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, Aktualisiert am 03.01.2023 - 18:42 Uhrin RentenfondsLesedauer: 10 Minuten

Weniger dramatisch als meist dargestellt Was Anleger über den Aktiencrash von 1929 wissen sollten

Menschengruppe drängt sich nach dem Aktiencrash von 1929 vor der New Yorker Börse
Menschengruppe drängt sich nach dem Aktiencrash von 1929 vor der New Yorker Börse: Die Fakten sind unspektakulärer und weniger dramatisch als meist verbreitet, sagen Felix Großmann und Gerd Kommer. | Foto: Imago Images / Photo12

In den Medien regnet derzeit wieder ein besonders heftiger Monsun schlechter Nachrichten auf uns als Bürger und Privatanleger ein: Rekordinflation, Preisexplosion bei Strom und Gas, mögliches Frieren zuhause im kommenden Winter, Rezessionsgefahr, Zinsanstieg, kaum mehr finanzierbare Eigenheimkäufe, ein verrückter Diktator, der einen gefährlichen Krieg in Osteuropa angezettelt hat und mehr allgemeiner Politikfrust denn je.

Auch am Aktienmarkt verlief das Jahr 2022 bisher nicht gut. Am 30. September 2022 stand der MSCI World Index gegenüber seinem letzten Hoch am 4. Januar 2022 in Euro gerechnet bei minus 14 Prozent und bei minus 25,5 Prozent in US-Dollar.

Da wundert es nicht, wenn in der öffentlichen Diskussion die Angst vor einem schweren Aktienmarktabsturz wieder aufpoppt. Und immer dann, wenn das der Fall ist, begegnen wir unweigerlich irgendwo dem Hinweis auf den Jahrhundert-Crash in der Weltwirtschaftskrise vor 95 Jahren. Der Aktienmarkt begann im September 1929 einzubrechen und läutete die Great Depression von 1929 bis 1937 ein – die schwerste Wirtschaftskrise in den letzten 120 Jahren und vielleicht sogar noch darüber hinaus.

Auch der begleitende damalige Aktien-Crash gilt als der schlimmste aller Aktienmarktabstürze seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Seitdem steht bei jeder neuen potenziellen oder tatsächlichen Aktienkrise dieser Schreckens-Crash mit der Implikation im Raum: So schlimm kann es im schlimmsten Falle kommen."

 

So schlimm heißt nach der herrschenden Meinung, wie sie in Ratgeberbüchern, in den traditionellen Finanzmedien und im Internet seit Jahr und Tag verbreitet wird: 89 Prozent Einbruch (maximaler Drawdown, kurz MDD) und qualvolle 25 Jahre bis zur vollständigen Erholung im November 1954. Viele Leser werden diese Zahlen schon irgendwo einmal gehört oder gelesen haben.

Dumm nur, dass die epidemisch verbreitete Zahlenkombination 89 Prozent Einbruch" und 25 Jahre bis zur vollständigen Erholung falsch ist. Die Fakten sind unspektakulärer und weniger dramatisch. Diese Fakten heißen: Nur 79 Prozent Einbruch und nur sieben Jahre bis zur vollständigen Erholung. Aber selbst diese Werte geben bei genauerer Betrachtung noch immer ein zu negatives Bild der damaligen Aktienmarktkrise ab.

Doch wie kommen die Falschinformationen zustande?

Die Standardzahlen zum 1929er-Crashs, 89 Prozent Einbruch und 25 Jahre Erholungsphase, stimmen nur dann, wenn man zwei Fehler auf einmal begeht: (a) Indem man einen unvollständigen, nicht repräsentativen Aktienindex zugrunde legt und (b) indem man eine falsche Renditemessmethode verwendet. Vermeidet man diese beiden Irrtümer, resultieren weniger drastische Werte.

Fehler 1: Die Verwendung eines unvollständigen Indexes

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Der Dow Jones Aktienindex (vollständiger Name Dow Jones Industrial Average/DJIA) ist ein enger und aus heutiger Sicht heillos veraltet konstruierter US-Aktien-Index, der überdies keine Dividenden berücksichtigt (ein reiner Kursindex). Dass das Weglassen von Dividenden bei der Berechnung der Rendite eines Aktienmarktes über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten einen Fehler darstellt, wird kaum jemand ernsthaft in Zweifel ziehen (die anderen Mängel des DJIA übergehen wir hier der Kürze halber).

Der Fehler Kursindex statt Total-Return-Index ist im Rahmen unserer Betrachtung deswegen doppelt gravierend, weil Dividendenrenditen bis in die 1960er Jahre allgemein weit höher waren als heute, nämlich durchschnittlich 5,4 Prozent für den S&P 500 Index in den 50 Jahren von 1900 bis 1949 gegenüber nur 2,8 Prozent in den gut 50 Jahren seit 1970 (notabene: die Gesamtrenditen aus Dividenden und Kurssteigerungen waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eher niedriger als in den 72 Jahren danach). Von 1929 bis 1954 (während der fraglichen 25-jährigen Erholungsperiode) belief sich die kumulative Dividendenrendite des S&P 500-Index auf 142 Prozent. Diese gigantische Ertragsquelle kehrt derjenige einfach unter den Teppich, der den Dow Jones Index zwischen 1929 und 1954 mit dem US-Aktienmarkt gleichsetzt.

Fehler 2: Das Rechnen in nominalen, statt in realen Renditen

In normalen Zeiten sind nominale Renditen (Renditen inklusive Inflation) höher als reale, inflationsbereinigte Renditen – eine triviale Feststellung. Während der Great Depression ereignete sich jedoch eine substanzielle Deflation. Die Konsumgüterpreise in den USA fielen von Januar 1930 bis Juni 1932 (dem Zeitpunkt des Maximum Drawdowns im US-Aktienmarkt) um rund 10 Prozent und in den neun Monaten danach noch um weitere 17 Prozent, in Summe 27 Prozent, bevor sie wieder anfingen zu steigen. Wegen dieser Deflation war der MDD des S&P 500 Index im Juni 1932, berechnet auf der Basis realer Zahlen, kontraintuitiv um volle zehn Prozentpunkte geringer als auf der Basis nominaler Daten. Die realen Zahlen sind natürlich die richtigen. Nur sie drücken die echte Vermögenseinbuße eines Anlegers, den Kaufkrafteffekt, korrekt aus.

Die folgende Grafik illustriert die Unterschiede beim Kursverlauf von 1928 bis 1954 (26 Jahre) zwischen dem falschen Index und dem richtigen: Der Dow Jones Index ohne Dividenden und nominal versus der S&P 500 Index inklusive Dividenden und inflationsbereinigt.

Abbildung 1: Entwicklung der indexierten Monatsendstände des US-Aktienmarktes von 1928 bis 1945 (17 Jahre) – nominale und reale Renditen in US-Dollar (logarithmische vertikale Skala)

MDD = Maximaler Drawdown = maximaler kumulativer (Buch-)Verlust im Betrachtungszeitraum. Ohne Steuern und Kosten.

Datenquelle: Dimensional Fund Advisors, www.macrotrends.net.

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In Abbildung 1 können wir sehen, dass der MDD im Juni 1932 im US-Aktienmarkt korrekt gerechnet nur 79 Prozent (nicht 89 Prozent) betrug und der Vor-Crash-Stand schon im November 1936 (nicht erst 1954) erreicht und dann fünf Monate lang übertroffen wurde (letzteres ist in der Grafik schlecht erkennbar). Ein Buy-and-Hold-Anleger hätte in diesen fünf Monaten seine Verluste seit Beginn des Crashs wieder vollständig aufgeholt und hätte reichlich Zeit gehabt, ohne Verlust wieder auszusteigen, sofern er gewollt hätte.

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