Merger-Experte Kai Lucks
Druck aus China
Aktualisiert am 26.04.2021 - 10:21 Uhr
Kai Lucks ist Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Mergers & Acquisitions. Foto: Bundesverband Mergers & Acquisitions
Im Dezember verkündete die Europäische Union fast euphorisch den Abschluss der Verhandlungen über das Investitionsabkommen mit China. Der Umsetzung liegen jedoch noch Steine im Weg, ist Kai Lucks vom Bundesverband Mergers & Acquisitions überzeugt.
Wir müssen uns selbstkritisch fragen: Wurden die Möglichkeiten von Interessenbündelungen zwischen USA und Europa verspielt? Hätten wir gemeinsam eine bessere Verhandlungsposition gegenüber China aufbauen können? Führt das Vorpreschen Europas dazu, dass der Westen zu einem Wettlauf der Zugeständnisse gezwungen wird? Haben die Industrien der USA und der europäischen Länder nicht genau diesen Fehler über Jahrzehnte gemacht? Aus dem Wettbewerb um Aufträge Chinas wurde ein Wettbewerb um Konzessionen an Technologie- und Wissenstransfer. China hat die Vertreter der Industrienationen systematisch gegeneinander ausgespielt. Warum sollten sie dieses Spiel im Länderwettbewerb USA-Europa nicht weitertreiben?
Vorbehalte...
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Wir müssen uns selbstkritisch fragen: Wurden die Möglichkeiten von Interessenbündelungen zwischen USA und Europa verspielt? Hätten wir gemeinsam eine bessere Verhandlungsposition gegenüber China aufbauen können? Führt das Vorpreschen Europas dazu, dass der Westen zu einem Wettlauf der Zugeständnisse gezwungen wird? Haben die Industrien der USA und der europäischen Länder nicht genau diesen Fehler über Jahrzehnte gemacht? Aus dem Wettbewerb um Aufträge Chinas wurde ein Wettbewerb um Konzessionen an Technologie- und Wissenstransfer. China hat die Vertreter der Industrienationen systematisch gegeneinander ausgespielt. Warum sollten sie dieses Spiel im Länderwettbewerb USA-Europa nicht weitertreiben?
Vorbehalte gegen die Verhandlungen liefert auch die Tatsache, dass anhaltende Menschenrechtsverletzungen nicht angesprochen werden. Der Chef der China-Delegation im Europarlament hält es für falsch, dass die EU keine Garantien gegen Zwangsarbeit eingefordert hat. Hintergrund sind Berichte, nach denen Peking muslimische Uiguren in Zwangslagern kaserniert und zum Arbeiten zwingt. Der Europäische Arbeitgeberverband wirft ein, dass sich das System Chinas durch das Abkommen strukturell nicht ändern werde. Heftig ist die Kritik auch beim Thema Arbeitsbedingungen. Peking hat hierzu lediglich angekündigt, man werde den Beitritt zur internationalen Konvention gegen die Zwangsarbeit anstreben.
Taktik hat Tradition
Auch Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron sieht die Menschenrechtsverletzungen in China kritischer als Merkel und will, dass sich die EU dagegen deutlicher positioniert. Es soll einen Deal zwischen Berlin und Brüssel gegeben haben, wonach die Bundeskanzlerin die politische Einigung mit China gerade noch in ihrem Ratsvorsitz verkünden konnte. Der Vertragstext im Detail wird aber noch erarbeitet, um dann frühestens Anfang 2022 unterzeichnet zu werden. Dann liegt der Ratsvorsitz in der Europäischen Union bei Frankreich. Dies ist eine eklatante Lücke, die die Chinesen nutzen werden.
Das zeigen Lehren, die die deutschen Verhandler der Industrie in China immer wieder machen mussten: Chinesen haben bei der Entwicklung von industriellen Verträgen erst dann richtig Druck gemacht und versucht, Nachbesserungen durchzusetzen, wenn die offiziellen Verhandlungen abgeschlossen waren, die Verträge von beiden Seiten als unterschriftsreif erklärt und Tinte noch nicht verspritzt war. Das ging durchaus bis hin zu Versuchen, deutsche Delegationen zu erpressen, wohl wissend, dass Unternehmensvorstände in Deutschland Vertragsabschlüsse zu den von beiden Seiten protokollierten Konditionen erwarten.
Als langjähriger M&A-Verhandler in China hatte ich immer wieder den Eindruck, dass Chinesen erst einmal Scheinverhandlungen führen und austesten, ob es der europäische Partner mit seinem Abschlusswillen ernst meint. Das Ergebnis solcher – teils über viele Monate laufender – Verhandlungen erscheint dem deutschen Team dann so belastbar, dass den in Deutschland sitzenden Vorständen die Abschlussreife gemeldet wird.
Die chinesische Seite sah das danach überraschenderweise ganz anders. Als es auch aus ihrer Warte dann ernst zu werden drohte, saßen überaschenderweise ganz andere Leute am Verhandlungstisch, darunter nun auch Vertreter der chinesischen Unternehmensleitung, der Verwaltung und Regierungsvertreter. Konkret: Nach dem Closing ging es erst richtig mit dem Verhandeln los.
Die gemeinsam protokollierten Konditionen wurden in Abrede gestellt. Bewusst wurde hoher psychologischer Druck auf das Verhandlungsteam aufgebaut, deren Nachteil ausgespielt, dass sich das europäische Team Schritt um Schritt Genehmigungen zur Abweichung von den Vorvereinbarungen beim Vorstand in Europa holen musste. Team und Vorstände wurden auf diese Weise gezielt mürbe gemacht. Damit waren sie schließlich zu Konzessionen bereit, die die vormals gesetzten Ziele des Projektes gefährdeten.
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