Kapitalmarktstratege Tilmann Galler
Wann wirken politische Impulse auf Chinas Wirtschaft?

Kapitalmarktstratege Tilmann Galler
Das jährliche reale BIP-Wachstum zeigte für China im vierten Quartal 2023 eine Verbesserung auf 5,2 Prozent, größtenteils aufgrund der niedrigen Vergleichsbasis aus dem vierten Quartal 2022. Konsumklima, private Geschäftsaktivitäten und das Vertrauen in den Immobilienmarkt sind dennoch weiterhin erschüttert. Der im März abgehaltene Nationale Volkskongress zeigt zumindest: Wachstum bleibt ein wi...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Das jährliche reale BIP-Wachstum zeigte für China im vierten Quartal 2023 eine Verbesserung auf 5,2 Prozent, größtenteils aufgrund der niedrigen Vergleichsbasis aus dem vierten Quartal 2022. Konsumklima, private Geschäftsaktivitäten und das Vertrauen in den Immobilienmarkt sind dennoch weiterhin erschüttert. Der im März abgehaltene Nationale Volkskongress zeigt zumindest: Wachstum bleibt ein wichtiger Aspekt auf der politischen Agenda Chinas.
Chinas „Zwei Sitzungen“ des Jahres 2024, bestehend aus dem Nationalen Volkskongress (NVK) und der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes, fanden Anfang März in Peking statt. Alle Augen waren auf die politischen Ziele und Prioritäten gerichtet inmitten einer gedämpften Wirtschaftsdynamik und eines schwachen Marktvertrauens.
Insgesamt entsprachen die Ankündigungen den Markterwartungen. Das Wachstumsziel von „rund 5 Prozent“ signalisiert eine wachstumsfreundliche politische Haltung, die durch die Geld- und Fiskalpolitik unterstützt wird. Angesichts des anhaltenden Deflationsrisikos wird das Inflationsziel in diesem Jahr genauso wichtig wie das Wachstumsziel von 5 Prozent.
Seit 2015 hat die Regierung ihr Inflationsziel für den Verbraucherpreisindex (VPI) stets auf 3 Prozent festgelegt, was normalerweise als Obergrenze für die Beurteilung des geldpolitischen Kurses diente. Trotz des Rückgangs der VPI-Inflation 2023 auf +0,2 Prozent liegt das Inflationsziel für 2024 erneut bei 3 Prozent. Wenn sich der Deflationstrend in der ersten Hälfte des Jahres 2024 fortsetzt, dürften aggressivere geldpolitische Maßnahmen, einschließlich quantitativer Lockerung, erforderlich sein.
Die größte Herausforderung Chinas ist die schlechte Stimmung der privaten Haushalte und der Unternehmen. Die Immobilienkrise spielt hier eine entscheidende Rolle, denn knapp zwei Drittel der chinesischen Privatvermögen steckt in Immobilien. Die Übertreibungen auf dem Immobilienmarkt sind enorm. Der durchschnittliche Wohnungspreis in den Metropolen beträgt das 40-fache des verfügbaren Einkommens, in den USA hingegen liegt das Verhältnis nur beim zehnfachen.
Aufgrund der eingetrübten Zukunftsaussichten ist die Nachfrage nach Immobilien stark gefallen, während der zum Verkauf stehende Bestand von Wohnimmobilien um 22,2 Prozent im Jahresvergleich angestiegen ist. Die Bauinvestitionen sanken 2023 um 9,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Diese Schwäche griff auf verbundene Branchen über.
Immobilien sind ein wichtiger Treiber für das Kreditwachstum und eine Säule der staatlichen Finanzierung auf lokaler Ebene. Aufgrund der aktuellen Schwäche verschlechterten sich die Bilanzen von Entwicklungsgesellschaften und den Finanzierungsvehikeln der Lokalregierungen. Die einsetzende Vertrauenskrise ist zum größten Hemmschuh für die Wirksamkeit der Konjunkturmaßnahmen geworden. Trotz der fortgesetzten geldpolitischen Lockerung blieb der Kreditimpuls schwach, weil Privathaushalte und -unternehmen keine Kredite aufnehmen und nicht investieren. Das führt dazu, dass auch zukünftig der Fiskalpolitik eine immer wichtigere Rolle als Kickstarter für den schwächelnden Konjunkturmotor zukommen dürfte.
Um das Wachstumsziel von 5 Prozent zu erreichen, dürften die Geld- und Fiskalpolitik ausgeweitet werden. Vor dem Hintergrund des schwachen Vertrauens und der Deflationsrisiken reichen niedrigere Zinssätze oder Mindestreservesätze wahrscheinlich nicht aus. Fiskalische Instrumente müssen einen größeren Teil der Schwerarbeit leisten, um die Gesamtnachfrage anzukurbeln.
Bereits Ende 2023 weitete die Regierung die Konjunkturpolitik weiter aus und erhöhte ihr Haushaltsdefizitziel auf 3,8 Prozent des BIP. Auf der NVK-Sitzung wurde die Haushaltsdefizitquote für 2024 auf 3 Prozent gesenkt, aber ab diesem Jahr plant die Regierung, außerhalb des aktuellen Defizitziels ultralange Sonderstaatsanleihen auszugeben, insbesondere für die Umsetzung wichtiger strategischer Entwicklungs- und Sicherheitsinitiativen.
Der Gesamtumfang dieser Emission wird im Jahr 2024 das tatsächliche Defizit wahrscheinlich auf über 3 Prozent bringen. Zur Unterstützung fiskalpolitischer Impulse muss die Geldpolitik akkommodierend bleiben, weshalb wir in diesem Jahr weitere Zinssenkungen erwarten.
Nach der Marktkorrektur der letzten drei Jahre sind die Bewertungen chinesischer Aktien günstig geworden. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des MSCI China ist bis Ende Januar auf 8,3x gefallen und war damit nur halb so hoch wie vor drei Jahren. Auf diesen Niveaus folgten bisher immer kräftige Rebounds.
Doch eine Grundvoraussetzung für ein freundlicheres Aktienumfeld 2024 ist nach unserer Ansicht das Tempo, das Ausmaß und die Wirksamkeit der laufenden Unterstützung des Immobiliensektors, um das Vertrauen der Käufer zu stärken und die Erholung der Investitionen im privaten Sektor anzukurbeln.
Längerfristig wird es jedoch entscheidend sein, ob es den chinesischen Unternehmen wieder gelingen wird, das heimische Wirtschaftswachstum in Gewinnwachstum umzumünzen. Dies ist in den letzten zehn Jahren nicht ausreichend gelungen. Vertrauensbildende Maßnahmen der Regierung wie eine umfangreiche Rekapitalisierung von Regionalbanken und Schattenbanken, eine unternehmensfreundlichere Regulierung und Initiativen für eine bessere Unternehmensführung sind notwendige Bedingungen, dass chinesische Aktien zu alter Ertragsstärke zurückfinden können.
Für Investoren bleiben bis dahin langfristig aufstrebende Sektoren wie erneuerbare Energie, Elektrofahrzeuge und industrielle Fertigung als künftige Wachstumsmotoren Chinas attraktiv. Sie werden mit hoher Wahrscheinlichkeit von großzügiger politischer Unterstützung profitieren.
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