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Finanzprofis über Weidmanns Rücktritt „Scholz' neue Regierung scheint ihr erstes Opfer gefunden zu haben“

Vielleicht-Bald-Kanzler Olaf Scholz (links) und Bundesbank-Chef Jens Weidmann im April 2019
Vielleicht-Bald-Kanzler Olaf Scholz (links) und Bundesbank-Chef Jens Weidmann im April 2019: „Dass sich Weidmann häufig nicht durchsetzen konnte, könnte bei seinem Rücktritt eine Rolle gespielt haben“ | Foto: Imago Images / Photothek

Friedrich Heinemann, Leiter „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ am ZEW Mannheim

Der Rücktritt von Jens Weidmann ist ein herber Verlust für den EZB-Rat. Weidmann gehört zu den wenigen Mahnern im Rat, die kontinuierlich vor einer Überforderung der Geldpolitik und einer zu großen Nähe zur Fiskalpolitik warnen. 2022 könnte den entscheidenden Test bringen, ob die EZB das Ziel der Inflationsbekämpfung ernster nimmt als das Interesse der Finanzminister an niedrigen Zinsen und Anleihekäufen. Hier wird Weidmann fehlen. Die neue Bundesregierung hat eine große Verantwortung bei der Neubesetzung. Wenn Deutschland eine geldpolitische Taube in den EZB-Rat schicken würde, wäre das fatal.

Christian Sewing, Präsident des Bankenverbands

Jens Weidmann war ein Jahrzehnt lang ein starker Präsident der Bundesbank und eine international sehr geachtete Stimme in der Geldpolitik. Er hat auch in turbulenten Zeiten, unter anderem während der Euro-Krise und der Corona-Pandemie, den geldpolitischen Stabilitätskurs verteidigt, aber gleichzeitig die gesamtwirtschaftliche Situation im Blick behalten. Dafür gebühren ihm unsere große Anerkennung und unser Respekt.

Michael Holstein, Chefvolkswirt der DZ Bank

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Jens Weidmann hat das Amt des Bundesbankpräsidenten zehn Jahre lang mit hoher Sachkompetenz und persönlicher Integrität ausgeübt. In dieser Zeit musste sich die Geldpolitik in der Staatsschuldenkrise und Corona-Pandemie enormen Herausforderungen stellen. Nicht immer konnte sich Weidmann in letzter Zeit mit seinen stabilitätspolitischen Vorstellungen in der EZB-internen Debatte durchsetzen. Das Lager der geldpolitischen „Falken“ ist in den vergangenen Jahren zunehmend in eine Minderheitenposition gekommen. Das dürfte – neben den von Weidmann genannten persönlichen Gründen – für den Rücktritt eine Rolle gespielt haben. Für die neue Regierung steht damit gleich eine sehr bedeutende Personalentscheidung auf der Agenda. Es ist wichtig, dass für die Nachfolge von Jens Weidmann eine ähnlich profilierte und erfahrene Persönlichkeit gefunden wird.

Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank

Beim Rücktritt von Jens Weidmann dürfte eine Rolle gespielt haben, dass er sich im EZB-Rat mit seinen Vorstellungen häufig nicht durchsetzen konnte. Ein Nachfolger wird wohl weniger falkenhaft sein als Weidmann. Wir erwarten mehr denn je, dass die EZB auf absehbare Zeit nicht aus ihrer sehr expansiven Geldpolitik aussteigt, obwohl die Inflationsrisiken zuletzt deutlich gestiegen sind.

In der Stellungnahme der Deutschen Bundesbank und in dem Schreiben an die Mitarbeiter werden „persönliche Gründe“ für den Rücktritt Weidmanns genannt. Auffällig ist jedoch, dass Aussagen über die Geldpolitik in den Stellungnahmen einen breiten Raum einnehmen. So fordert Jens Weidmann, dass „Nebenwirkungen und insbesondere Finanzstabilitätsrisiken“ der lockeren Geldpolitik stärker in den Blick genommen werden. Außerdem sollte die EZB „nicht einseitig auf Deflationsrisiken“ schauen. Schließlich betont er mit Blick auf das in der Krise beschlossene PEPP-Anleihekaufprogramm, dass dessen „außergewöhnliche Flexibilität“ nur in der „Notsituation“, für die sie geschaffen wurde, verhältnismäßig sei. Diese Aussage ist wichtig, weil es andere Stimmen im EZB-Rat gibt, die diese Flexibilität auch nach einem Ende des PEPP-Programms bewahren wollen.

Alles in allem macht die Stellungnahme von Weidmann noch einmal die bekannte Tatsache deutlich, dass seine Positionen häufig nicht die Mehrheitsmeinung im EZB-Rat widerspiegeln. Dass sich Weidmann häufig nicht durchsetzen konnte, könnte bei seinem Rücktritt eine Rolle gespielt haben.

Eine neue Bundesregierung wird wohl kaum einen Bundesbankpräsidenten berufen, der im EZB-Rat wieder im Gegensatz zur Mehrheitsmeinung steht. Insofern dürfte der Nachfolger oder die Nachfolgerin Weidmanns weniger falkenhaft sein als Jens Weidmann.

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