Volkswirt Henning Vöpel
Vor diesem Dilemma steht die EZB
Henning Vöpel ist Direktor des Centrums für Europäische Politik. Foto: Centrum für Europäische Politik
Die Inflation steigt und steigt, doch die Europäische Zentralbank erhöht die Zinsen vorerst nicht. Was steckt dahinter? Kann die Notenbank überhaupt noch zielgerichtet handeln? Volkswirt Henning Vöpel vom Centrum für Europäische Politik gibt eine Einschätzung.
Neben der berechtigten Diskussion um fiskalpolitische Spielräume und eine mögliche Weiterentwicklung (wie es im Koalitionsvertrag heißt) des Stabilitäts- und Wachstumspaktes geht es hier ordnungspolitisch um die grundsätzliche Trennung von Geld- und Fiskalpolitik. Auch wenn die Modern Monetary Theory (MMT), die eigentlich eine New Fiscal Theory ist, diese Trennung aufheben möchte, ist diese politökonomisch und institutionell sehr bedeutsam. Denn schon jetzt scheint das gemeinsame Auftreten von Inflation und gestiegenen Staatsschulden die EZB allmählich in die Bredouille zu bringen.
Schon bald könnten die Zielkonflikte sich verschärfen. Was wird dann wichtiger sein, wenn sich aus einer...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Neben der berechtigten Diskussion um fiskalpolitische Spielräume und eine mögliche Weiterentwicklung (wie es im Koalitionsvertrag heißt) des Stabilitäts- und Wachstumspaktes geht es hier ordnungspolitisch um die grundsätzliche Trennung von Geld- und Fiskalpolitik. Auch wenn die Modern Monetary Theory (MMT), die eigentlich eine New Fiscal Theory ist, diese Trennung aufheben möchte, ist diese politökonomisch und institutionell sehr bedeutsam. Denn schon jetzt scheint das gemeinsame Auftreten von Inflation und gestiegenen Staatsschulden die EZB allmählich in die Bredouille zu bringen.
Schon bald könnten die Zielkonflikte sich verschärfen. Was wird dann wichtiger sein, wenn sich aus einer vorübergehenden Inflation ein persistenter Inflationsprozess entwickelt: Die Tragfähigkeit der Staatsschulden durch eine finanzielle Repression zu gewährleisten oder eine mögliche Inflation mit all ihren (un-)sozialen Umverteilungseffekten zu bekämpfen? Sollten sich jetzt noch Verteilungskonflikte und eine Wachstumsschwäche hinzugesellen, wären wir womöglich tatsächlich zurück in der Stagflation der Siebziger.
Die Europa-Perspektive
Die institutionelle Stabilität und Glaubwürdigkeit sind Europas wichtigstes politisches Kapital. Die Unabhängigkeit der EZB ist gerade in einem nicht-optimalen Währungsraum wie der Eurozone, in der die Geldpolitik als Folge einer unvollständigen Fiskalunion immer wieder eine quasi-fiskalische Stabilisierungsfunktion ausübt, essenziell. Denn institutionelle Fehlanreize bauen allmählich strukturelle Ungleichgewichte auf, die sich früher oder später immer wieder zu Krisen zuspitzen. Die Pandemie könnte, zumal bei einer vierten und fünften Welle, in Europa asymmetrische Konjunkturverläufe und divergierende Wachstumspfade bewirken und die EZB noch tiefer in ihre faktisch schon bestehende Abhängigkeit treiben.
Keine Frage: Christine Lagarde führt die EZB weitaus politischer als ihr eher technokratischer Vorgänger Mario Draghi, der nun, wie in den USA die ehemalige Fed-Chefin Janet Yellen, auf die Fiskalseite gewechselt ist. Doch eine zu starke Politisierung der EZB ist mittelfristig wahrscheinlich ihr größtes Risiko. Den fiskalpolitischen Rahmen weiterzuentwickeln, ohne die Unabhängigkeit der EZB in Frage zu stellen, wird daher eine der wichtigsten europapolitischen Aufgaben der nächsten Jahre sein. Die Ampel in Berlin wird dazu schon bald eine konkrete Haltung entwickeln müssen.
Wachsam zu sein, ist die erste Pflicht der Geldpolitik. Noch gibt es keinen Grund, die Zinsen zu erhöhen (die US-amerikanische Zentralbank Fed wird es hingegen wohl schon bald tun). Aber bei Inflationsprozessen kann der Weg von „noch unbedenklich“ zu „bereits zu spät“ sehr kurz sein. Inflation ist am Ende immer auch ein monetäres Phänomen, wie Milton Friedman betonte, aber sie ist vor allem ein politisches.
Die Verlockung der Gegenwart ist immer groß und das Gedächtnis der Politik kurz: „This time is different“, hört man dann, nur um später zu erkennen, dass die Ursachen und Mechanismen von Krisen sich am Ende doch immer stark ähneln. Die wirtschaftspolitischen Spielräume könnten makroökonomisch schon bald deutlich enger werden und die EZB in ein Dilemma stürzen.
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