Kapitalmarktstratege Tilmann Galler
Warum dieses Jahr ein Wendepunkt für Small Caps sein könnte

Kapitalmarktstratege Tilmann Galler
Bis zur Corona-Pandemie waren Small-Cap-Aktien ein gutes Instrument für risikobereite Anlegerinnen und Anleger, das Ertragspotenzial ihres Portfolios zu steigern. Über mehrere Jahrzehnte lieferte die Anlageklasse höhere Erträge als Large-Caps, denn das Wachstum der kleinen Unternehmen war deutlich dynamischer. Das führte dazu, dass Small-Caps mit höheren Bewertungen gehandelt wurden als ihre Pe...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Bis zur Corona-Pandemie waren Small-Cap-Aktien ein gutes Instrument für risikobereite Anlegerinnen und Anleger, das Ertragspotenzial ihres Portfolios zu steigern. Über mehrere Jahrzehnte lieferte die Anlageklasse höhere Erträge als Large-Caps, denn das Wachstum der kleinen Unternehmen war deutlich dynamischer. Das führte dazu, dass Small-Caps mit höheren Bewertungen gehandelt wurden als ihre Pendants im Large-Cap-Bereich. Zusätzlich wurden bessere Aussichten für Fusionen und Übernahmen und eine geringere Liquidität als Gründe für diese höheren Bewertungen von Small-Caps angeführt.
In den letzten Jahren hat jedoch eine Konvergenz des Wachstums stattgefunden. Das jährliche Umsatzwachstum amerikanischer Small-Caps ist auf 20-Jahressicht noch um 1,4 Prozent höher als bei Large-Caps, seit zehn Jahren hingegen ist das Wachstum identisch.
Nach einer längeren Phase mit schwacher Performance gibt es diese Small-Cap-Prämie jedoch nicht mehr. Der MSCI World Small Cap Index weist heute ein Forward-KGV von 15x auf, was nicht nur deutlich unter der Bewertung des MSCI World mit 16,9x liegt, sondern auch unter dem eigenen langfristigen Durchschnitt von 17,7x.
Das Verschwinden des Small-Cap-Aufschlags ist in nicht unerheblichem Maße auf konjunkturelle Ursachen zurückzuführen. Aktien mit geringer Marktkapitalisierung sind meist stärker an den Konjunkturzyklus gekoppelt und haben einen größeren Fremdkapitalanteil als größere Unternehmen. Gegen Ende eines Konjunkturzyklus mit latenter Rezessionsgefahr und höheren Zinsen sehen kleinere Unternehmen deshalb weniger attraktiv aus.
Small-Caps reagierten besonders verstimmt auf die kräftigsten Zinserhöhungen der letzten 40 Jahre. Kleine Unternehmen waren sehr viel stärker von den gestiegenen Finanzierungskosten betroffen, aufgrund des hohen Anteils an variabel verzinsten und kurzfristigen Schulden. Beispielsweise sind 38 Prozent der Schulden im Russell 2000 (ohne Finanzunternehmen) variabel verzinst. Im S&P 500 liegt dieser Wert bei nur 7 Prozent, dafür haben über 60 Prozent der Schulden eine Fälligkeit von über fünf Jahren.
Doch auch strukturelle Probleme haben dem Small-Cap-Sektor stärker zugesetzt. Heutzutage stehen bei der Eigenkapitalfinanzierung für kleinere Unternehmen große Mengen von Private Equity und Venture Capital im Wettbewerb mit den öffentlichen Märkten. Immer mehr vielversprechende Unternehmen entscheiden sich gegen einen Börsengang oder verschieben diesen, weil die zunehmende Regulierung der öffentlichen Märkte sie abschreckt. Kleinere Unternehmen werden auch häufiger als früher wieder privatisiert. Dadurch entsteht in den Small-Cap-Indizes tendenziell eine Negativauswahl.
Im Lauf der letzten Dekade hat die Qualität des Small-Cap-Universums entsprechend nachweislich abgenommen. Vor der Finanzkrise machten unrentable Unternehmen im Durchschnitt 27 Prozent des Russell 2000 aus. Heute liegt dieser Anteil bei über 40 Prozent. Deshalb ist es verständlich, wenn Anleger bei Aktien mit kleinerer Kapitalisierung eine höhere Risikoprämie verlangen, was sich in niedrigeren Bewertungen bemerkbar macht.
Zusätzlich zum Rückgang der Qualität sind im Sektor-Mix von Small-Cap-Indizes zahlreiche Branchen mit stärkeren Wachstumsraten und höherer Innovationsneigung unterrepräsentiert. Im MSCI World Small Cap Index liegt die Gewichtung der Technologie- und Kommunikationssektoren um 12 und 4 Prozentpunkte unter ihrer Gewichtung im MSCI World. Im Gegensatz dazu sind Industriewerte mit 20 Prozent und Immobilien mit 8 Prozent sehr stark vertreten. Dies hat ebenfalls zu einer Konvergenz des Wachstums der Large-Cap- und Small-Cap-Indizes beigetragen.
Trotz der strukturellen Themen ist der kurz- bis mittelfristige Ausblick für Small-Cap-Aktien attraktiver geworden. Mit der Wende in der Zentralbankpolitik und damit niedrigeren kurzfristigen Finanzierungskosten fällt in näherer Zukunft ein Gegenwind für die Anlageklasse weg. Ein Abkühlen der Konjunktur im Jahr 2024 ist zwar immer noch ein Risikofaktor, doch auch hier gibt uns die Historie ein paar interessante Hinweise.
In der Vergangenheit hat sich das Kaufen von Small-Caps selbst in einer Rezession als erfolgreiche Strategie erwiesen, weil die Wahrscheinlichkeit von Leitzinssenkungen und die Aussichten auf eine zukünftige Konjunkturerholung kleinen Unternehmen stärker zugutekommen als ihren großen Pendants. In den drei Jahren nach dem Beginn einer Rezession hat der Russell 2000 die Wertentwicklung des S&P 500 im Durchschnitt um 22 Prozentpunkte geschlagen.
Es mag also noch etwas zu früh sein, um die beispiellos niedrigen Bewertungen von Small-Caps zu nutzen, wir erwarten jedoch, dass in den kommenden Jahren die Small-Caps zukünftig wieder eine kleine Bewertungsprämie aufbauen können. Unser Basisszenario für 2024 sieht eine weiche konjunkturelle Landung oder wenn nur eine moderate Rezession in den Industrieländern vor. Small-Caps bieten Anlegerinnen und Anleger eine attraktive Ertragsperspektive für die Zeit nach der wirtschaftlichen Landung, um vom zukünftigen neuen Konjunkturzyklus zu profitieren – wobei angesichts der hohen Streuung der Qualität von Small-Cap-Indizes ein aktiver Ansatz ratsam ist.
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