Karl Pilny im Interview „Das Dreieck China, Korea und Japan ist eins der spannendsten der Weltwirtschaft“
Wirtschaftsanwalt Karl Pilny ist einer der profundesten Asienkenner im deutschsprachigen Raum. Der Geschäftsführer der asia21 gmbh hilft europäischen Unternehmern beim Eintritt in asiatische Märkte und begleitet asiatische Firmen auf ihrem Weg nach Europa. Er managte bereits einen eigenen asiatischen Aktienfonds und lebte selbst mehrere Jahre auf dem Kontinent. Lies hier das gesamte Gespräch zwischen Karl Pilny und Peter Ehlers, Herausgeber von derfonds.com und Host des Podcasts „Think. Or Sink.“
Peter Ehlers: Karl, sprechen wir über Korea. Wie sieht es da aus? Das Land zeigt schon lange eine unglaubliche technologische Entwicklung, hat viele große gute Unternehmen hervorgebracht und wächst noch weiter. Siehst du da auch künftig Potenzial und wie beurteilst du das Verhältnis von Korea und China – auch kulturell?
Karl Pilny: Das ist eins meiner Lieblingsthemen, wie wichtig Werte und Wertsysteme für wirtschaftlichen Erfolg sind. Dieses Dreieck China, Korea und Japan ist eins der spannendsten in ganz Asien und der Weltwirtschaftsgeschichte. Der Aufstieg Asiens ist im Wesentlichen durch Ostasien geprägt und der wiederum durch dieses Dreieck: Zuerst war es Japan, das in den 1870er-Jahren den ersten und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs den zweiten Aufstieg schaffte. Damit meine ich: Das Land hat es innerhalb weniger Jahre geschafft, zu den westlichen Industrie- und Kolonialmächten aufzuschließen und deswegen 1964 auch die Olympischen Spiele in Tokio abgehalten. 1988 waren sie bezeichnenderweise in Soul und 2008 in Peking.
Jetzt muss man noch zwei bis drei Sätze sagen zu der komplexen Geschichte dieser drei Länder, die eben auch massive wirtschaftliche und politische Auswirkungen hat. Ich sage es mal ganz vereinfacht: Die Leitkultur stammt natürlich aus China. China war zivilisatorisch ganz weit vorne, Japan und Korea lagen an der Peripherie und wurden, das ist wirklich so, zum Teil von Entwicklungshilfedelegationen unterstützt. Im 5. und 6. Jahrhundert nach Christus, also zu Zeiten der Than-Dynastie, gingen chinesische Delegationen über die Landbrücke von Korea nach Japan. Das war die Phase, wo sehr viel von der chinesischen Kultur nach Japan eingeflossen ist, die Schriftzeichen, der Kimono und so weiter.
Die Japaner wussten sehr wohl, dass ihre eigene Identität dadurch ein bisschen bedroht ist. Die alte Kaiserstadt Kyoto und Nara sind nach chinesischem Vorbild gebaut worden. Die Japaner haben versucht, ihren Nationalstolz aufrechterhalten und gesagt: Na gut, das ist halt chinesisches Wissen, aber der japanische Geist ist gleich geblieben. Jetzt kommt Korea ins Spiel. Korea war die Landbrücke, über die dieser Austausch stattgefunden hat. Deswegen gibt es viele Menschen, die sagen, dass die Japaner dadurch einen natürlichen Widerwillen gegen Korea haben, weil sie sich dadurch ein bisschen bedrängt fühlten. In der Tat gab es zu der Zeit im 5., 6. Jahrhundert in Korea drei große Königreiche, die in ganz Südjapan Niederlassungen, manche sagen sogar Kolonien hatten. Die Japaner waren, um das Neudeutsch zu sagen, immer etwas angefressen, dass die Koreaner da so einen starken Einfluss hatten. Das führte dann dazu, als Japan auch militärisch immer stärker wurde, dass die Japaner dann im Mittelalter anfingen, sehr schlimme Kriegszüge nach Korea zu unternehmen im 15. und 16. Jahrhundert. Das ist ein großes Trauma der Koreaner. Sie wurden von den Japanern oft besetzt und verwüstet und zerstört und es wirkt bis zum heutigen Tag nach.
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Jetzt komme ich auf die aktuelle Geschichte, die hat sich dann natürlich wiederholt, und deswegen wurde Anfang des 20. Jahrhunderts Korea einmal mehr von Japan kolonialisiert und wirklich sehr grauenhaft und grausam dominiert, so von 1910 bis 1945. Letztendlich kam das Ende des Zweiten Weltkriegs. Dann kam der Wettlauf zwischen Russland und China und der Koreakrieg, der zur Teilung in Nord- und Südkorea führte.
Deswegen kann man gar nicht hoch genug loben, wie es der kleine südliche Teil mit gerade einmal 42 Millionen Einwohnern geschafft hat, innerhalb von 20 Jahren von den ärmsten Ländern der Welt – dazu gehörten sie noch in den 1970er-Jahren – zu einer der zehn größten Volkswirtschaften der Welt aufzusteigen. Man muss zugeben: Viele Strukturen sehen sehr ähnlich aus zu dem, was in Japan passiert ist, die ganzen Staatskonzerne und so weiter. Die Japaner sagen bis heute, Südkorea hat das nur geschafft, weil es von uns das Know-how hatte. Ich glaub das ist nicht so ganz richtig.
1.200% Rendite in 20 Jahren?
In vieler Hinsicht waren die koreanischen Unternehmen agiler und flexibler als die japanischen Firmen. Das heißt: Hyundai war das bessere Toyota, Samsung das bessere Sony. Das bezieht sich im Zweifel sowohl auf die Aktien als auch die Unternehmen und die Politik und hat sich bis zum heutigen Tag eigentlich gehalten. Also, was Südkorea erreicht hat in den letzten 20, 30 Jahren ist extrem beeindruckend – viele sagen, noch viel beeindruckender als das, was Japan erreichte.
Japan ist einfach auch mehr in die Stagnation gerutscht. Seit 1989, als der Nikkei die 40.000 Punkte-Marke fast geknackt hatte und dann wegrutschte, ist Südkorea viel dynamischer, agiler, adaptiver und auch viel innovativer. Deswegen sind die Unternehmen wie Samsung, Hyundai und so weiter, wo es immer wieder spannende Ausgründungen gibt, technologisch ganz weit vorne. Jetzt komme ich zum ganz wichtigen Punkt: Das gewaltige Potenzial von Korea ist ja bislang maximal zur Hälfte ausgeschöpft. Wenn du dir vorstellst, es käme irgendwann mal zu einer koreanischen Wiedervereinigung, das wäre das absolute Powerhouse schlechthin. Der Norden von Korea ist extrem rohstoffreich, die platzen vor Seltenen Erden, Uran und natürlichen Rohstoffe.
Es sind 23 Millionen Menschen, die ähnlich wie die südkoreanischen Brüder und Schwestern extrem motiviert und anpassungsfähig sind. Es ist ein toller Pool an günstigen Arbeitskräften, aber auch an heranwachsenden Konsumenten, also mit anderen Worten und wenn man es mal überspitzt formuliert: Schon der Süden Koreas hat es wirklich geschafft, die Japaner zum Schwitzen zu bringen. Man stelle sich nur mal vor, was ein wiedervereinigtes Korea hinkriegen könnte. Das wäre gewaltig.
Das ist auch einer der Gründe, das ist meine Lesart, dass eigentlich keiner Interesse an der Veränderung des Status quo hat. Momentan ist es allen recht so, wie es gerade ist. Weil wenn zum Beispiel Nord- und Südkorea irgendwie wieder in militärischen Konflikt kommen würden, hätten die Chinesen ein riesiges Flüchtlingsproblem. Denn China hat ja eine gemeinsame Grenze mit Nordkorea. Die USA wiederum, die knapp 50.000 Soldaten stationiert haben, haben auch kein großes Interesse an der Wiedervereinigung. Am allerwenigsten die Japaner, die nach wie vor sehr verhasst sind aufgrund dieser unfassbaren Gräueltaten im Zweiten Weltkrieg sowohl in Korea als auch in China. Also da ist wirklich ganz explosiver Problemstoff unterm Teppich und deswegen ist es eigentlich am besten so, wie es gerade ist: Dass Korea geteilt ist und dieses riesige Potential noch nicht ausgeschöpft ist. Mal gucken, wie das weitergehen wird.
Besteht überhaupt eine Chance, dass sich Nord- und Südkorea vereinigen?
Pilny: Es ist nicht auszuschließen. Nordkorea ist letztendlich auch eine sehr fragile Diktatur, das ist halt letztendlich eine Familien-Clan-Geschichte; der Kim-Clan jetzt in der dritten Generation. Aber was man im Westen oft unterschätzt: Es gibt rivalisierende andere Clans und man hat in den letzten zwölf Monaten gesehen, wie fragil dann doch vermeintlich stabile Diktaturen auf einmal sein können.
Wenn man mal diesen eisernen Griff der Kim-Sippe wegnimmt, sind die Nordkoreaner genauso fleißig, talentiert, begabt und ehrgeizig wie die Südkoreaner. Und was die erreicht haben, haben wir ja gerade gesehen.