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Bill Gross: Kredit-Supernova

Auf diese Weise endet die Welt ...
Nicht mit einem Knall, sondern mit einem Winseln.

T.S. Eliot

Sie sagen, Zeit ist Geld. Allerdings sagen sie nicht, dass dem Geld bald die Zeit ausgehen könnte.

Vielleicht unterliegt unser auf der Mindestreserve basierendes Kreditsystem, das die weltweite moderne Finanzwelt prägt, einem natürlichen Evolutionsprozess. Ähnlich dem Universum, das vor nahezu 14 Milliarden Jahren durch einen Urknall , den „Big Bang“, entstand und sich so schnell ausdehnt, dass die Wissenschaftler vorhersagen, es würde in mehreren Billionen Jahren in Form eines „Big Freeze“ sein Ende nehmen, scheint unser derzeitiges Währungssystem eine kontinuierliche Expansion zu brauchen, um fortzubestehen. Auch könnte die im physischen Universum zu beobachtende voranschreitende Entropie auf einen ähnlichen Rückgang der „Energie“ und der „Hitze“ an den Finanzmärkten hindeuten. Wenn dem so ist, sollten sich Kreditgeber, Schuldner und Anleger nach den Implikationen des derzeitigen Wandels für die Wirtschaft und die Vermögensanlage erkundigen.

Bevor wir uns jedoch den Zitaten T.S. Eliots in Bezug auf die mögliche Weiterentwicklung unseres Finanzsystems widmen, lassen Sie mich zunächst die „Urknall“-Entstehung der Kreditmärkte beschreiben und Sie somit in die Lage versetzen, ihren Wandel besser zu begreifen. In unserem modernen Mindestreserve-Bankwesen begann die Erschaffung von Krediten mit einer ersten Einzahlung und der profitablen Vergrößerung dieser Einlage durch Hebelung. Denn die Banken und sonstigen Kreditgeber verwahren nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt 100% ihrer Einlagen im „Tresor“, in Wirklichkeit behalten sie nur einen geringen Anteil ein – daher der Begriff „Mindestreserve“.

Diese erste Einlage und die daraus resultierende explosionsartige Kreditvergabe in Höhe ihres zehnfachen Umfangs oder mehr sind das Äquivalent der modernen Finanzwelt zum Urknall. Wann das Ganze begann, ist zwar schwerer zu definieren als die Geburt des physischen Universums. Doch mit der Erfindung der Notenbanken – etwa der US-Notenbank im Jahr 1913 – und der größeren Zuversicht, dass diese als neu lizenzierte Kreditgeber der letzten Instanz der Finanz- und der Realwirtschaft unterstützend beiseite stehen würden, beschleunigte sich der Vorgang merklich. Die Geldhäuser und Notenbanken waren und bleiben bedeutende Elemente einer produktiven globalen Wirtschaft.

Und dennoch waren sie mit einer inhärenten Instabilität behaftet, die eine unaufhörliche Schaffung von neuen Krediten erforderte, um sich am Leben zu halten. Wie verhielt es sich also mit den ersten Krediten auf Basis der ursprünglichen Einlage? Sie wurden sicherlich zu Zinssätzen gewährt, die der realen Wachstumsrate und der Schaffung von realem Wohlstand in der Volkswirtschaft entsprachen. Während die Kreditgeber diesen Zins als Kompensation für das eingegangene Risiko forderten, spekulierten die Kreditnehmer darauf, dass die Gewinne ihrer jungen Unternehmen die Zinskosten für die Kreditaufnahme übersteigen würden. In vielen Fällen glückte dies auch. „Another day older and deeper in debt“

Es versteht sich jedoch von selbst, dass die Wirtschaft insgesamt nicht schneller wachsen konnte als die realen Zinssätze, die an die Kreditgeber zu entrichten waren, in Kombination mit den beinahe zweistelligen Renditen, die Eigenkapitalgeber für die Aufrechterhaltung des Anfangskapitals forderten – es sei denn, die Wirtschaft erhielte Zugang zu zusätzlichen Krediten, um ihre Rechnungen zu begleichen. In gewisser Weise dient der Folksong „Sixteen Tons“ hierfür als Metapher: „Another day older and deeper in debt“ mahnt er, nur dass kaum einer der Akteure im Kreditsystem seine Implikationen verstand.

Der Ökonom Hyman Minsky verstand sie sehr wohl. Ausgehend von der zunehmenden Verschuldung lief sein ausgeklügeltes Wirtschaftsmodell auf eine allmähliche Entwicklung in Richtung dessen hinaus, was er als Ponzi-Finanzierung, also eine Art Schneeballsystem, beschrieb. Zunächst, so argumentierte er, würde das System nur geringe Kredite aufnehmen und sich im Großen und Ganzen selbst tragen – ein Zustand, den er als „Hedge“-Finanzierung bezeichnete. Anschließend würden die Akteure mutiger werden, sich stärker verschulden und in den Modus einer „spekulativen“ Finanzierung übergehen, in dem für eine Rückzahlung der bestehenden Kredite bei Fälligkeit weitere Kredite aufgenommen werden müssen. Die Endphase oder auch „Ponzi“-Finanzierung tritt schließlich ein, wenn bereits weitere Kredite nötig sind, um lediglich den zunehmend belastenden Zinsverpflichtungen nachzukommen, was letztlich mit einer Beschleunigung der Inflation einhergeht.