Investment-Experte Niall O´Sullivan
Deglobalisierung entpuppt sich als wirtschaftlicher Irrweg
Niall O´Sullivan, Investment-Chef bei Neuberger Berman für Multi-Asset-Strategien Foto: Neuberger Berman
Die Globalisierung ist zu wichtig, als dass die Weltwirtschaft darauf verzichten kann. Davon ist Niall O´Sullivan, Investmentchef bei Neuberger Berman, überzeugt und bezweifelt, dass der Trend zur Deglobalisierung andauern wird. Denn dieser kostet Investoren Rendite und gefährdet den Kampf gegen den Klimawandel.
Die Globalisierung musste in den vergangenen 15 Jahren herbe Rückschläge erleben: Die Finanzkrise von 2007 bis 2009 zeigte auf, dass die komplexe Verflechtung der globalen Finanzmärkte mit der Realwirtschaft auch eine Anfälligkeit für Störungen schafft. Viele Länder reagierten mit protektionistischen Beschränkungen, um ihre lokale Wirtschaft zu schützen. Der Brexit und die US-Wahlen von 2016 zerrütteten die Handelbeziehungen innerhalb Europas und zwischen den USA und China.
Dann kam die Covid-19-Pandemie, die aufzeigte, wie zerbrechlich ein System aus weltumspannenden, hypereffizienten Just-in-Time-Lieferketten sein kann. Und das jüngste Beispiel: Der Ukrainekrieg mit seinen tiefgreifenden...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Die Globalisierung musste in den vergangenen 15 Jahren herbe Rückschläge erleben: Die Finanzkrise von 2007 bis 2009 zeigte auf, dass die komplexe Verflechtung der globalen Finanzmärkte mit der Realwirtschaft auch eine Anfälligkeit für Störungen schafft. Viele Länder reagierten mit protektionistischen Beschränkungen, um ihre lokale Wirtschaft zu schützen. Der Brexit und die US-Wahlen von 2016 zerrütteten die Handelbeziehungen innerhalb Europas und zwischen den USA und China.
Dann kam die Covid-19-Pandemie, die aufzeigte, wie zerbrechlich ein System aus weltumspannenden, hypereffizienten Just-in-Time-Lieferketten sein kann. Und das jüngste Beispiel: Der Ukrainekrieg mit seinen tiefgreifenden geopolitischen, humanitären, militärischen und strategischen Auswirkungen. Harte Schläge, nach sieben, sehr erfolgreichen Jahrzehnte, in denen die globale Vernetzung kontinuierlich zunahm.
Preisentwicklungen verfälschen Analysen zur Deglobalisierung
Dennoch sind wir davon überzeugt, dass sich die Welt nicht auf eine vollständige Autarkie zubewegen wird. Ganz im Gegenteil ist eine Trendwende hin zu mehr Handel bezogen auf das globale BIP realistisch. Zumal viele der aktuellen Analysen, die einen starken Trend hin zur Deglobalisierung untermauern, deutlich überbewertet sind. Das liegt vor allem an der Datenlage, denn die meisten dieser Analysen stützen sich darauf, dass die Exporte im Verhältnis zum globalen BIP zurückgehen.
Dabei wird jedoch häufig außer Acht gelassen, dass diese Entwicklung größtenteils technischer Natur ist. So sind etwa im relevanten Zeitraum vor 2021 eine Reihe von Rohstoffpreisen deutlich gesunken, in den Handelsbilanzen schlägt sich dies wiederum als Rückgang der Exporte nieder. Klar ist, dass, selbst wenn die Analysen um diesen Faktor bereinigt werden, ein Trend zur Deglobalisierung erkennbar bleibt, wenn auch in deutlich abgeschwächter Form – die angesprochenen Rückschläge sind nicht spurlos an den globalen Wirtschaftsverflechtungen vorübergegangen.
Die zunehmenden Spannungen zwischen bestimmten Volkswirtschaften haben neue gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen, die den Handel erschweren. Zudem haben einige Unternehmen erkannt, welche Gefahren etwa auf Just-in-Time getrimmte globale Lieferketten bergen. Sie versuchen nun, wichtige Produktionsschritte lokal aufzubauen, um ihre Abhängigkeit zu verringern. Diese Faktoren sind real und werden wahrscheinlich den Welthandel auch in Zukunft bremsen.
Die Globalisierung komplett umkehren, werden sie jedoch sicher nicht. Immerhin hat der globale Handel in den vergangenen Jahrzehnten die Kosten für Arbeit und Waren gesenkt, die Inflation und die Zinssätze niedrig gehalten, den Anteil des Kapitals am Wachstum erhöht und die in Finanzanlagen eingepreisten Risikoprämien verringert. Um nur einen einfachen Maßstab zu nehmen: Das Kurs-Gewinn-Verhältnis des S&P-500-Index lag in den 35 Jahren vor dem Fall der Berliner Mauer im Durchschnitt unter 15 – und seitdem über 20.
Sollten Unternehmen zunehmend gezwungen sein, ihre Produktion lokal auszuführen, obwohl es global effizienter wäre, gehen Wettbewerbsvorteile verloren. Oder kurz: die Globalisierung bringt zu viele Vorteile, als dass die Weltwirtschaft darauf verzichten möchte.
Klimaneutralität erfordert globale Handelsbeziehungen
Tatsächlich gibt es bereits leichte Anzeichen für Entspannung. So haben sich die globalen Lieferketten in den vergangenen Monaten deutlich normalisiert und auch von der Wiedereröffnung Chinas nach den strikten Covid-Beschränkungen gehen belebende Impulse aus. Insbesondere für Europa und seine besonders exportorientierte Wirtschaft sind das gute Zeichen.
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