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Rechtsexperte zum OLG-Urteil Wann darf der BU-Versicherer trotz Falschangabe nicht zurücktreten?

Von in NewsLesedauer: 4 Minuten
Frau mit Kopfschmerzen
Frau mit Kopfschmerzen: Fragt eine Berufsunfähigkeitsversicherung im Versicherungsantrag nach Kopfschmerzen mit einer „Häufigkeit von mehr als 2 x pro Monat“, handelt ein Versicherungsnehmer nicht grob fahrlässig, wenn er folgenlos ausgeheilte Kopfschmerzen über einen Zeitraum von etwa 2 Monaten nicht angibt. | Foto: Pexels

Fragt eine Berufsunfähigkeitsversicherung im Versicherungsantrag nach Kopfschmerzen mit einer „Häufigkeit von mehr als 2 x pro Monat“, handelt ein Versicherungsnehmer nicht grob fahrlässig, wenn er folgenlos ausgeheilte Kopfschmerzen über einen Zeitraum von etwa 2 Monaten nicht angibt. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken in einem aktuellen Urteil vom 08.01.2024 zum Geschäftszeichen 16 U 107/22 entschieden und den Rücktritt einer Berufsunfähigkeitsversicherung für unwirksam erklärt.

Der Fall

In dem entschiedenen Sachverhalt hatte die Klägerin in einem Versicherungsantrag folgende Frage mit „Nein“ beantwortet:

„Bestehen oder bestanden bei Ihnen in den letzten 5 Jahren Erkrankungen, Gesundheits- oder Funktionsstörungen, aufgrund derer Sie in Behandlung waren (zum Beispiel bei Ärzten, Heilpraktikern, Psychologen/Psychotherapeuten) oder Medikamente (mehr als 1x wöchentlich) einnehmen mussten, wegen:

[…]

6.9. Kopfschmerzen (Schmerzdauer > 5 Stunden täglich, Häufigkeit > 2 x pro Monat) oder Migräne“.

Tatsächlich hatte sie in dem von der Berufsunfähigkeitsversicherung erfragten Zeitraum einen Unfall, aufgrund dessen sie über einen Zeitraum von etwa zwei Monaten Kopfschmerzen hatte. Außerdem hatte sie nach dem Unfall Rückenbeschwerden.

Einige Jahre später wurde die Klägerin berufsunfähig und stellte einen Leistungsantrag bei der Versicherung. Diese erkannte die Leistung zwar an, erklärte aber unter anderem wegen der Kopfschmerzen nach dem Unfall den Rücktritt vom Versicherungsvertrag.

Das Urteil

Mit ihrer Klage wandte sich die Kläger dann noch gegen den Rücktritt und bekam vor dem OLG recht. Dieses führte zunächst aus, dass es sich bei den vermeintlich verschwiegenen Rückenbeschwerden tatsächlich um die unfallbedingten Nackenschmerzen handelte. Allerdings bedurften diese keiner weiteren Behandlung, heilten folgenlos aus und waren laut dem OLG als „Bagatelle“ nicht anzeigepflichtig.

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Die Kopfschmerzen waren hingegen zwar gefahrerheblich und hätten grundsätzlich angezeigt werden müssen. Allerdings vermochte das OLG bei der Klägerin keine „grob fahrlässige Anzeigepflichtverletzung“ erkennen. Es führt aus, dass aufgrund der oben wiedergegebenen Frage nach Kopfschmerzen über mehr als fünf Stunden täglich und einer Häufigkeit von mehr als zweimal im Monat durchaus der Eindruck entstehen konnte, dass nur chronisch wiederkehrende Kopfschmerzen gemeint sind. Soweit die Klägerin aufgrund dieses Verständnisses der Frage die Kopfschmerzen nicht angegeben hat, war das aus Sicht des OLG jedenfalls nicht grob fahrlässig.

Die Folge dieser Rechtsauffassung war, dass der Rücktritt wegen § 19 Abs. 3 VVG scheiterte. Nach dieser Klausel ist ein Rücktritt ausgeschlossen, wenn die Anzeigepflicht nur leicht fahrlässig verletzt wurde.

Das meint der Experte

Aber auch bei einem grob fahrlässigen Verschweigen der Kopfschmerzen wäre der Rücktritt in diesem Fall nach § 19 Abs. 4 VVG unwirksam gewesen, so das OLG. Nach dieser Klausel ist ein Rücktritt ausgeschlossen, wenn die Anzeigepflicht zwar grob fahrlässig verletzt wurde, aber die Versicherung den Versicherungsvertrag auch in Kenntnis der verschwiegenen Kopfschmerzen abgeschlossen hätte. Die Berufsunfähigkeitsversicherung hätte den Versicherungsvertrag auch in Kenntnis der Kopfschmerzen mit einem Risikozuschlag abgeschlossen. Damit hätte sie auch bei einem grob fahrlässigen Verhalten der Kläger nur eine Vertragsanpassungs- aber kein Rücktrittsrecht gehabt.

Dieses Urteil zeigt einmal mehr, dass auch bei einem Rücktritt die Interessen von Versicherungsnehmern erfolgreich durchgesetzt werden können. Allerdings müssen dafür immer auch die Fragen im Versicherungsantrag genau geprüft werden.

Über den Autor:

Tobias Strübing ist Fachanwalt für Versicherungsrecht bei der Kanzlei Wirth-Rechtsanwälte. 

>> Ob bei einem BU-Antrag auch Leiden ohne Krankheitswert anzugeben sind, erfahren Sie hier.

>> Wie kundenfreundlich BU-Versicherer im Leistungsfall arbeiten, erfahren Sie hier.

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