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Investmentprofis zum Brexit-Abkommen „Für Anleger eindeutig eine gute Sache“

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„Die Verhandlungen haben Spuren hinterlassen“

Achim Wambach, Präsident des ZEW:

„Es ist eine Erleichterung, dass das Hin und Her um Austrittsabkommen und Handelsvertrag nun endlich einen Abschluss gefunden hat. Durch den Abschluss des Abkommens gibt es nun mehr Planbarkeit und Sicherheit für die künftigen Handelsbeziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich.

Die Verhandlungen haben allerdings Spuren hinterlassen. Unternehmen haben ihre Investitionen aufgeschoben, um zunächst Klarheit über den Ausgang der Verhandlungen zu bekommen. Die EU ist mit Abstand der wichtigste Handelspartner für das Vereinigte Königreich. Auch für Deutschland steht einiges auf dem Spiel - das Vereinigte Königreich liegt auf Rang 5 der wichtigsten Exportländer Deutschlands. Jetzt sind die Weichen gestellt, dass die wirtschaftliche Zusammenarbeit weiter vorankommt.

Es hat eine gewisse Ironie, dass der Streit über faire Wettbewerbsbedingungen – das sogenannte Level Playing Field – die Verhandlungen so erschwert hat. Zum einen erfüllt das Vereinigte Königreich als ehemaliges Mitglied der EU derzeit alle Umwelt- und Sozialstandards, immerhin hat man die Normen und Standards gemeinsam entwickelt und geteilt. Zum anderen ist häufig gerade das Vereinigte Königreich die Stimme gewesen, die sich auch in der EU für mehr Wettbewerb eingesetzt hat. Diese Stimme wird fehlen.“


„Besser als kein Abkommen, aber schlechter als der Status quo“

Christoph Balz, Senior-Ökonom bei der Commerzbank:

„Im Handel zwischen der EU und Großbritannien werden weiterhin keine Zölle erhoben und keine Mengenbeschränkungen gelten. Allerdings erschweren künftig andere Hemmnisse den Handel, insbesondere eine erheblich umfangreichere Bürokratie. Es gibt außerdem kein Recht auf Niederlassung und Arbeitsaufnahme im jeweils anderen Wirtschaftsraum mehr. Großbritannien ist nicht mehr an die EU-Regeln gebunden, erkauft sich den zollfreien Zugang aber mit der Zusicherung, den heimischen Unternehmen keine unfairen Wettbewerbsvorteile durch die Senkung von Standards bei den Arbeitnehmerrechten und der Umwelt oder durch Subventionen zu verschaffen. Kommt es darüber zum Streit, tritt ein Schlichtungsmechanismus in Kraft. Gegebenenfalls können Maßnahmen wie Strafzölle verhängt werden. Mit dem Vertrag werden ein Chaos und der Rückfall auf WTO-Regeln, die Zölle von beispielsweise 10 Prozent bei Autos und bis zu 50 Prozent bei manchen Agrargütern bedeutet hätten, ab dem 1. Januar vermieden. Dennoch wird der Handel künftig durch nichttarifäre Hemmnisse wie Zollformalitäten und Nachweispflichten zur Herkunft der Waren gebremst werden, auch wenn die Bürokratie ohne ein Abkommen noch umfangreicher ausgefallen wäre.

Dienstleistungen blieben bei den Verhandlungen weitgehend außen vor, auch wenn sie insbesondere für Großbritannien viel wichtiger sind als der Warenaustausch. So verlieren beispielsweise britische Finanzunternehmen den automatischen Zugang zum EU-Markt. Sie benötigen dann sogenannte Äquivalenzrechte, bei denen ihnen die EU-Behörden die Geschäftstätigkeit erlauben, weil sie die Regulierung in ihrem Heimatmarkt als gleichwertig ansehen. Diese Einschätzung kann aber widerrufen werden, was die Unsicherheit für viele Unternehmen vergrößert. Auf diesem Gebiet sind weitere Verhandlungen notwendig, wobei die EU von Großbritannien zuvor zusätzliche Informationen einfordert, wie man von den EU-Regeln abweichen will. Gerade bei den Finanzdienstleistungen, bei denen das meiste EU-Geschäft derzeit vom Nicht-EU-Standort London abgewickelt wird, ist zu vermuten, dass die EU künftig auf eine Verlagerung zu einem der Finanzzentren in der EU hinarbeiten wird.

Hinsichtlich der quantitativen Auswirkungen des Brexit auf das BIP hat die EZB eine Übersicht von Studien zu diesem Thema zusammengestellt. Danach dürfte das Bruttoinlandsprodukt gemäß dem Durchschnitt der Analysen langfristig in Großbritannien um 2,1 Prozent und in der EU-27 um 0,4 Prozent niedriger ausfallen als bei einer fortgesetzten EU-Mitgliedschaft der Briten. Ohne ein Freihandelsabkommen läge das Minus allerdings bei 3,3 Prozent beziehungsweise 0,7 Prozent.

Außerdem sind praktische Probleme beim Warenverkehr mit Nordirland absehbar. Normalerweise müsste es zwischen Irland und Nordirland wie an jeder EU-Außengrenze Zollkontrollen geben, was aber das Friedensabkommen von 1998 gefährden würde. Daher werden Kontrollen beim Transport zwischen der britischen Insel und Nordirland erfolgen müssen, was bei den Briten innenpolitisch umstritten ist und Umsetzungsprobleme birgt. Die heftig umstrittene Fischerei wird ohnehin wieder auf den Verhandlungstisch kommen, denn hier gilt eine Übergangsregelung für 5,5 Jahren. Danach muss neu verhandelt werden. Es ist nicht zu erwarten, dass die Positionen bei diesem Thema dann weniger weit auseinander liegen.“

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