FvS-Stratege Philipp Vorndran
Weltwirtschaft: Deutschland muss dringend handeln, um nicht abgehängt zu werden

FvS-Stratege Philipp Vorndran
Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat den Begriff „Zeitenwende“ zum Wort des Jahres 2022 gekürt. Der Begriff meint das Ende eines Zeitalters und den Beginn eines neuen. Der Übergang kann abrupt, aber auch langsam und fließend erfolgen. Bundeskanzler Olaf Scholz etwa hatte das Wort in seiner Bundestagsrede zum russischen Angriff auf die Ukraine benutzt, um den Beginn einer neuen Ära in der e...
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Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat den Begriff „Zeitenwende“ zum Wort des Jahres 2022 gekürt. Der Begriff meint das Ende eines Zeitalters und den Beginn eines neuen. Der Übergang kann abrupt, aber auch langsam und fließend erfolgen. Bundeskanzler Olaf Scholz etwa hatte das Wort in seiner Bundestagsrede zum russischen Angriff auf die Ukraine benutzt, um den Beginn einer neuen Ära in der europäischen Nachkriegsordnung zu beschreiben.
Der Kanzler hat das Wort – strenggenommen – jedoch nicht korrekt gebraucht. Denn eine Zeitenwende ist es erst dann, wenn Worten auch Taten folgen. Inwieweit Deutschland auf den Angriff Russlands reagieren würde, war damals noch gar nicht abzusehen. Und ob die Bundeswehr tatsächlich irgendwann besser ausgestattet sein wird – wer weiß.
Insofern war das, was Scholz seinerzeit als Zeitenwende deklarierte, zunächst einmal eine „Erkenntniswende“. Die Erkenntnis, dass Russlands Präsident Wladimir Putin eben nicht der friedliche und verlässliche Verbündete ist, den deutsche Spitzenpolitiker lange in ihm sahen. Russlands Annexion der Krim acht Jahre zuvor hat diesem Bild jedenfalls nichts anhaben können.
Die Diskrepanz zwischen Worten und Taten, zwischen Erkenntnis und konkretem Handeln, lässt sich an vielen Dingen beobachten – nicht nur am Ukraine-Krieg. Nehmen wir den deutschen Sozialstaat. Wohlstand ist nicht gottgegeben. Oder andersherum: Die als selbstverständlich erachteten umfassenden Sozialleistungen müssen zunächst an anderer Stelle erarbeitet werden. Das wird aufgrund des demografischen Wandels jedoch immer schwieriger.
Die „Zeitenwende“ liegt also längst zurück, nur mangelt es an der notwendigen Erkenntnis – immer noch. Eine Reform, die das Rentensystem Deutschlands zukunftstauglich machen würde, ist nach wie vor nicht in Sicht. Nicht zuletzt, weil die Parteien Angst vor den Wählern haben. Mit Reformen lassen sich schließlich keine Wahlen gewinnen.
Nehmen wir als weiteres Beispiel die Standortdiskussion: Nicht nur die Bundeswehr, sondern auch die Bahn, Behörden und die Infrastruktur funktionieren nicht mehr wie sie sollten und sind Spiegelbild einer zunehmenden Dysfunktionalität.
Die Qualität des Standorts Deutschlands sinkt. Erstmals ist kein deutsches Unternehmen mehr unter den wertvollsten 100 Konzernen der Welt. Frankreich kommt auf fünf, Großbritannien auf vier und die Schweiz auf drei. Insgesamt sind noch 15 europäische Unternehmen unter den Top 100.
Die Musik spielt in den USA und Asien, wo die Zukunft der Weltwirtschaft entschieden wird. Hiervon können deutsche Industrie- und französische Luxusunternehmen immerhin noch indirekt profitieren. Deutschland hat mit seinem Mittelstand, um den uns die Welt beneidet, noch ein Trumpf-Ass im Ärmel, doch auch das ist keine Gesetzmäßigkeit. Die überbordende Regulierung zeigt, dass noch keine Erkenntniswende eingesetzt hat – von einer Zeitenwende ganz zu schweigen.
Deutschland wird sich bewegen müssen, um nicht irgendwann abgehängt zu werden.
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