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Aktualisiert am 27.03.2020 - 11:29 UhrLesedauer: 9 Minuten
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Bert Flossbach im Interview Herr Flossbach, sind die Märkte infiziert?

Börsenhändler in New York: Die starken Schwankungen verunsichern viele Menschen, auch Profi-Anleger.
Börsenhändler in New York: Die starken Schwankungen verunsichern viele Menschen, auch Profi-Anleger. | Foto: imago images / Xinhua
Bert Flossbach, Gründer und Vorstand von Flossbach von Storch

Das Coronavirus breitet sich aus und bedroht nicht nur die Gesundheit, sondern auch die private Finanzplanung. Die Börsen reagieren turbulent. Nach einer Rally zu Jahresbeginn ist der US-Aktienindex S&P 500 Anfang März auf den Stand von Juni des Vorjahres zurückgefallen. Dass neben der eskalierenden Corona-Epidemie zusätzlich die Einigung der Vereinigung erdölproduzierender Länder (OPEC) mit Russland scheiterte, sorgte beim deutschen Aktienindex für den schwächsten Tag seit dem 11. September 2001. Die starken Schwankungen verunsichern viele Menschen, auch Profi-Anleger. Emotion schlägt Ratio. Wie schlimm ist die Lage?

Bert Flossbach: Zunächst einmal sind unsere Gedanken natürlich bei den Betroffenen der Epidemie. Als Anleger versuchen wir aber, keine Entscheidungen auf einer emotionalen Basis zu treffen. Deshalb bleiben wir – den Umständen entsprechend – entspannt, auch wenn historisch schlechte Börsentage hinter uns liegen. Die Investoren reagierten sehr stark, als das Coronavirus nach Europa und Amerika kam und das ist am Anfang einer solchen Epidemie eigentlich auch ganz normal. Dann haben wir eine zwischenzeitliche Erholung gesehen, bis die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) außer der Reihe die Zinsen um 0,5 Prozent senkte. Zuletzt gab es eine solche Aktion in der Finanzkrise, die Maßnahmen der Fed glichen einer Panikerklärung. Dass die OPEC sich dann nicht mit Russland einigen konnte und den Ölpreis auf Talfahrt schickte, sorgte am 9. März für den totalen Ausverkauf. Außerdem machen sich die Amerikaner genauso große Sorgen um ihre Gesundheit wie wir. Die ersten Großveranstaltungen werden abgesagt. Daher ist die US-Börse trotz der Zinssenkung weiter gefallen.

Aber ist das alles noch rational?

Flossbach: Der Journalist Gabor Steingart hat das Marktumfeld in seinem „Morning-Briefing“ ganz gut zusammengefasst: „Die Vernunft ist unter Quarantäne“. Auch wenn die weitere Entwicklung natürlich nicht vorhersehbar ist – in einer solchen Gemengelage ist das Virus selbst gar nicht mehr so relevant. Was derzeit für Anleger zählt, sind weder Mortalitätsraten oder Infektionszahlen. Hier geht es um die „erste Ableitung“, also die Maßnahmen der Behörden und der Unternehmen, um den Ausbruch der Krankheit einzudämmen. Politiker werden von den Bürgern gewählt, sie möchten sich natürlich nicht vorwerfen lassen, sie hätten nicht genug getan.

Wie hart trifft es die Wirtschaft?

Flossbach: Jeder von uns stellt sich derzeit, berechtigterweise oder nicht, viele Fragen. Soll ich eine Veranstaltung besuchen oder lieber nicht? In den Urlaub fahren oder besser absagen? Im April, Mai dürfte das zu weiteren Einbrüchen bei Reiseveranstaltern und Airlines führen. Die Buchungen im zweiten Quartal werden sehr viel geringer ausfallen als die vom ersten Quartal. Natürlich sind auch andere Branchen betroffen, wie stark lässt sich noch nicht abschätzen. Klar ist: Das Wachstum wird sich abschwächen.

Wann die Erholung kommt, ist noch unklar. Ob schon im zweiten Halbjahr damit zu rechnen ist, darf unseres Erachtens aber bezweifelt werden. Hier geht es nicht um eine kurzfristige Erkältung, bei der man sich schnell erholt. Schwierig wird es für Unternehmen, die über ein schwaches Immunsystem verfügen, schlecht finanziert sind oder wie die Hotel- und Touristikbranche stark von Rückgängen betroffen sein dürften. Unangenehm kann es auch für Unternehmen werden, die mit diesen Firmen verbandelt sind. Dazu zählen etwa Banken, die von der Tiefzinsphase ohnehin hart getroffen sind, wobei das Geschäft in den vergangenen Jahren noch einigermaßen funktioniert hat. Doch wenn jetzt Kredite ausfallen, könnte sich das ändern. Bisher wurden von den Banken nur in geringem Maße Rückstellungen gebildet.

Inwieweit betrifft die Schuldenproblematik den breiten Markt?

Flossbach: Pauschalurteile helfen uns nicht weiter. Bei manchen Unternehmen erwarten wir erst einmal eine Delle, die bald wieder vergessen ist. Bei anderen Firmen wird der Virus aber Narben hinterlassen, die bleiben. Im schlimmsten Fall könnten wir zudem eine ähnliche Entwicklung wie nach dem Reaktorunfall in Fukushima sehen. Damals entschied die Politik den Ausstieg aus der Atomkraft, was massive Auswirkungen für die Geschäftsmodelle von Energieversorgern hatte. Jetzt könnten mögliche Folgen darin bestehen, die Lieferketten wieder zu renationalisieren, um etwa bei Medikamenten für mehr Produktsicherheit zu sorgen. Firmen würden sich dann in den Absatzländern ansiedeln, auch um Zölle zu umgehen. Internationale Warenströme würden leiden. Doch die Notenbanken stehen bereit. Die Fed hat dabei mehr Luft als die Europäische Zentralbank (EZB) und den ersten Schritt getan. Die Zinsen bleiben tief. Keine Überraschung für denjenigen, der unsere Aussagen in den vergangenen Jahren verfolgt hat: Die langanhaltende Tiefzinsphase ist der Kern unseres anlagestrategischen Weltbildes.