Bantleon-Chefvolkswirt Daniel Hartmann
Die Zinserhöhungen der EZB kommen spät und dürften schnell vorbei sein
Daniel Hartmann ist Chefvolkswirt bei Bantleon. Foto: Bantleon
Es ist gar nicht so einfach, die aktuellen EZB-Aussagen zu steigenden Zinsen zu deuten. Wann steigen sie denn nun? Und welcher Leitzins wäre eigentlich wirklich angemessen? Bantleon-Chefvolkswirt Daniel Hartmann erklärt die Lage.
Noch vor ein paar Jahren wurde der neutrale (nominale) Leitzins bei 3,5 Prozent bis 4,0 Prozent gesehen. Inzwischen gehen indes viele Notenbanker davon aus, dass er stark gefallen ist. Aber selbst wenn man einen sehr niedrigen Wert von 1,0 Prozent bis 2,0 Prozent unterstellt (die Fed geht in den USA von rund 3,0 Prozent aus), würde der Taylor-Zins in der Eurozone aktuell auf jeden Fall im Plus liegen. Schliesslich wäre aufgrund der negativen Inflationslücke nur ein kleiner Abschlag vom Gleichgewichtszins erforderlich. Unsere eigenen Modelle errechnen derzeit einen Taylor-Zins für die Eurozone zwischen 1,5 Prozent und 2,0 Prozent (siehe Abb. 4). Mithin wäre das Ergebnis der Taylor-Regel eindeutig:...
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Noch vor ein paar Jahren wurde der neutrale (nominale) Leitzins bei 3,5 Prozent bis 4,0 Prozent gesehen. Inzwischen gehen indes viele Notenbanker davon aus, dass er stark gefallen ist. Aber selbst wenn man einen sehr niedrigen Wert von 1,0 Prozent bis 2,0 Prozent unterstellt (die Fed geht in den USA von rund 3,0 Prozent aus), würde der Taylor-Zins in der Eurozone aktuell auf jeden Fall im Plus liegen. Schliesslich wäre aufgrund der negativen Inflationslücke nur ein kleiner Abschlag vom Gleichgewichtszins erforderlich. Unsere eigenen Modelle errechnen derzeit einen Taylor-Zins für die Eurozone zwischen 1,5 Prozent und 2,0 Prozent (siehe Abb. 4). Mithin wäre das Ergebnis der Taylor-Regel eindeutig: die EZB ist »behind the curve«.
Auch andere Orientierungsgrössen deuten darauf hin, dass die EZB sehr expansiv unterwegs ist und ihre Reaktionsfunktion im Vergleich zum Beginn der Währungsunion angepasst hat. Ein Beispiel ist der Einkaufsmanagerindex der Industrie, der Ende 2017 auf Werte von 60 Punkten gesprungen ist. War dies in der Vergangenheit der Fall, hat die EZB stets die Leitzinsen (im Vorjahresvergleich) angehoben (vgl. Abb. 5). Dieses Mal ist sie davon weit entfernt. Immerhin könnte man der EZB zugutehalten, dass sie ihr QE-Programm zuletzt zurückgefahren hat und damit eine gewisse »geldpolitische Straffung« umgesetzt wurde. Dies stimmt zweifellos, ändert aber nichts daran, dass die Zinsniveaus in der Eurozone über das gesamte Laufzeitspektrum nach wie vor extrem tiefe Niveaus aufweisen.
Dies zeigt sich auch darin, dass die realen Leitzinsen (Leitzins abzüglich Inflationsrate) in den vergangenen Quartalen immer weiter gefallen sind, obwohl die Wirtschaft solide wächst und die Kapazitäten – wie oben beschrieben – ausgelastet sind. Auch das ist ein Novum seit Beginn der Währungsunion (vgl. Abb. 3).
Erklären lässt sich das geänderte Reaktionsmuster der EZB mit der Schwere der Wirtschaftskrise, welche die Eurozone in den Jahren 2008 bis 2013 in zwei Wellen erfasst hat und eine lange Durstrecke mit aussergewöhnlich tiefen Inflationsraten zur Folge hatte. Die Notenbank will alles tun, um zu verhindern, dass die Konjunktur frühzeitig abgewürgt wird und die südeuropäischen Länder erneut in Schwierigkeiten geraten. Das Verhalten der Notenbank ist mithin stärker an Italien als an Deutschland ausgerichtet.
Die anziehende Inflation bereitet 2019 den Boden für die Leitzinswende
Da die alten Reaktionsmuster nicht mehr gelten, muss man sich an den neuen Leitlinien der EZB orientieren. Demnach will die Notenbank frühestens im Sommer 2019 agieren und dies auch nur, wenn es die Daten zulassen, d.h. das Wachstum robust bleibt und die Inflation – speziell die Kerninflation – weitere Schritte Richtung Inflationsziel macht. Welches makroökonomische Umfeld zeichnet sich für die Währungsunion in den nächsten Quartalen ab?
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