Volkswirt Jörg Angelé
Europa steht eine Durststrecke bevor
Jörg Angelé ist Volkswirt bei Bantleon. Foto: Thomas Wieland
Experten gehen inzwischen davon aus, dass Europa nicht in eine Rezession rutscht. Die Inversion der Zinsstrukturkurve und das rückläufige reale Geldmengenwachstum deuten jedoch auf eine längere Durststrecke hin.
In der Vergangenheit wirkten sich Änderungen bei den Finanzierungskonditionen mit einer Verzögerung von einem Jahr bis eineinhalb Jahren auf die Konjunktur aus. Vor diesem Hintergrund deutet der FCI darauf hin, dass sich die Konjunktur in der Eurozone in den kommenden Quartalen eintrübt.
Gestützt wird unser Konjunkturpessimismus aber nicht nur durch unsere eigenen Frühindikatoren, sondern auch durch zwei Klassiker der vorausschauenden Konjunkturanalyse: der Zinskurve und der Entwicklung der realen Geldmenge.
Inverse Zinskurve bleibt Alarmsignal
Die Zinskurve bildet die Differenz zwischen den Renditen lang und kurz laufender...
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In der Vergangenheit wirkten sich Änderungen bei den Finanzierungskonditionen mit einer Verzögerung von einem Jahr bis eineinhalb Jahren auf die Konjunktur aus. Vor diesem Hintergrund deutet der FCI darauf hin, dass sich die Konjunktur in der Eurozone in den kommenden Quartalen eintrübt.
Gestützt wird unser Konjunkturpessimismus aber nicht nur durch unsere eigenen Frühindikatoren, sondern auch durch zwei Klassiker der vorausschauenden Konjunkturanalyse: der Zinskurve und der Entwicklung der realen Geldmenge.
Inverse Zinskurve bleibt Alarmsignal
Die Zinskurve bildet die Differenz zwischen den Renditen lang und kurz laufender Staatsanleihen ab, wobei am häufigsten der Renditespread zwischen zehnjährigen und zweijährigen Staatsanleihen betrachtet wird. Eine Inversion der Zinskurve, also ein Anstieg der Renditen am kurzen Ende über das Renditeniveau am langen Ende, wird gemeinhin als zuverlässiger Vorbote einer Rezession gesehen.
Dabei ist zu beachten, dass eine invertierte Zinskurve keine Rezession auslöst (Korrelation ≠ Kausalität). Sie zeigt lediglich die Erwartung am Rentenmarkt, dass die starke Anhebung der Leitzinsen zu einem scharfen Konjunkturabschwung beziehungsweise zu einer Rezession führt.
Die deutsche Zinskurve ist so invers wie zuletzt während des Wiedervereinigungs-Booms
Als Reaktion auf den damit verbundenen Rückgang der Inflationsgefahren kann die Notenbank die Leitzinsen wieder senken. Daher steigen die Renditen am langen Ende immer weniger stark mit, je höher die Leitzinsen nach oben geschraubt werden. Demgegenüber hängt das kurze Ende stark an den Leitzinsen und folgt deren Bewegungen nahezu 1:1.
In Deutschland beispielsweise folgte seit dem Jahr 1973 auf jede inverse beziehungsweise flache Zinskurve eine Rezession, die wir als BIP-Rückgang in mindestens zwei aufeinanderfolgenden Quartalen um in Summe mindestens 0,5 Prozent definieren. Der Abstand zwischen Kurveninversion und Rezession betrug dabei zwischen zwei und acht Quartalen.
Abschwünge und Rezessionen gab es in Deutschland in der Vergangenheit zwar auch ohne eine zuvor flache beziehungsweise inverse Zinskurve – Auslöser waren dann exogene Schocks (1997/1998 Asien- und Russland-Krise, 2012/2013 Euro-Schuldenkrise) oder eine restriktive Haushaltspolitik des Staates (1995/1996 und 2004). Es gab jedoch keinen Fall, in dem auf eine flache keine Rezession folgte.
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