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BGH-Urteil BU-Versicherung muss nicht zukünftige Lebensumstände verbessern

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Hierfür müsse geprüft werden, wie die frühere Tätigkeit konkret ausgestaltet war, welche Anforderungen sie stellte, welche Fähigkeiten sie voraussetzte, welches Einkommen sie bot und wie sich die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten real darstellten. Diesen Maßstäben genüge das Urteil des OLG Jena nicht. Das vom OLG zugrunde gelegte Durchschnittseinkommen übersteige die tatsächlichen Einkünfte des Klägers zum Teil erheblich. Das OLG habe zu Unrecht ein auf den Zeitpunkt der Verweisung fortgeschriebenes Einkommen im Ausgangsberuf zugrunde gelegt und sei von einem höheren Stundenlohn als dem bei Eintritt der Berufsunfähigkeit erzielten ausgegangen.

Bei dem für die Frage der Verweisbarkeit gebotenen Einkommensvergleich sei das vor Geltendmachung der Berufsunfähigkeit tatsächlich erzielte Einkommen grundsätzlich nicht fortzuschreiben. Die Berufsunfähigkeitsversicherung sichere nicht die künftige Verbesserung der Lebensumstände. Die Lohn- und Gehaltsentwicklung im Ursprungsberuf nach Eintritt des Versicherungsfalles habe daher grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Da somit neue Feststellungen zum Einkommen im Ausgangs- und im Verweisungsberuf zu treffen seien, sei die Sache an das OLG zurückzuverweisen.

Auswirkungen für die Praxis

Mit seiner Entscheidung hat der BGH festgelegt, dass es für die Prüfung der bisherigen Lebensstellung nicht darauf ankommt, dass im Ausgangsberuf des Versicherten ein Mindestlohn gilt. Künftige Lohnanpassungen aufgrund eines geltenden Mindestlohntarifvertrages sind nicht zu berücksichtigen. Die bisher juristisch umstrittene Frage, ob für den Vergleich das früher erzielte Einkommen auf den späteren Zeitpunkt der Verweisung fortzuschreiben sei, hat der BGH nun abschließend geklärt.

Für die Lebensstellung des Versicherten in seinem bisher ausgeübten Beruf ist damit entscheidend, was ihm tatsächlich regelmäßig monatlich an Einnahmen zur Verfügung stand. Ein fiktives Einkommen kann seine Lebensstellung jedoch nicht geprägt haben. Für die Lebensstellung des Versicherten ist maßgeblich, was er tatsächlich im zuletzt ausgeübten Beruf verdiente und nicht, welches Einkommen in diesem Beruf theoretisch hätte erzielt werden können.

Das OLG hatte bei seiner Vergleichsbetrachtung zu Unrecht ein auf den Zeitpunkt der Verweisung fortgeschriebenes Einkommen im Ausgangsberuf zugrunde gelegt und war von einem höheren Stundenlohn als dem bei Eintritt der Berufsunfähigkeit erzielten ausgegangen. Beim Einkommensvergleich kommt es entscheidend auf die Sicherstellung der individuellen bisherigen Lebensumstände an (BGH v. 07.12.2016, Az. IV ZR 434/15; BGH v. 08.02.2012, Az. IV ZR 287/10). Die Berufsunfähigkeitsversicherung sichert dagegen nicht die künftige Verbesserung dieser Lebensumstände. Die Lohn- und Gehaltsentwicklung im Ursprungsberuf muss nach Eintritt des Versicherungsfalles grundsätzlich außer Betracht bleiben.

Ausnahme von diesem Grundsatz: Urteil des OLG Oldenburg

Der vorgenannte Grundsatz des BGH kann allerdings dann eine Ausnahme erfahren, wenn sonst aufgrund eines besonders langen Zeitraums zwischen dem Eintritt der Berufsunfähigkeit und ihrer Nachprüfung eine objektive Vergleichbarkeit des Einkommens und der damit verbundenen Lebensstellung nicht mehr gewährleistet wäre (vgl. OLG Oldenburg v. 07.12.2016, Az. 5 U 84/16).

In dem von dem OLG Oldenburg zu entscheidenden Sachverhalt lagen zwischen dem Eintritt des Versicherungsfalls und der auf eine konkrete Verweisung gestützten Einstellung der Berufsunfähigkeitsrente circa 13 Jahre. Der Lohn des Klägers, den er ursprünglich als Gas- und Wasserinstallateur erhalten hatte, konnte nach einem derart langen Zeitraum nicht ohne jede Fortschreibung mit dem Gehalt aus der Tätigkeit als nunmehr technischer Zeichner verglichen werden.

Die Fortschreibung des Einkommens muss sich laut OLG Oldenburg unter den konkreten Umständen an den für den ursprünglichen Beruf des Klägers maßgebenden Tarifvereinbarungen orientieren. Denn schon bei Eintritt der Berufsunfähigkeit erhielt der Kläger als Gas- und Wasserinstallateur einen Lohn, der sich der Gruppe 4 des einschlägigen Tarifvertrags zuordnen ließ. Da die Beklagte Berufsunfähigkeitsversicherung den Kläger ab August 2015 auf seine Tätigkeit als technischer Zeichner verwies, war bei der Prüfung der Voraussetzungen des Paragraf 2 Abs. 2 S. 1 AVB der Beklagten auf den in diesem Zeitpunkt vorgesehenen Tariflohn für Gas- und Wasserinstallateure abzustellen.

Eine Anpassung des Ausgangseinkommens an einen späteren Vergleichszeitpunkt kann somit in Betracht kommen, wenn die künftige Einkommensentwicklung hinreichend sicher ist.

Das war im vorliegenden Fall vor dem BGH jedoch nicht der Fall.

Hinweis für die Praxis

Im Bereich der Berufsunfähigkeit ist es sinnvoll ist, jede Leistungseinstellung eines Berufsunfähigkeitsversicherers juristisch überprüfen zu lassen. Gerade im Nachprüfungsverfahren sind viele rechtliche Aspekte zu überprüfen. Vor diesem Hintergrund ist es für Vermittler und Versicherte zweckmäßig, sich mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vertraut zu machen, bevor Leistungen geltend gemacht werden. Auch ist an dieser Entscheidung zu erkennen, dass es sinnvoll ist, frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, da ansonsten die vertraglich zugesicherten Ansprüche des Versicherten vereitelt werden könnten.


Über den Autor:
Björn Thorben M. Jöhnke ist Rechtsanwalt und Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte. Die Kanzlei wird zum Bereich Versicherungsrecht auch auf dem hauseigenen Vermittler-Kongress am 6. Februar 2020 in Hamburg referieren.

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