Robert Halver über Börsenbarometer „Der M-Dax ist der bessere Dax“
DAS INVESTMENT: Wohlklingende Schlagzeilen über deutsche Börsenstars sind Mangelware geworden. Liegen Anleger hierzulande mit ihrem Hang zu heimischen Aktien völlig falsch?
Robert Halver: Nein, für den deutschen Aktienmarkt spricht Einiges. Zurzeit insbesondere, da dank der Geschenke an die südlichen Mitgliedsstaaten die Europäische Union vorerst nicht zu zerbrechen droht. Das bringt geopolitische Ruhe, auch nach Deutschland. Hinzu kommen die europaweiten Anstrengungen, mit großem finanziellen Aufwand die Konjunktur nach dem Corona-Lockdown schnell kaltzustarten.
Das nützt den exportorientierten Unternehmen hierzulande. Außerdem bildet Deutschland das wirtschaftliche Herz Europas, nachdem die Briten von der Fahne gegangen sind. Und so stimmt nach wie vor das Klischee, dass an Europa interessierte Kapitalgeber zuerst auf deutsche Titel setzen. Ganz zu schweigen von Indexfonds, die der Marktkapitalisierung von Aktien folgen müssen.
Essenslieferant Delivery Hero hat den insolventen Bezahldienstleister Wirecard im Dax abgelöst. Wie schätzen Sie den Wandel des wichtigsten deutschen Börsenindexes ein?
Halver: Nun, der Dax ist nicht unbedingt attraktiver geworden. Gar nicht mal wegen Delivery Hero an sich, sondern weil gerade ausländische Investoren noch die typischen deutschen Industrie-Giganten vor Augen haben. Der Grund dafür liegt auch darin, dass der neue digitaltechnologische Zeitgeist im Dax zu kurz kommt. Zumindest kommt nun Zeitgeist durch die Aufnahme des Lieferdienstes hinzu, der ja zu den Profiteuren der Corona-Krise zählt.
Neben fehlender Profitabilität und fragwürdigen Arbeitsbedingungen bei Delivery Hero bemängeln Experten oft die Kriterien, nach denen Gesellschaften in den Dax dürfen. Zurecht?
Halver: Ich glaube nicht, dass eine Börse Geschmacksrichtungen vorgeben sollte. Die Regeln sind klar: deutscher Sitz, Marktkapitalisierung und Umsatz. Der Börsenwert folgt dem Zu- und auch Widerspruch der Aktionäre, die demokratisch Einfluss nehmen können. Eine Diskriminierung bestimmter Branchen kann keine Lösung sein.
Wie war es möglich, dass Wirecard mit seinen Fantasiebilanzen so lange durchkam und von der Politik noch auf breiter Front protegiert wurde?
Halver: Wirecard ist ein Skandal, keine Frage. Das Thema wird heruntergekocht, da beide Parteien der Großen Koalition involviert sind. Schon formal, da dem CDU geführten Wirtschaftsministerium etwa die berufsrechtlichen Vorschriften für Wirtschaftsprüfer und teils die Prüfstelle für Rechnungslegung obliegen, dem SPD geführten Finanzministerium die Finanzaufsicht Bafin. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Wären CDU oder SPD in der Opposition, gäbe es eine ganz andere politische Treibjagd. Keine der beiden Parteien will eine offene Flanke riskieren, da in rund einem Jahr die Bundestagswahl stattfindet.