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in JapanLesedauer: 4 Minuten

Stagnation und Niedrigzins Anleger müssen sich für japanische Verhältnisse wappnen

Luc Filip, Investment-Leiter bei der Bank Syz

Im Juli gab es einen Vorgeschmack auf die künftige Entwicklung an den Finanzmärkten: Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen fiel erstmals unter den Einlagensatz der Europäischen Zentralbank. Das Gespenst der Japanisierung hat Europa erreicht und zwingt Anleger zum Umdenken. Unter Japanisierung versteht man japanische Verhältnisse, wie sie dort in den letzten zwanzig Jahren geherrscht haben: stagnierende Wirtschaft und schwache Inflation, begleitet von einer ultralockeren Geldpolitik. Ironischerweise sieht es in Japan heute anders aus: Das Land scheint sich nun aus dem deflationären Treibsand befreien zu können. Die Aussichten für die Eurozone verschlechtern sich dagegen weiter. Zwar scheint es, als könnte es der US-Wirtschaft kaum besser gehen, denn die US-Notenbank hat die Zinsen im vergangenen Juli erstmals seit einem Jahrzehnt gesenkt. Angesichts der Handelsspannungen und der Zweifel an der Robustheit der Weltwirtschaft bleibt es jedoch fraglich, wie lange die Expansion in den USA noch anhalten wird. Nicht nur Europa, sondern die gesamte entwickelte Welt könnten in eine wirtschaftliche Schwächephase abgleiten.

Euphorie und Absturz

Bevor Japan für Jahrzehnte in die Stagnation stürzte, herrschte dort eine Phase der Euphorie. Im Dezember 1989 erreichte der japanische Aktienindex Nikkei 225 fast die Marke von 39.000 Punkten – dahinter steckten allerdings spekulative Exzesse, die die Vermögenspreise in schwindelerregende Höhen getrieben hatten. Auf dem Höhepunkt der Immobilienblase war der Kaiserpalast mehr wert als alle Immobilien in Frankreich zusammen. Hätte man im Ginza-Viertel in Tokio eine 10.000-Yen-Note fallen lassen, so wäre diese nach damaliger Auffassung weniger wert gewesen als der Boden, auf dem sie landete.

1990 endete die Party jedoch: Die Finanzblase platzte, die Aktien- und Immobilienpreise brachen ein und der Markt verlor bis zum Jahresende 2 Billionen US-Dollar an Wert. Japan stürzte in eine tiefe Wirtschaftskrise. Diese Krise hatte langfristige Folgen – nicht nur für die Wirtschaft selbst, sondern auch für die Gemüter der Anleger. Jahrzehnte der wirtschaftlichen Stagnation hinterließen tiefe psychologische Wunden – und die Erfahrungen der Vergangenheit beeinflussten die Erwartungen an die Zukunft. Nach dem Crash rechnete man in Japan stets eher mit einer Verschlechterung als mit einer Verbesserung. Der fehlende Optimismus führte dazu, dass das Finanzsystem austrocknete: Die Banken vergaben keine Kredite mehr und die Verbraucher hielten sich mit Ausgaben zurück.

Für Anleger hatten die wirtschaftliche Stagnation, ausbleibende Inflation und die ins Extrem ausufernde lockere Geldpolitik der japanischen Zentralbank schwerwiegende Folgen: Niedrige Zinsen waren nun nicht mehr die Ausnahme, sondern die neue Normalität, mit der sich Investoren abfinden mussten. Die langanhaltenden Niedrigzinsen hatten katastrophale Folgen für die Anleihenmärkte. Die Anleiherenditen wurden auf einem dauerhaft niedrigen Niveau eingefroren – und Japan wurde zur Falle für Rentenbären.

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Heute müssen Anleger aus den Industrieländern unserer Meinung nach mit ähnlichen Verhältnissen rechnen. Denn: Unsere Investment-Teams vertreten eine andere Meinung als die Ökonomen und Anleger, die in den Industrieländern von einem Bärenmarkt ausgehen. Wir dagegen  erwarten, dass eine Japanisierung stattfindet und die Zinsen weiterhin niedrig bleiben. Im aktuellen Umfeld schürt eine unerwartete Zinserhöhung die größte Angst. Deswegen ist der erste Instinkt bei Anlegern häufig, die Duration zu verkürzen, um die Auswirkungen auf ihre Portfolios zu minimieren. Das sehen wir anders: Unserer Meinung nach kann eine längere Duration Wert bieten und eingesetzt werden, um das Risiko im Portfolio zu steuern.

In der Welt der Staatsanleihen ist die Japanisierung größtenteils bereits eingetreten. In einem solchen Umfeld werden die Opportunitätskosten, die mit Barpositionen im Portfolio verbunden sind, sehr hoch bleiben. Denn: Die Zentralbanken halten an einer akkommodierenden Politik fest, um das Wachstum anzukurbeln. Wer angesichts dieses Ausblicks langfristige Anleihen hält, kann mit Gewinnen rechnen.

Die Erfahrungen in Japan belegen: Anleger, die sich aufgrund von niedrigen langfristigen Renditen für Barmittel entscheiden, kommen über längere Zeiträume schlecht weg. In den 15 Jahren bis Ende 2016 belief sich die Rendite von Barmitteln in japanischen Yen im Schnitt auf 0,24 Prozent gegenüber 0,92 Prozent bei 7- bis 10-jährigen japanischen Staatsanleihen (JGB). Das Plus für langfristige Anleihen ist auf den ersten Blick relativ klein. Betrachtet man jedoch die annualisierten Gesamtrenditen, ergibt sich ein anderes Bild. Der Unterschied ist hier deutlich höher und beträgt annualisierte 2,44 Prozent bei 7- bis 10-jährigen JGB gegenüber lediglich 0,34 Prozent bei Barmitteln.

Bewertungen verlieren an Bedeutung

Der Schwenk der US-Notenbank und der Europäischen Zentralbank hin zu einer lockeren Geldpolitik wird den künftigen Kurs bestimmen und sich stark auf die Finanzmärkte auswirken. Dies wird die Marktteilnehmer zwingen, weiterhin Risikoanlagen zu halten oder aufzustocken, um die monetären Kräfte der finanziellen Repression zu vermeiden. Bei künstlich niedrigen Zinsen sollte die Aktienallokation daher je nach Wachstumstrend taktisch gesteuert werden, denn die Bewertungen verlieren in dieser Situation an Bedeutung. Die erhöhte Risikobereitschaft kann jedoch auch über Anleihen mit Renditeaufschlag umgesetzt werden, beispielsweise über hochverzinsliche Unternehmensanleihen und Schwellenländeranleihen in Fremdwährung.

Anleger sollten auch eine Investition in Qualitätsaktien in Erwägung ziehen, die hohe Dividenden auszahlen. Bei ihnen dürfte die Gefahr geringer sein, dass sie aufgrund von Zinsschritten vorübergehend neubewertet werden. Außerdem bieten sie im Niedrigzinsumfeld eine reale mittel- bis langfristige Alternative zu Anleihen.

Die Japanisierung ist in vielerlei Hinsicht bereits Realität. Im gegenwärtigen Umfeld schwachen Wachstums, niedriger Zinsen und ungünstiger Bevölkerungsentwicklung müssen Anleger umdenken. Sie müssen die Lehren aus der Vergangenheit ziehen und sollten auf flexible Lösungen setzen, die frei von Anlagebeschränkungen sind und die man an das sich ändernde Anlageumfeld anpassen kann.

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