Container-Stau Lieferengpässe sind der Preis für den Impferfolg
Im Grunde genommen ist die Wirtschaftswissenschaft doch eine leicht verständliche Disziplin. Das BWLern bekannte Diagramm von Angebot und Nachfrage, das von Alfred Marshall (1842 – 1924), einem der wichtigsten Nationalökonomen seiner Zeit, zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde, spielt hierbei eine zentrale Rolle. Das Diagramm veranschaulicht das Zustandekommen eines Marktpreises und einer Marktmenge im Marktgleichgewicht.
Warum braucht der Markt so lange?
Bestimmt geht Ihnen jetzt durch den Kopf: Warum erwähne ich die Grundlagen der Ökonomie? Ganz einfach. Die Frage, die ich mir stelle, lautet: Warum braucht aktuell der Marktmechanismus so lange, um die just enormen Störungen in der Lieferkette zu korrigieren? Seit mehr als einem Jahr sprechen die Marktteilnehmer über diese Versorgungsunterbrechungen nun schon. Wir bei Aegon AM sind der Ansicht, dass sie ungefähr noch zwei Quartale anhalten könnten. Insgesamt wird es damit 18 Monate dauern, bis die Weltwirtschaft die infolge der Pandemie in Mitleidenschaft gezogenen Lieferketten wiederhergestellt haben wird. Ein gutes Stück Weg dieser Strecke dürfte damit noch vor uns liegen, bis sich wieder normale Verhältnisse einstellen.
Es gibt ein treffendes Sprichwort: Eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Beim Blick auf die derzeitigen globalen Lieferketten sieht man viele überstrapazierte Kettenglieder: Es gibt massive Störungen bei der Container-Schifffahrt, im Lkw-Verkehr und so weiter. Im Ergebnis kommt es zu Engpässen bei Komponenten, die für die Produktion wichtig sind. Das zeigt sich in einem eklatanten Mangel von Halbleitern, in vollen, nur schwer abzuarbeitenden Auftragsbüchern und massiven Lieferverzögerungen.
Container-Schifffahrt macht 90 Prozent des Welthandels aus
Die Lieferschwierigkeiten treiben die Containerpreise, Schifffahrts- und Lkw-Frachtkosten weiter nach oben: Der CTS Average Global Container Price Index ist in den vergangenen zwölf Monaten um fast 80 Prozent gestiegen, während der Freightos Global Index (gewichteter Durchschnitt von zwölf Routen in verschiedene Richtungen) mit einem Anstieg von fast 350 Prozent regelrecht explodiert ist. Zu bedenken ist dabei, dass stattliche 90 Prozent des Welthandels über die Container-Schifffahrt abgewickelt werden.
Sowohl in den USA als auch in Europa stiegen auch die Lkw-Frachtkosten in den vergangenen zwölf Monaten um rund 15 Prozent. Es besteht kein Zweifel daran, dass diese Preissteigerungen bei Containern, Schifffahrt und Lkw-Transport Preisdruck auf eine breite Palette von Waren und Gütern ausüben.
Doch handelt es sich derzeit um eine vorübergehende oder nicht vorübergehende Inflation? Wir können erst dann Rückschlüsse auf Preisentwicklungen bei einer breiten Palette von Waren und Rohstoffen ziehen, wenn die Volkswirtschaften die umfängliche derzeitige Lähmung der globalen Versorgungskette entschlossen angehen.
Mehr führt ironischerweise zu weniger
Mein volkswirtschaftliches Wissen über das reibungslose Funktionieren von Marktmechanismen besagt, dass bei einem anhaltenden Anziehen der Güternachfrage ein neues Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage erreicht werden kann: Etwa dann, wenn beispielsweise die Zahl der Schiffe zunimmt, die diese Güter befördern. In der Tat dürften die Transportkapazitäten der globalen Schifffahrt nach Angaben des Baltic and International Maritime Council (BIMCO) in den kommenden fünf Jahren um 6,4 Prozent wachsen. Allerdings besteht laut BIMCO dadurch die Gefahr, dass sich die derzeitigen Engpässe durch den Bau und Einsatz weiterer Schiffe noch verschärfen – schon jetzt seien 12,5 Prozent der weltweiten Schiffskapazität wegen Lieferverzögerungen aufgrund von überlasteten – sprich heillos verstopften Schifffahrtsstraßen – nicht verfügbar.
Ist Wirtschaftswissenschaft vielleicht doch nicht so einfach, wie eingangs behauptet? Der Marktmechanismus benötigt nicht nur lange Zeit, um die Ungleichgewichte in der Versorgungskette zu korrigieren, sondern die Lehrbuchmeinung würde nur zu noch größeren Ungleichgewichten führen!
Ganz offensichtlich handelt es sich bei den derzeitigen Unterbrechungen der Versorgungskette, bedingt durch die Covid-19-Lockdowns der vergangenen anderthalb Jahre, um den Preis, den wir für den Impferfolg und damit für die Öffnung der westlichen Volkswirtschaften in diesem und wahrscheinlich auch im nächsten Jahr zahlen. Doch danach dürfte alles besser werden. Noch ein schönes Sprichwort, das mit einfachen Mitteln die Welt erklärt, kommt mir hier in den Sinn: Der Preis für Erfolg ist stets im Voraus zu entrichten.