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Assenagon-Chefökonom Martin Hüfner „Der Abstieg Italiens geht auch an die Substanz der EU“

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Ähnlich, wenn auch nicht ganz so krass die Entwicklung Deutschlands. Im Jahre 2010 war es noch der Musterknabe. Am Ende der Periode ist Deutschland weit zurückgefallen und rangiert nunmehr an zweitletzter Stelle vor Italien. Auf der anderen Seite steht Griechenland, das in diesem Jahr zusammen mit Spanien den Wachstumszug anführt.

Der Abstieg Italiens ist nicht nur ein Schönheitsfehler. Er geht, je länger er dauert, an die Substanz der Gesellschaft und der Union. Denn es geht hier nicht nur um ein paar Wachstumsraten, die letztlich niemand interessieren. Der Wohlstand der Bürger verringert sich. Das reale Sozialprodukt Italiens ist heute kaum höher als in der Finanzkrise. Im Euroraum insgesamt ist es in dieser Zeit um 13 Prozent gestiegen. Die Arbeitslosigkeit könnte um 3 Prozentpunkte niedriger sein, wenn Italien so stark gewachsen wäre wie der Euroraum. Die Zinsen könnten um zwei Prozentpunkte niedriger sein. Das würde den Staatshaushalt um mehr als 40 Milliarden Euro entlasten. Was könnte Rom alles damit finanzieren?

Unruhepotenzial für Italien und den Euro

Diese wirtschaftlichen Defizite wiegen umso schwerer, als die Regierung politisch sehr ehrgeizige Ziele verfolgt. Innenminister Salvini geriert sich wie der Trump Italiens. Der Unterschied liegt nur darin, dass der amerikanische Präsident von einer starken wirtschaftlichen Basis operiert. Salvini spricht dagegen als Chef eines kranken Landes. Das verstärkt die Unzufriedenheit der Bevölkerung noch und führt zu einer weiteren Radikalisierung.

Das ist erhebliches Unruhepotenzial für Italien selbst, aber auch für die EU und den Euro. Es ist zu vermuten, dass Salvini auf Neuwahlen in seinem Land drängt, die ihn dann zum Regierungschef machen könnten. Sein Wunsch, dass Italien aus der EU oder dem Euro austritt, ist vermutlich nicht zu realisieren, weil es dafür keine entsprechende Zustimmung in der Bevölkerung gibt. Es wird jedoch verschärft Streit über die Fiskaldisziplin und den Ausbau der Union geben. Die Gemeinschaft wackelt. Der berühmte amerikanische Ökonom Barry Eichengreen hat vorige Woche in einem Vortrag in Frankfurt darauf hingewiesen, wie wichtig ein Minimum an Konvergenz für das Überleben der Währungsunion ist.

Ich glaube nicht, dass wir auf eine neue Eurokrise wie 2012 zusteuern. Ein großer Unterschied zu jener Zeit ist, dass Italien anders als die damaligen Schuldnerländer kein Leistungsbilanzdefizit hat. Es hat also keine Finanzierungsprobleme, es sei denn es gäbe größere Fälligkeiten in seiner Staatsschuld. Trotzdem muss man sich darauf vorbereiten, dass die langfristigen Zinsen in Rom steigen werden. Sie bewegen sich derzeit bei 2,6 Prozent. Eine Erhöhung auf 3,5 bis 4 Prozent ist denkbar und wäre – wie die Regierung in Rom einmal gesagt hat – von Italien auch gerade noch verkraftbar.

Für den Anleger

Römische Staatsanleihen waren im Nullzinsumfeld der letzten Monate eine gute Anlage. Sie brachten einen akzeptablen Ertrag, ohne dass es größere Ausfallrisiken gab. Das wird so nicht bleiben. Es ist zu vermuten, dass es im Gefolge der bevorstehenden politischen und wirtschaftlichen Turbulenzen in der Gemeinschaft in den nächsten Monaten zu weiteren Kursverlusten kommt. Eine neue Eurokrise ist jedoch nicht zu befürchten.


Über den Autor:
Martin Hüfner ist Chefvolkswirt bei dem Luxemburger Asset Manager Assenagon.

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