führt das zur Repression der Wirtschaft. Für Anleger ist wichtig, dass die Anleiherenditen ihr Gleichgewichtsniveau im Gleichschritt mit dem Konjunkturzyklus in der Regel über- und unterschreiten. Der Gleichgewichtszinssatz, der selbst unter den bestmöglichen Bedingungen ein bewegliches Ziel ist, lässt sich unter den gegenwärtigen Umständen nur sehr schwer verlässlich quantifizieren: Zu groß sind die Unsicherheiten, zu vielfältig die Faktoren, die die Gleichgewichtszinsstruktur beeinflussen können, und zu unterschiedlich die Meinungen von Wissenschaftlern, Analysten und Investoren. Diese Einschätzung wurde auch vom Fed-Vorsitzenden Jerome Powell in seiner Rede in Jackson Hole bekräftigt. Seine Position bleibt: Er will die Zinsen zumindest so lange hochhalten, bis sich die Lage geklärt hat.

In Ermangelung zuverlässiger quantitativer Benchmarks ist die einzige Grundlage, die wir haben, um zu bestimmen, wo sich die Zinssätze in Bezug auf ihr Gleichgewicht befinden, unser Urteilsvermögen, also unsere Einschätzung, wie die Märkte und die Wirtschaft auf die Zinsstruktur reagieren, die das derzeitige Dilemma verursacht hat. Die Zinsen erscheinen in vielerlei Hinsicht hoch. Dennoch scheint die US-Wirtschaft im Vergleich zu Europa, das anscheinend in eine Rezession abgerutscht ist, und China, das am Rande einer systemischen Deflation steht, relativ widerstandsfähig zu sein, was darauf hindeutet, dass das Gleichgewichtszinsniveau in den USA höher liegen könnte, als allgemein angenommen wird.

 

Erschwerend kommt hinzu, dass die Auswirkungen einer Straffung der Geldpolitik mit einer langen, volatilen Verzögerung eintreten, was das Gegenteil bedeuten könnte, nämlich dass die Marktzinsen über dem Gleichgewichtsniveau liegen und die von vielen vorhergesagte Rezession in den USA bevorsteht, aber noch nicht eingetreten ist.

Einschätzung Nr. 1: Die Zinsen sind sehr hoch und die US-Geldpolitik ist bereits sehr straff

Die Grafik zeigt den oberen Zielsatz für die Fed Funds Rate abzüglich der Inflationsrate, die sich nach Berechnungen der Federal Reserve Bank of Atlanta für denjenigen Teil des Verbraucherpreisindex-Warenkorbs ergibt, bei dem die Inflation am hartnäckigsten ist (ohne Berücksichtigung von Wohnkosten, annualisiert über die letzten drei Monate).

Grafik: Zielsatz der Federal Funds Rate abzüglich des „Sticky Price“-VPI (ohne Wohnkosten)

Die Fed hat eingeräumt, dass die Inflation bei den Wohnkosten hinter dem allgemeinen Verbraucherpreisindex zurückbleibt und angesichts der Entwicklung der Marktdaten sinken sollte. So hat die Federal Reserve Bank of San Francisco (Quelle: Kmetz, A., Louie, S. und Mondragon, J. „Where is Shelter Inflation Headed?“, FRBSF Economic Letter, 7. August 2023) beispielsweise eine Basisprognose für die Inflation der Wohnkosten veröffentlicht, nach der im April nächsten Jahres die Wohnkosteninflation den Nullpunkt erreichen und im weiteren Verlauf des Jahres 2024 negativ werden könnte. Die Grafik zeigt, dass der auf diese Weise berechnete Realzins bei 4,5 Prozent liegt – ein Wert, der nahe an den Höchstständen der letzten 50 Jahre (mit Ausnahme der frühen 1980er-Jahre) liegt. In dieser Kennzahl ist die Bilanzverkürzung der Fed noch nicht berücksichtigt, die gemäß der Proxy Funds Rate der San Francisco Fed weitere 184 Basispunkte ausmachen würde.

Dieser Eindruck einer extrem restriktiven Geldpolitik deckt sich mit dem Verlauf der Zinsstrukturkurve, dem Einbruch des Geldmengenwachstums, dem starken Rückgang der Erschwinglichkeit von Wohnraum, der Stagnation der privaten Kreditkonditionen und dem Nullwachstum bei der Kreditvergabe der Geschäftsbanken. Hinzu kommen die Belastungen im Bankensektor, wobei die Intervention der Fed allerdings verhindert hat, dass sich die Situation zu einer ausgewachsenen Kreditklemme ausweitet.