Hans-Werner Sinn
Fast 1000 Milliarden Target-Forderungen der Bundesbank: Was steckt dahinter?
Hans-Werner Sinn, Alt-Präsident des Ifo-Instituts Foto: Ifo-Institut
Der Target-Saldo der Bundesbank steigt schon zehn Jahre lang und liegt nun ungefähr bei einer Billion Euro. Zyklisch hat sich der Wert von circa 70 Milliarden Euro Ende 2007 auf den Wert von 976 Milliarden Euro Ende Juni 2018 hinbewegt.
Sie müssen dabei freilich hinreichend gute Pfänder hinterlegen. Die Mindestqualität dieser Pfänder, und das ist die dritte Regelung, wurde sukzessive bis unter BBB–, also bis auf das Schrottniveau gesenkt. Schrottpfänder hatten die Geschäftsbanken genug, um die heimische Geldmaschine laufen zu lassen. In einer kaum noch überschaubaren Vielzahl von Einzelentscheidungen hat der EZB-Rat im Laufe der Zeit die Bonitätsanforderungen an die als Sicherheiten eingereichten Wertpapiere immer weiter heruntergeschraubt, um den Banken die Gelegenheit zu geben, aus ihren ohnehin schon zerfledderten Bilanzen immer mehr Aktiva als Pfänder herauszukratzen. Außerdem hat der EZB-Rat viel Spielraum für...
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Sie müssen dabei freilich hinreichend gute Pfänder hinterlegen. Die Mindestqualität dieser Pfänder, und das ist die dritte Regelung, wurde sukzessive bis unter BBB–, also bis auf das Schrottniveau gesenkt. Schrottpfänder hatten die Geschäftsbanken genug, um die heimische Geldmaschine laufen zu lassen. In einer kaum noch überschaubaren Vielzahl von Einzelentscheidungen hat der EZB-Rat im Laufe der Zeit die Bonitätsanforderungen an die als Sicherheiten eingereichten Wertpapiere immer weiter heruntergeschraubt, um den Banken die Gelegenheit zu geben, aus ihren ohnehin schon zerfledderten Bilanzen immer mehr Aktiva als Pfänder herauszukratzen. Außerdem hat der EZB-Rat viel Spielraum für die nationale Definition der geeigneten Sicherheiten gelassen und dabei sogar im Ringtausch zwischen Banken entstandene Schuldverschreibungen sowie Unternehmensobligationen zugelassen, die das Licht des Marktes niemals gesehen haben. Der private Kapitalmarkt hatte keine Chance, mit diesen Konditionen mitzuhalten.
Die vierte Regelung besteht in den sogenannten ELA-Notfallkrediten. Danach darf eine Notenbank selbständig den Notfall erklären und dann nach eigenem Gustus und vermeintlich auf eigenes Risiko zu von ihr selbst gesetzten Konditionen so viele Euros an die Banken ihres Geschäftsbereichs verleihen, wie sie will, es sei denn, zwei Drittel der Stimmen des EZB-Rates wenden sich dagegen. Da die sechs offiziellen Krisenländer der Eurozone – Griechenland, Italien, Portugal, Spanien, Irland und Zypern – in den entscheidenden Jahren eine Stimme mehr als ein Drittel hatten, hätte sie niemand daran hindern können, sich mit den ELA-Krediten ein Himmelreich auf Erden zu kaufen. Tatsächlich wurden hunderte von Milliarden Euro an ELA-Krediten ausgegeben, in Griechenland und Irland sogar zum Zweck der Staatsfinanzierung. So konnte z.B. der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis die Verhandlungen mit der Troika im Jahr 2015, bei denen es um 7,5 Milliarden Euro Restforderungen aus dem zweiten Rettungspaket ging, mit Hilfe von ELA-Krediten von insgesamt 89 Milliarden Euro monatelang in die Länge ziehen, während sein Land auf den Kapitalmärkten schon lange kein Geld mehr bekam.
Fünftens wurde die Selbstbedienung ermöglicht, indem die Notenbanken das sogenannte ANFA-Geheimabkommen geschlossen haben, das erst 2015 durch den Berliner Doktoranden Daniel Hoffmann aufgedeckt wurde und die EZB zur anschließenden Veröffentlichung zwang. Dieses Geheimabkommen erlaubt es den nationalen Notenbanken, in gewissem Umfang eigene Geldgeschäfte mit der Druckerpresse zu betreiben. Die Banca d'Italia hat unter dem Schutz von ANFA für 105 Milliarden Euro selbständig Geld geschaffen, um damit Staatspapiere zu kaufen. Auch das hat dazu beigetragen, die Target-Schulden Italiens ansteigen zu lassen. Zur Jahresmitte 2018 lagen Italiens Target-Schulden bei 481 Milliarden Euro Italien hat weitaus mehr Kreditgeld für Überweisungen in Umlauf gebracht, als für die Liquiditätsversorgung der heimischen Wirtschaft erforderlich war.
Die durch all diese Mechanismen erzeugten Kredite aus der Druckerpresse fanden reißenden Absatz bei den Geschäftsbanken, weil sie zu Konditionen gewährt wurden, die die Konditionen des Kapitalmarkts klar unterboten. Die EZB rechtfertigte die im Vergleich zum Markt günstigen Kreditkonditionen damit, dass der Kapitalmarkt nicht richtig funktioniere und die tatsächliche Sicherheit der von den Südeuropäern verlangten Kredite falsch einschätze. Der Transmissionsmechanismus der Geldpolitik sei gestört. Sie hat wie eine Zentralplanungsbehörde zur Verteilung des gesellschaftlichen Produktionsfonds gehandelt.
Binnengeld und Außengeld
Das enorme Volumen der Überziehungskredite, die sich einzelne Länder des Euroraums bei der Bundesbank besorgen konnten, wird auch deutlich, wenn man ihren Einfluss auf die Verteilung des sogenannten Binnen- und Außengeldes betrachtet. Beide Male handelt es sich um Geld, das eine nationale Notenbank herstellt und an die Banken ausgibt. Binnengeld kommt auf Initiative lokaler Banken zustande, die der Notenbank dafür Wertpapiere geben oder eine Forderung gegen sich selbst einräumen. Außengeld ist Überweisungsgeld, das im Auftrag anderer Notenbanken hergestellt wird und eine Devisen- oder Target-Forderung gegen sie begründet. Seinerzeit hieß es, die USA hätten mit dem vielen Außengeld, das sie der Bundesrepublik aufzwangen, ihren Vietnam-Krieg finanziert. Heute stammt das Außengeld, das die Bundesbank hat herstellen müssen, aus den Krisenstaaten Südeuropas, die damit ihre aufgrund eines Verlustes der Wettbewerbsfähigkeit entstandenen Finanznöte decken.
In der seit 2008 währenden Finanzkrise haben die Notenbanken der Krisenländer des Eurosystems den Banken ihrer Länder so viele Geldschöpfungs-Ersatzkredite zum Ausgleich der wegbrechenden privaten Kapitalimporte gewährt und damit solch hohe Nettoüberweisungen nach Deutschland ermöglicht, dass es in den Jahren 2012 und 2013 in Deutschland keinerlei Binnengeld mehr gab. Alles Geld, das von der Bundesbank in Umlauf gebracht worden war, war damals Außengeld. Theoretisch hätte dieses Außengeld zum Binnengeld hinzutreten können, doch brauchten die deutschen Banken nicht mehr Liquidität, als sie hatten, und zogen es vor, die ursprünglich einmal bezogenen Binnengeldkredite der Bundesbank vollständig zu tilgen. In Finnland war es damals ähnlich.
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