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Analyse Brexit: Schock, aber kein Zusammenbruch

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China: Die Stabilisierung der Wirtschaft ist eine große Herausforderung

Nachdem sich das Wachstum in China schon seit geraumer Zeit verlangsamt hat, stellt sich die Frage, ob dem Land 2016 eine Stabilisierung gelingen wird. Es gibt gewisse Anzeichen dafür, dass eine strukturelle Anpassung im Gange ist: Dienstleistungen tragen mittlerweile mehr als 50 Prozent zu Chinas BIP bei und verzeichnen ein annualisiertes Wachstum von über acht Prozent. Dienstleistungen und Konsum lösen allmählich Investitionen und Exporte als Hauptwachstumsfaktoren ab. Teile der Industrie wie Stahl und Zement leiden nach wie vor stark unter der Abkühlung der Baukonjunktur, was mit dem wachsenden Bestand an nicht verkauften Wohnimmobilien zusammenhängt. Die Anstrengungen, die Chinas Regierung unternimmt, um die Investitionstätigkeit zu fördern – im öffentlichen Sektor und bei großen Energieübertragungsunternehmen – sind eine solide Unterstützung und es besteht hier sicherlich eine gewisse Dynamik. Wird sie aber ausreichen, um Chinas Wirtschaft wirksam zu stabilisieren?

Auch wenn die Statistiken der chinesischen Regierung mit Vorsicht zu genießen sind, weisen die Preise in der Industrie auf einige positive Trends hin. Nachdem sie über mehrere Monate gefallen waren, hat der Trend bei den Preisen in der Industrie gedreht und der betreffende Index ist in den letzten drei Monaten um 1,7 Prozent gestiegen. Wir haben hier eine uneinheitliche Tendenz, die die Abwertung des Renminbis in der letzten Zeit widerspiegelt, aber auch auf eine Stabilisierung der Situation hinweist.

Zudem fielen die Unternehmensgewinne in der Industrie im ersten Quartal höher aus als erwartet. Basiseffekte wirken unterstützend und die Regierung in Peking ist entschlossen, überschussige Kapazitäten abzubauen und die Angebotsseite zu bereinigen. Der Erfolg der Regierung ist umso wichtiger, als sich die betreffenden Industrien überwiegend im Staatsbesitz befinden, hoch verschuldet sind und deshalb stärker auf Cashflows angewiesen sind, um ihren Zinszahlungen nachkommen zu können. Angesichts des Ausmaßes unorthodoxer finanzieller Vereinbarungen in China wird das Ende der Preisdeflation in der Industrie zur Wahrung der Stabilität von Chinas Bankensystem beitragen, und zwar sowohl im offiziellen als auch im Schattenbankensystem. Der Schuldenstand, der laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) 250 Prozent vom BIP beträgt (davon entfallen 145 Prozent auf Unternehmensschulden), ist ein Aspekt, der China große Sorge bereitet.

Die Stabilität der Wirtschaft ist eine große Herausforderung für China, hat aber auch große Bedeutung für die Weltwirtschaft. Die Zeiten, in denen China mit Wachstumsraten von acht bis zehn Prozent beeindruckte, sind sicherlich vorbei und die Einfuhren von Basisprodukten werden aufgrund von strukturellen Veränderungen weniger stark zunehmen als das reale BIP. Dennoch werden Importe aus Schwellenländern von einer Stabilisierung von Chinas Industrie profitieren. Und erneute Disziplin auf Seiten der Rohstofferzeuger – auch wenn sie nur vorübergehender Natur ist – wird beizeiten Angebot und Nachfrage und danach auch die Preise in ein neues Gleichgewicht bringen, was eine ganz wesentliche Entwicklung für die Schwellenländer darstellt.

Ist Deflation eigentlich immer noch die größte Bedrohung?

2014 und 2015 waren außergewöhnliche Jahre, was den Rückgang der Rohstoffpreise angeht. Trotz massiver Basiseffekte könnte in 2016 eine Trendwende einsetzen. Während der Lohndruck in bestimmten Ländern zunimmt und die Ölpreise wieder nahezu das Niveau des Vorjahres erreicht haben, könnte der Basiseffekt im zweiten Halbjahr des Jahres 2016 in die umgekehrte Richtung gehen. Auch die Kupferpreise haben sich seit November 2015 stabilisiert. Dies wird sich unweigerlich in den Preisindizes niederschlagen, wenn auch nicht sofort.

Es dauert seine Zeit, bis besser werdende Rahmenbedingungen in den Schwellenländern zutage treten. Doch auch andere Szenarien sind vorstellbar. Der Ölmarkt hat gerade bewiesen, dass sich die Preise sehr rasch anpassen können, wenn die Erwartungen die Richtung ändern. Wegen der besonderen Kräfte und Herausforderungen, die dort wirken beziehungsweise bestehen, ist der Ölmarkt zugegebenermaßen ein Fall für sich. Dennoch weist die Entwicklung der Ölpreise auf eine ständige Gleichgewichtsfindung hin. Wie so oft werden Daten aus China ausschlaggebend für geldpolitische Entscheidungen sein, vor allem in den USA.

Anleihen

Seit ihrer ersten Zinserhöhung im Dezember 2015 hat die US-Notenbank Fed weitere Zinsschritte vermieden, weil sie dies in wirtschaftlicher Hinsicht und wegen der Auswirkungen auf die langfristigen Zinssätze und die Kapitalmärkte auch in finanzieller Hinsicht für kontraproduktiv hält. Bisher hat die moderate Inflation der Fed einen gewissen Handlungsspielraum gegeben. Ihr Ziel einer annualisierten Inflationsrate von zwei Prozent könnte aber durchaus in naher Zukunft erreicht werden. Abnehmende Basiseffekte bei den Rohstoffpreisen und der Aufwärtsdruck auf Löhne und Gehälter werden zu höheren Kosten für die Unternehmen führen. Aus Gründen der Vorsicht betont Fed-Chefin Janet Yellen seit langer Zeit, dass die Geldpolitik der Notenbank sehr liberal bleiben wird, und das britische Brexit-Votum wird diese Haltung noch verstärken. Vor kurzem hat Yellen allerdings auch darauf hingewiesen, dass die Löhne und Gehälter allmählich erkennbar schneller steigen und dass ein geringer Produktivitätsfortschritt in Zukunft Anlass zur Sorge geben könnte. Das FOMC teilt anscheinend Yellens Auffassung, dass es immer möglich sein wird, die Geldpolitik anzupassen, es aber schwieriger ist, die anschließende Zins- und Wechselkursvolatilität zu vermeiden. Deshalb wird die Fed höchstwahrscheinlich beschließen, in den nächsten Monaten keine weiteren Schritte zu unternehmen.

Die Lage in Europa ist zwar auf dem Weg der Besserung, unterscheidet sich aber auch erheblich von der in den USA. Die EZB wird ihr Anleihekaufprogramm fortsetzen. Die Fed hat, fünf Jahre nach dem Beginn der wirtschaftlichen Erholung, Maßnahmen im Bereich des Quantitive Easing (QE) im Oktober 2014 begonnen. Die EZB muss dagegen Europas wacklige Erholung weiter stützen. Negative Zinssätze werden daher weiter ein prägendes Bild im gegenwärtigen Umfeld sein. Der EU-Austritt Großbritanniens spricht ebenfalls dafür, denoch scheinen Szenarien, in denen die Liquidität an den Geldmärkten vergleichbar wie 2007 versiegen könnte, zu übertrieben. Zudem verfügt die EZB nach unserer Überzeugung über genügend Schlagkraft, um Befürchtungen hinsichtlich der Kreditrisikoaufschläge in den Peripherieländern bis auf Weiteres Einhalt zu gebieten.

Angesichts der hochgradig akkommodierenden Geldpolitik der EZB, niedriger Ausfallraten und dem Wunsch der Anleger nach Rendite bietet der Unternehmensanleihemarkt Anlagechancen, wenn auch hauptsächlich in den Segmenten mit den niedrigsten Kreditratings. Auch bei Schwellenländeranleihen sollte es einige Anlagechancen geben. Argumente dafür sind die absolute Höhe der Renditen auf Hartwährungsanleihen und die Möglichkeit, dass Lokalwährungsanleihen von einer Lockerung der Geldpolitik Rückenwind erhalten. Das Durationsrisiko muss wegen der außerordentlich niedrigen Renditen auf Staatsanleihen und anhaltend volatiler Marktbedingungen nach wie vor aktiv gesteuert werden.

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