Verbraucher leiden unter Kaufkraftverlust Inflationsrate klettert erstmals seit 1992 über 5 Prozent
Die Inflation in Deutschland ist auf den höchsten Wert seit 1992 gestiegen. Im November waren die Verbraucherpreise 5,2 Prozent höher als im Vorjahresmonat. Das teilte das Statistische Bundesamt mit, das zum Monatsende stets eine Schnellschätzung veröffentlicht. Der für die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) maßgebliche, in den Euroländern einheitlich berechnete Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) erreichte mit einer Teuerungsrate von 6 Prozent sogar ein Allzeithoch. Im Oktober lagen die entsprechenden Werte bei 4,5 Prozent beziehungsweise bei 4,6 Prozent für den HVPI.
„Neben den hohen Energiepreisen befeuert vor allem der Mehrwertsteuereffekt die Verbraucherpreisentwicklung“, erläutert Christoph Swonke, Konjunkturanalyst der DZ Bank. Von Anfang des kommenden Jahres an sollte der Preisauftrieb allerdings nachlassen. Denn dann falle der Mehrwertsteuereffekt aus der Inflationsrate heraus und der Preisdruck von den Energierohstoffen dürfte nachlassen. Trotz der erwarteten Entspannung werde die Inflation aber auch 2022 über dem EZB-Ziel liegen, die DZ Bank rechnet derzeit mit 2,2 Prozent.
Auch Jörg Zeuner, Chefvolkswirt der Fondsgesellschaft Union Investment, verweist auf die reduzierte Mehrwertsteuer in der zweiten Jahreshälfte 2020, die den Jahresvergleich deutlich verzerre. „Allein dieser Effekt macht knapp 2 Prozentpunkte der aktuell 6 Prozent aus“, stellt Zeuner fest. Hinzu komme, dass die Preise zu Beginn der Pandemie auf breiter Front ins Rutschen gerieten. Dieser Trend habe sich im Zuge der wirtschaftlichen Erholung ins Gegenteil verkehrt. „Als Folge schnellt die Inflationsrate nach oben“, sagt Zeuner. Zudem treibe das knappe Angebot bei verschiedenen Gütern die Preise. So seien die Energiepreise dieses Jahr explodiert, was ebenfalls rund 2 Prozentpunkte zur Inflation beigetragen habe.
Wieso die Notenbanken nicht reagieren
Der Preisauftrieb dürfte nach Zeuners Einschätzung auch im Dezember kräftig bleiben. Im kommenden Jahr sollte sich die Lage dann allerdings ändern. „Die aktuelle Unsicherheit, wie der Corona-Winter in Deutschland und Europa verlaufen wird, verdirbt so manchem die Kauflaune“, sagt der Ökonom des Fondsanbieters. Dies könnte den weiteren Preisanstieg dämpfen. Hinzu komme, dass die Folgen der gesenkten Mehrwertsteuer und die statistischen Basiseffekte im ersten Halbjahr 2022 an Bedeutung verlieren. „Die Engpässe am Güter- und am Arbeitsmarkt aber werden uns noch eine Weile beschäftigen“, so Zeuner. Trotzdem sollte sich die Teuerungsrate nach seiner Überzeugung schrittweise normalisieren. „Aktuell rechnen wir mit einem Rückgang der Inflation bis Ende 2022 auf unter 2 Prozent“, meint der Chefvolkswirt.
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Rufe nach höheren Leitzinsen dürften angesichts der wieder steigenden Unsicherheit über den Verlauf des Corona-Winters eher auf taube Ohren stoßen. „Niemand will das Risiko eingehen, die Zügel zu rasch anzuziehen", sagt Zeuner.
Verbraucher litten derzeit unter den stärksten Preisniveausteigerungen und Kaufkraftverlusten seit Anfang der 90er-Jahre, auch wenn man den Effekt der temporären Mehrwertsteuersenkung herausrechne, sagt Michael Heise, Chefökonom beim Family Office HQ Trust. Bei den Importpreisen sei der Preisdruck sogar der höchste seit der zweiten Ölpreiskrise Ende der 70er. Bei den Erzeugerpreisen habe es solch hohen Steigerungen zuletzt in den 50er-Jahren gegeben. Weitere Belastungen der Verbraucherpreise seien daher vorgezeichnet. Die teure Energie spiele derzeit die Hauptrolle als Preistreiber. Bei Waren und Dienstleistungen zögen die Preise aber auch langsam an.
Was die Energiekosten weiter antreibt
„Ob der Höhepunkt der Preisniveausteigerungen erreicht ist, hängt vor allem von der Entwicklung der Energiepreise ab“, meint Heise. Die jüngsten Abschläge bei den Rohölpreisen würden, wenn sie Bestand hätten, relativ schnell die Kraftstoff- und Heizölverteuerung dämpfen. Allerdings werden die Energiekosten der Haushalte durch andere Faktoren angetrieben: Heise nennt die weiter angehobene C02-Abgabe zu Jahresbeginn sowie die verzögert steigenden Gaspreise.
Zudem müsse damit gerechnet werden, dass die produzierenden Unternehmen die höheren Energie- und Rohstoffkosten zum überwiegenden Teil in höheren Absatzpreisen weiterreichen werden. Umfragen zeigten, dass in allen großen Wirtschaftsbereichen mit steigenden Preisen gerechnet wird. Heise hält eine durchschnittliche Inflationsrate von 3,0 bis 3,5 Prozent im Jahr 2022 für realistisch.