IW-Experte Michael Voigtländer
So riskant ist der deutsche Immobilienmarkt
Michael Voigtländer leitet das Kompetenzfeld Finanzmärkte und Immobilienmärkte beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Foto: Institut der deutschen Wirtschaft
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) beobachtet die Vergabe von Wohnimmobilienkrediten in Deutschland inzwischen sehr kritisch. Was steckt dahinter? Michael Voigtländer und Jonas Zdrzalek vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln haben den Wohnungs- und Häusermarkt untersucht.
Die vorliegende Untersuchung liefert eine Aktualisierung der Studie von Bendel und Voigtländer (2016) zur Risikoprüfung bei der Wohnimmobilienfinanzierung. Demnach haben die Risiken in der Immobilienfinanzierung zugenommen. Im Jahr 2016 wurde festgestellt, dass sich die Kreditvolumina deutlich unterproportional im Vergleich zum Wirtschaftswachstum entwickelt haben.
Außerdem zeigt die aktualisierte Sensitivitätsanalyse der Zinsen, dass die Risiken für Haushalte bei der Anschlussfinanzierung höher sind. Zudem ist der Anteil der Finanzierungen mit einer Beleihungsquote von mehr als 100 Prozent gestiegen. Dennoch spricht dies nicht automatisch für eine schärfere Regulierung.
Schließlich...
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Die vorliegende Untersuchung liefert eine Aktualisierung der Studie von Bendel und Voigtländer (2016) zur Risikoprüfung bei der Wohnimmobilienfinanzierung. Demnach haben die Risiken in der Immobilienfinanzierung zugenommen. Im Jahr 2016 wurde festgestellt, dass sich die Kreditvolumina deutlich unterproportional im Vergleich zum Wirtschaftswachstum entwickelt haben.
Außerdem zeigt die aktualisierte Sensitivitätsanalyse der Zinsen, dass die Risiken für Haushalte bei der Anschlussfinanzierung höher sind. Zudem ist der Anteil der Finanzierungen mit einer Beleihungsquote von mehr als 100 Prozent gestiegen. Dennoch spricht dies nicht automatisch für eine schärfere Regulierung.
Schließlich zeigen die aktuellen Ergebnisse, dass sich das Kreditvolumen nach wie vor erwartungstreu entwickelt, ein Überschießen der Kreditvergabe ist nicht erkennbar. Selbst wenn die Risiken für Haushalte gestiegen sind, zeigen die Berechnungen jedoch, dass es nicht nur eines erheblichen Preisverfalls bei Immobilien, sondern auch eines deutlichen Rückgangs der Einkommen in Kombination mit erheblichen Zinssteigerungen bedarf, ehe in substanziellem Ausmaß Kredite ausfallen, die wiederum die Banken belasten.
Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Verschärfung von Regulierungen auch erhebliche Kosten mit sich bringt. Viele Haushalte in Deutschland schaffen den Sprung ins Wohneigentum nicht, da ihnen das Eigenkapital fehlt (Sagner/Voigtländer, 2021a). Wohneigentum hat jedoch als Bestandteil der Altersvorsorge an Bedeutung gewonnen. Darüber hinaus profitieren Eigentümer aufgrund der Zinsentwicklung insgesamt von geringeren Kosten (Dustmann et. al., 2019). Eine Begrenzung, etwa des Beleihungsauslaufs, würde noch mehr Haushalten die Chance auf Wohneigentum nehmen, ohne dass dies mit einer signifikanten Verbesserung der Finanzstabilität verbunden wäre.
Gerade der hohe Anteil von Beleihungen jenseits von 100 Prozent dürfte die Finanzaufsicht beunruhigen. Diese Beleihungen können jedoch durch alternative Sicherheiten, etwa in Form von Lebensversicherungen oder weiteren Immobilien, gedeckt werden. Auch vermeintlich niedrige Tilgungssätze können durch das niedrige Alter der Kreditnehmer erklärbar werden. Hier zeigt sich letztlich, dass die aktuell verfügbaren Statistiken für eine umfassende Prüfung der Risiken nicht ausreichen.
Gegen eine schärfere Regulierung spricht auch die aktuelle Entwicklung. Infolge des Krieges in der Ukraine steigen derzeit die Inflationsraten und Zinsen, allein die Renditen der Pfandbriefe erhöhten sich je nach Restlaufzeit gemäß Daten der Deutschen Bundesbank zwischen Ende 2021 und Ende Februar 2022 um 50 bis 60 Basispunkte. Dieser Anstieg der Zinsen – in Kombination mit den bereits beabsichtigten Maßnahmen der Bafin – wird den Zugang zu Wohneigentum erschweren und die Nachfrage nach Wohnimmobilien insgesamt dämpfen.
Würden noch weitere Maßnahmen zur Regulierung der Kreditvergabe ergriffen, könnte dies über die Einschränkung der Profitabilität der Banken die Resilienz des Finanzsystems eher stärker belasten, als dass damit ein Zugewinn an Finanzstabilität gewonnen werden könnte.
Literatur:
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Bafin – Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, 2022, Makroprudenzielles Maßnahmenpaket: Bafin plant Festsetzung des antizyklischen Kapitalpuffers und eines Systemrisikopuffers für den Wohnimmobiliensektor, Pressemitteilung, 12.1.2022, https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/ DE/Pressemitteilung/2022/pm_2022_01_12_antizyklischer_Kapitalpuffer.html [23.2.2022]
Bendel, Daniel / Voigtländer, Michael, 2016, Eine Risikoprüfung für die deutsche Wohnimmobilienfinanzierung, in: IW-Trends, 43. Jg., Nr. 4, S. 41–58
BIS – Bank for International Settlements, 2016, Macropudential Policy, BIS Paper, Nr. 86, Genf
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Deutsche Bundesbank (Hrsg.), 2021, Finanzstabilitätsbericht 2021, Frankfurt am Main
Dustmann, Christian / Fitzenberger, Bernd / Zimmermann, Markus, 2021, Housing Expenditure and Income Inequality, in: The Economic Journal, https://doi.org/10.1093/ej/ueab097 [31-03-2022]
EZB – Europäische Zentralbank, 2009, Housing Finance in Europe, Structural Issues Report March 2009, Frankfurt am Main
Feld, Lars / Hirsch, Patrick, 2022, Gesamtwirtschaftliche Entwicklung, in: ZIA (Hrsg.), Frühjahrsgutachten Immobilienwirtschaft 2022, Berlin, S. 29–76
Hofer, Thomas, 2021, Strukturen der Wohneigentumsfinanzierung 2021, vdp Spotlight, Dezember, Berlin
Kiff, John / Mills, Paul, 2007, Money for Nothing and Checks for Free: Recent Developments in U.S. Subprime Mortgage Markets, IMF Working Paper, Nr. WP/07/188, Washington, D.C.
Mian, Atif R. / Sufi, Amir, 2010, The Great Recession: Lessons from Microeconomic Data, in: American Economic Review, 100. Jg., Nr. 2, S. 51–56
Sagner, Pekka / Voigtländer, Michael, 2021a, Wohneigentumspolitik in Europa, Gutachten im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Köln
Sagner, Pekka / Voigtländer, Michael, 2021b, Accentro Wohnkostenreport 2021, Gutachten im Auftrag der ACCENTRO Real Estate AG, Köln
Stiglitz, Joseph E., 1990, Symposium on Bubbles, in: Journal of Economic Perspectives, 4. Jg., Nr. 2, S. 13–18
SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, 2021, Transformation gestalten: Bildung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit, Wiesbaden
Voigtländer, Michael, 2014, The stability of the German housing market, in: Journal of Housing and the Built Environment, 29. Jg., Nr. 4, S. 583–594
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