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Aktualisiert am 07.07.2023 - 10:42 Uhrin ChinaLesedauer: 9 Minuten

Pilnys Asia Insights Wie Vietnam durch Korruption das eigene Wachstum auf Spiel setzt

Xi Jinping Präsident China und Nguyen Phu Trong Vietnam
Vietnam orientiert sich an China | Foto: IMAGO / Xinhua

Seit der Verhärtung der Beziehungen zu China profitiert Vietnam massiv von Verlagerungen ausländischer Investitionen sowie dem großen Binnenmarkt mit rund 100 Millionen jungen und ehrgeizigen Menschen. Sie wollen ebenso wie China aufholen und aufschließen zum Westen.

Mit 8 Prozent Wachstum im abgelaufenen Jahr bleibt das Land der Wachstumssieger unter den asiatischen Volkswirtschaften und hat nicht nur das schnellste Wachstum der Region, sondern auch die höchste Rate für die sozialistische Republik seit 1996.

Die Exporte, insbesondere Elektronik, Schuhe und Textilien profitierten vom Freihandel mit den USA und Europa und stiegen um 10,6 Prozent auf 372 Milliarden Dollar. Gleichwohl steht Vietnam vor immer größeren Herausforderungen, etwa bei der Energieversorgung und dem Wohnungsmarkt.

Hinzu kommen eine überfällige Steuerreform und Fragen über den Umgang mit Staatskonzernen, den neuen Milliardären, der Korruption, der Stabilisierung der Kapitalmärkte und bis zum raschen Aufbau klimafreundlicher Energieversorgung.

Gerade letzteres fordert die neuen Investoren, und doch stehen sie weiterhin Schlange. So konnte die herstellende Industrie 2022 um 8,1 Prozent zulegen und fokussiert sich derzeit vor allem auf den mittleren Teil des lang gestreckten Landes.

Schuhfabrik in Vietnam
Vietnams Wirtschaft wächst - Wie lange noch? © IMAGO / Xinhua

Die jetzige Wachstumsrate übertrifft den Zielkorridor von 6 bis 6,5 Prozent, den die Regierung anvisiert hatte, nachdem 2021 das Wachstum coronabedingt, nur 2,58 Prozent betragen hatte. Doch wie andere Exportnationen dürfte Vietnam eine mittlerweile erwartete weltweite Rezession zu spüren bekommen.

Im vierten Quartal hatte sich die Wachstumsrate schon von 13,71 Prozent im Vorquartal auf 5,92 Prozent abgekühlt. Nach dem Ende der Quarantäne wuchs der Handel im Gesamtjahr doch um fast 20 Prozent. Jedoch könnte sich der Konsum abkühlen, die Inflationsrate ist mittlerweile auf 5 Prozent gestiegen. Trotz Sorge um den überhitzenden Immobilienmarkt hat die Notenbank den Leitzins mittlerweile auf 6 Prozent angehoben.

Politische Sicherheit in Vietnam durch Korruptionskampagne gefährdet

Die zentrale Rolle Vietnams in den globalen Lieferketten zeigt sich im Anteil des Handels am BIP. Dieser erreichte im Jahr 2021 mit 186 %, den höchsten Wert in Asien abgesehen von den Drehkreuzen Singapur und Hongkong. Dies macht Vietnam abhängig von Exporten und den damit verbundenen ausländischen Investitionen.

Dabei kommt eines der größten Probleme des Landes ins Spiel nämlich die grassierende Korruption. Vietnam profitiert enorm von den Bestrebungen multinationaler Unternehmen, ihre zuvor auf China fokussierten Lieferketten zu diversifizieren, und von der politischen Instabilität in anderen Ländern der Region, darunter Thailand, Malaysia und Myanmar.

Doch die pragmatische Entscheidungsfindung und die politische Sicherheit, die Vietnam für ausländische Investoren so attraktiv gemacht haben, werden angesichts der derzeitigen beispiellosen Säuberungen im Politbüro der Kommunistischen Partei und anderen Führungsgremien in Frage gestellt.

Phuc, der seit 2016 als Premierminister eine Phase raschen Wirtschaftswachstums leitete, galt als ruhige Hand, als der unerfahrene Pham Minh Chinh im April 2021 sein Nachfolger wurde. Die stellvertretenden Premierminister Pham Binh Minh und Vu Duc Dam waren beide Verwaltungsfachleute, die eine zentrale Rolle bei der vietnamesischen COVID-19-Reaktion spielten, die zu den besten der Welt gehörte.

Ihren Bemühungen ist es zu verdanken, dass Vietnam als einziges der zehn Mitglieder des Verbandes Südostasiatischer Nationen im Jahr 2020 sein Wirtschaftswachstum fortsetzen und in den beiden darauffolgenden Jahren sogar noch beschleunigen konnte.

Aber die drei Männer hatten auch Rivalen. Phuc wurde als einer der beiden Spitzenkandidaten für die Nachfolge von Nguyen Phu Trong als Generalsekretär der Kommunistischen Partei gehandelt. Doch Trong betrachtete ihn aufgrund seiner prowestlichen Haltung und seines politischen Pragmatismus sowie der umfangreichen Unternehmensinteressen seiner Familie mit Misstrauen.

Dam und Minh werden unterdessen für pandemiebedingte Korruptionsskandale in den von ihnen geleiteten Ministerien verantwortlich gemacht, obwohl keiner von ihnen persönlich verwickelt ist und beide einen guten Ruf haben.

Parteipolitische Machtkämpfe

Es ist offensichtlich, dass im Vorfeld des für Mitte des Jahres erwarteten Kongresses der Kommunistischen Partei Politik im Spiel ist. Ähnlich wie Xi Jinping in China instrumentalisiert Generalsekretär Trong weiterhin die Korruptionsbekämpfung gegen politische Rivalen, um sich den Platz seines Schützlings als seinen Nachfolger zu sichern.

Ein Leitmotiv seiner Amtszeit seit 2016 ist die Wiederherstellung der Parteikontrolle über die Politikgestaltung, indem er die Autorität zurückerobert, die sich mit dem Wachstum und der zunehmenden Komplexität der Wirtschaft auf die Technokraten der Regierung verlagert hatte.

Die Abschlusszeremonie des 13. Nationalen Kongresses der Kommunistischen Partei Vietnams in Hanoi im Februar 2021 zeigte das persönliche Interessen im Spiel sind, denn Phuc, Minh und Dam waren pragmatische Technokraten, die entschlossen waren, Vietnam auf einen stabilen makroökonomischen Kurs zu bringen.

Der Minister für öffentliche Sicherheit, To Lam, der selbst schon einmal in einen Korruptionsskandal verwickelt war, wird voraussichtlich Phuc als Präsident ablösen und damit die Autorität über das Ministerium für öffentliche Sicherheit behalten, was ihm die Möglichkeit gibt, Ermittlungen gegen politische und wirtschaftliche Rivalen weiter zu forcieren.

Seit dem letzten Parteikongress im Januar 2021 ist die Regierung von Premierminister Chinh durch Korruption und politische Stagnation behindert worden. Der schiere Umfang ausländischer Investitionen, die in das Land fließen, hat der Regierung jedoch eine Atempause verschafft.

Doch die laufenden Säuberungen dürften ausländische Investoren verunsichern, zumal gerade die Hauptopfer in der Verwaltung als kompetent und ehrlich gelten. Angesichts des intensiven Wettbewerbs in Asien könnte Vietnam den Anschluss verlieren, wenn die Verwaltung nicht mehr als stabil und kompetent gilt.

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Schon bald wird eine weitere Welle von Korruptionsermittlungen und Verhaftungen erwartet, gerade auch im Immobiliensektor. Machtkämpfe werden wahrscheinlich weiter eskalieren, da die Fraktionen vor dem Ende von Trongs dritter und letzter Amtszeit im Januar 2026 um ihre Positionen ringen.

Vietnam braucht eine neue Strategie, um für ausländische Investoren attraktiv zu sein

Im Rahmen einer Anti-Betrugs-Kampagne hat Vietnam führende Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft entlassen. Dies gipfelte letzte Woche in einer seltenen Amtsenthebung des Präsidenten. Nun stellt sich die Frage: Wie wird sich dies auf das globale Fabrikzentrum auswirken?

Vietnams ehemaliger Präsident Nuguyen Xuan Phuc hält eine Rede
Im Rahmen eines Korruptionsskandals zurückgetreten: Vietnams ehemaliger Präsident Nguyen Xuan Phuc © IMAGO / Xinhua

Einige sagen "business as usual" voraus und meinen, dass sich die Kommunistische Partei durch das Prinzip der Herrschaft durch Konsens und das Fehlen eines Personenkults von China und Präsident Xi Jinping unterscheidet und wirtschaftliche Kontinuität ermöglicht.

Andere glauben, dass die interne Politik die sicherheitsorientierten Kräfte auf Kosten derjenigen, die ausländischen Investoren freundlich gesinnt sind, in den Vordergrund drängt und dass der Raum für Debatten und Innovationen schrumpft.

Was auch immer davon zutrifft, es wird sich auf eine schnell wachsende Wirtschaft auswirken, die für die Lieferketten von Herstellern wie Apple und IKEA unverzichtbar geworden ist.

Die Kampagne hat tief in den öffentlichen und privaten Sektor hineingewirkt, angefangen bei den Hunderten von Parteifunktionären, die letztes Jahr bestraft wurden, bis hin zu den vielen Unternehmen, die durch Verhaftungen in Bereichen wie Immobilien, Gesundheitswesen, Transport und Wertpapiere geradezu enthauptet wurden.

Die radikale Behandlung von Präsident Nguyen Xuan Phuc und zwei Vizepremiers in diesem Monat lassen Zweifel an der Stabilität aufkommen, mit der der Einparteienstaat gerne wirbt.

Und sollte der Sicherheitsminister To Lam, der für ein TikTok-Video bekannt ist, in dem der Koch Salt Bae ihn mit Blattgoldsteak füttert, wirklich der neue Präsident werden, wäre dies ein Übergang von Phucs makroökonomischem Pragmatismus zu einer Verwaltung, die zunehmend von Veteranen des Sicherheitsministeriums dominiert wird, die der Strafverfolgung Priorität einräumen.

Dann kann man nur hoffen, dass der Kampf gegen die Bestechung Genehmigungsverfahren nicht weiter verlangsamen wird. Doch das könnte der Fall sein. Die Behörden werden große Projekte genehmigen, um Vietnam als "Ziel für Investitionen" darzustellen, aber bei kleinen Unternehmen kann es zu Verzögerungen kommen.

Alles wie beim "großen Bruder" China

In China ist die Regierung bereit, bei Konflikten ein neues Unternehmen zu gründen und Anteile an anderen, wie Alibaba, zu übernehmen. Ein solches Wiedererstarken des Staates in der Wirtschaft findet in Vietnam nicht statt, stattdessen werden staatliche Unternehmen einfach abgewickelt.

Aber ein anderer chinesischer Trend, das Streben nach "allgemeinem Wohlstand", ist für die Korruptionssanierung der derzeitigen vietnamesischen Regierung von Bedeutung.

In beiden Fällen soll sichergestellt werden, dass sich bei der Einführung von mehr Kapitalismus in offiziell sozialistischen Systemen nicht eine Handvoll Einzelner auf Kosten der Gesellschaft bereichert. Die Säuberung der Partei hat wie in China nun Vorrang vor den Interessen der Wirtschaft.

Die Tendenz, jetzt stärker gegen Kritiker vorzugehen, könnte sich irgendwann rächen denn Vietnam leidet nach Ansicht zahlreicher Beobachter unter einem chronischen Mangel an politischer Innovation, Flexibilität und Zuverlässigkeit, was das Tempo der Reformen und des Wachstums einschränken wird.

Mit anderen Worten, das Wachstum wird sich fortsetzen, aber irgendwann an eine Grenze stoßen. Alles wie beim großen Bruder eben, nur mit etwas Verzögerung.

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