Ökonom Michael Heise
In der Wirtschaft greift Pessimismus um sich

Michael Heise ist Chefökonom der Anlagegesellschaft HQ Trust. Foto: HQ Trust
Inflation, Energiekrise, Zinswende: Das Jahr 2022 verlangte Verbrauchern viel ab. Welche Probleme bleiben ihnen in diesem Jahr erhalten, wo zeichnen sich Lösungen ab? Ein Gastbeitrag von Michael Heise von der Anlagegesellschaft HQ Trust.
Das Thema Nachhaltigkeit bewegt Unternehmen, Kapitalmärkte, Gesetzgeber. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die Analysen und Thesen der bedeutendsten Nachhaltigkeitsexperten, Top-Ökonomen und Großinvestoren – gebündelt und übersichtlich. Sie sollen dir die wichtigen Entwicklungen auf dem Weg zur nachhaltigen Gesellschaft und Finanzwelt clever und zuweilen kontrovers aufzeigen.
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2022 war ein Jahr, das mit vielen Hoffnungen begonnen hatte, am Ende aber neue Belastungen und Unsicherheiten gebracht hat. Die weltpolitischen Ereignisse des vergangenen Jahres werden noch lange zu spüren sein. Wird das Jahr 2023 dennoch durch eine Art Normalität geprägt sein oder zeichnen sich trotz der vieler Unsicherheitsquellen Trendwenden ab? Hier kommen fünf Thesen.
These 1: Der aktuelle Pessimismus ist zu groß
Natürlich sind die sich überlagernden Krisen noch nicht überwunden und werden auch zu Beginn des Jahres 2023 dämpfende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben. Blickt man jedoch auf das Gesamtjahr 2023, ist vor übertriebenem Pessimismus zu warnen. Zahlreichen Belastungen für die Konjunktur stehen auch stabilisierende Momente gegenüber. Von besonderer Bedeutung ist die Entwicklung der Energie- und Rohstoffpreise, die nach starken Übersteigerungen im Frühsommer inzwischen deutlich korrigiert haben und in den meisten Ländern zu einem Rückgang der hohen Inflationsraten geführt haben. Auch wenn die Prognoseunsicherheiten aufgrund der geopolitischen Konflikte derzeit sehr hoch sind, werden neue Preisspitzen an den Rohstoffmärkten in dem schwächeren gesamtwirtschaftlichen Umfeld eher unwahrscheinlich sein.
Zu den konjunkturstabilisierenden Faktoren zählen auch die teilweise recht großdimensionierten Entlastungsprogramme der Regierungen, mit denen die Verluste an Kaufkraft und die Kostenbelastungen für die Unternehmen begrenzt werden. Zur Stabilisierung des Konsums trägt ferner bei, dass die privaten Haushalte über eine hohe aufgestaute Ersparnis aus den Zeiten der Covid-Lockdowns in 2020 und 2021 verfügen. Und auch die Arbeitsmärkte der meisten entwickelten Märkte geben ein robustes Bild ab. Sie sind durch eine hohe Arbeitskräftenachfrage und durch rückläufige Arbeitslosigkeit gegenüber dem Vorjahr gekennzeichnet.
These 2: Wir werden weiter stark in Richtung Ukraine blicken (müssen)
Bei allem Optimismus gibt es natürlich auch Risikoszenarien. Stark negative Entwicklungen wären etwa in einem Szenario zu erwarten, bei dem der Ukraine-Krieg eskaliert und damit neue Verwerfungen an den globalen Energiemärkten auslöst. Drastisch steigende Energiepreise würden die Inflationserwartungen schüren und die Zentralbanken zu weiteren restriktiven Maßnahmen veranlassen. Rezessive Kräfte würden endgültig die Oberhand gewinnen.
Ein solches Szenario dürfte allerdings eine sehr geringe Eintrittswahrscheinlichkeit haben, denn eine Eskalation der Kampfhandlungen ist weder im Interesse des Westens noch im Interesse Russlands, das seine militärischen und machtpolitischen Ziele in der Ukraine bisher verfehlt hat. Ein positives Szenario könnte sich dagegen entwickeln, wenn es in naher Zukunft zu Waffenstillstandsverhandlungen kommen sollte. Momentan erscheint auch das nicht sehr wahrscheinlich. Denkbar ist es aber schon, weil immer klarer wird, dass weder die Ukraine noch Russland ihre Ziele vollumfänglich erreichen können. Käme es im Rahmen eines Waffenstillstands auch zu einer Wiederaufnahme von russischen Gaslieferungen in die bisherigen Abnehmerländer Europas, wäre eine deutliche Verbesserung der wirtschaftlichen Lage zu erwarten.
These 3: Die Inflation sinkt deutlich
Die voraussichtliche Entwicklung der Kapitalmärkte hängt allerdings nicht nur von der Konjunktur ab, sondern ganz maßgeblich auch von der Entwicklung der Inflation und dem Kurs der Geldpolitik. In den Ländern der Europäischen Währungsunion ist die Entwicklung der Inflation ganz entscheidend von den zukünftigen Energiepreisen bestimmt. Bleiben die Preise für Rohöl, Gas und Strom in etwa auf den derzeitigen hohen Niveaus und steigen nicht weiter an, ist allein aus diesem Grund mit einem deutlichen Rückgang der Verbraucherpreisinflation zu rechnen.
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