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Der EZB-Chef und der Arbeitsmarkt Darum mag Draghi deutsche Gewerkschaften

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Entwicklung der deutschen Tariflöhne


Die Lohnforderungen sollten die Bedingungen am deutschen Arbeitsmarkt widerspiegeln. Die Arbeitslosenquote liegt auf einem Rekordtief seit der Wiedervereinigung und fiel im März auf 4,2 Prozent der Erwerbsbevölkerung. Das ist in etwa das Niveau, das BI Economics als vereinbar mit einer mittelfristig stabilen Inflation sieht. Die Knappheit auf dem Arbeitsmarkt gibt den Gewerkschaften daher zusätzliche Verhandlungsmacht, und offenbar versuchen sie auch, diese zu nutzen.

Die Knappheit am Arbeitsmarkt könnte jedoch nicht der einzige Faktor sein, der die Lohnforderungen beeinflusst. Insgesamt sind die deutschen Löhne in den letzten zehn Jahren nicht sehr stark gestiegen. Tatsächlich sind sie zwischen 2004 und 2009 real sogar gefallen, wie die Grafik unten zeigt. Die Arbeitnehmer könnten das Gefühl haben, dass es nach den gebrachten Opfern nun Zeit für eine Belohnung ist.

Deutsche Realeinkommen holen nach schwachen Jahren auf

Die gute Nachricht für EZB-Präsident Mario Draghi ist, dass es keine offenen Anzeichen für Zweitrundeneffekte aus der niedrigen Inflation bei den Lohnforderungen gibt. Allerdings bleibt abzuwarten, ob die Gewerkschaften auch bekommen, was sie fordern. Im März hatte Draghi erklärt, der EZB-Rat beobachte das Preissetzungsverhalten genau und achte insbesondere darauf, dass das derzeit niedrige Inflationsumfeld auch nicht in Zweitrundeneffekten durch Lohn- und Preisfestsetzung steckenbleibe. Diese Sorgen unterstrich die EZB später noch einmal in ihrem Monatsbericht vom 5. Mai, wo es hieß, es sei entscheidend, solche Zweitrundeneffekte zu vermeiden. Was nun in Deutschland geschieht, dürfte die EZB insofern beruhigen.

Jedoch müssen sich diese Lohnforderungen auch in größeren Lohnsteigerungen niederschlagen, damit es endlich zu einem Aufwärtsdruck auf die Inflation kommt. Erst im Juni, wenn vermutlich alle Verhandlungen abgeschlossen sind, wird das Bild klarer. 2014 hatte Bundesbank-Präsident Jens Weidmann erklärt, es sei wünschenswert, dass die Löhne wieder stärker ansteigen und schlug sogar einen Richtwert von drei Prozent für Lohnanhebungen vor. EZB-Chefvolkswirt Peter Praet äußerte daraufhin ähnliche Wünsche. Möglicherweise wegen der darauffolgenden Proteste des deutschen Arbeitgeberverbands hielten die Zentralbanker seitdem bei diesem Thema still. Ihre Meinung dürfte sich aber nicht geändert haben.

Außer dass sie der EZB helfen, ihrem Ziel näher zu kommen, könnten höhere Löhne auch den deutschen Inlandskonsum fördern. Das würde bei der Auflösung der internen Ungleichgewichte im Euroraum helfen. Lohnanpassungen nach oben sind in der größten Volkswirtschaft der Region viel leichter zu realisieren als Anpassungen nach unten in anderen Ländern. Draghi hat allen Grund, die kräftigen Forderungen der deutschen Gewerkschaften zu unterstützen. Aber laut sagen darf er das nicht.

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